Das Haus macht seltsame Geräusche

20. Februar

Der Typ über mir hat mich mit so lauter Metal-Musik geweckt, dass ich das Markenlogo auf den Drumsticks sehen konnte. Ich erhebe mich mit einem blöden Grinsen und wünsche mir, in einem Roman zu landen.
"Das Leben ist doch nicht dringend!", widersprach er Morrissey und hoffte, sich nicht in den nächsten zwei Minuten schon wieder zu widersprechen, denn er ahnte, wenn das Leben wirklich nicht dringend wäre, würde er sich über den plötzlichen Anfang dieses Romans wundern, in den er mit struppigem Haar und von Schlaflosigkeit verpeitschtem Gesicht landet.

Um durch die Renovierung nicht obdachlos zu werden, beschloss Paul mit Selbstmord zu drohen. "Sowas eröffnet ganz neue Wege!", leuchtete sein Gesicht, als er die Wohnung verrammelt und sich ins geöffnete Fenster gehockt hat. Jetzt ist er eine Woche im Krankenhaus, wo man ihm maximal eine asoziale Persönlichkeit attestieren wird. Ohne Hab und Gut wird er zurück in die Welt geschickt werden und wenn er nicht bei seinen versifften Freunden unterkommt, wird ihm das Sozialamt einen kleinen Stall im Ghetto einräumen; er wird immer ab Mitte des Monats die Stadt mit seiner Eigenschaft als alkoholkranker, über Kommunismus und Israel und Polizeigewalt brabbelnder Pfandflaschensammler bereichern.

Arbeit und Zufriedenheit und Sex und Alkohol stumpfen so dermaßen ab. Im Gegensatz dazu halten Arbeitslosigkeit, Unglück, Asexualität und Gras kritisch, distanziert, vorsichtig, offener für neue Reize. Bevor du dich für einen Beruf und Rausch und Partner entscheidest, frag dich, wieviel du von der Welt sehen willst. "Also los, auf ins grelle Getümmel" rufe ich und erhebe mich aus meinem dunklen, gemütlichen Ornette-Coleman-Bett.

Die Künstler haben die Aufgabe, so zu tun, als würde das Leben Sinn machen, da der, der keine Kunst macht, mit anderen Dingen beschäftigt ist. Während die Erwachsenen arbeiten, spielen die Künstler im Garten. Seid euch so unsicher wie möglich! Selbstmord ist lustig, weil er so tollpatschig voreilig ist. Der Mensch soll sein Nichts nicht wegschuften, er soll so nichtig sein wie die Natur ihn erschaffen hat. Der Künstler tut immer so, als wäre er jemand anders. Was kann ich dagegen tun, von dicken Kritikern angemacht zu werden? Soll ich ihnen einfach laut bellend auf den Schoß hüpfen? Ich träume von einer Welt, in der jeder eine Berühmtheit ist und sowohl verehrt wird, als auch die restlichen Menschen verehrt. Ich will wie jeder Andere auch ein Gott, ein Heiliger, ein berühmter Mörder oder ein mächtiger Politiker zu sein. Dieses Ziel muss ich mit Notwendigkeit füttern. Ich muss Dinge tun, die notwendig dazu führen, dass ich Macht gewinne. Ich bin ein sehr zuversichtlicher Dreikäsehoch, müssen Sie wissen! Ich laufe zu "Hound Dog" von den Residents mit strahlendem, verstrahlenden Optimismus durch die Neongrünanlage auf dem Weg zum Vorsprechen bei Euch, liebe Leser. Nehmt Ihr mich an? Sagt Ihr JA DANKE JA DANKE JA DANKE?

Ich habe Lust, die Nacht mit der Brechstange durchzumachen, die Möglichkeiten, die sich dadurch ergeben werden, will ich wie eine Dornenkrone tragen. - Im Glücksrad meiner Selbst falle ich über den Zufall her.

Ich vermisse Gras.

Lieber ein bisschen Noise hören. Alles muss lauter werden, der Sonntag soll richtig schief hängen. Ich will mit André im Garten sitzen. Das Haus macht seltsame Geräusche, als hätte es Schluckauf. Der Gedanke, dass es eine Welt gibt, stellt mein Gehirn in Frage. Jeder Satz ist ein perfekter letzter Satz, wie frustrierend.

Manche Kinder streunen im Wald herum und finden Sachen, andere Kinder nicht. Da hin oder da hin? Du entscheidest, ob du in den Wald gehst oder nicht. Ich fühle mich wie ein Kind, das Lust hat, in bunten Klamotten durchs Heimatdorf zu laufen und alle zu einer schönen, unendlich langen Gartenparty am Rand der Welt einzuladen.  Alles was ich denke, formt alles was ich denke. (Ihr müsst diesen Satz langsam aussprechen und an mildes, außerordentlich weiches Sonntagswetter denken, strahlende Tauben in der Luft, freundliche Gesichter vor dem HD-Sonnenuntergang.) Ich schau so wie ein Hundewelpe, der zum ersten Mal durchgekrault wird. Ich muss ein bisschen Summen, damit die Angst, dass plötzlich jemand auf mich wutschnaubend zugerannt kommt, nicht gar so penetrant ist.

Es wäre so schön, wenn ich mit all den tollen Leuten die ich kenne, meine Kindheit nochmal durchleben könnte und am besten niemals älter werden würde. Ich denke, der Höhepunkt des Lebens ist die Hoffnung, die man als Kind hat. Alles was man als Erwachsener tut, ist seine Enttäuschung zu verwalten, seine Traurigkeit zu leugnen. Für immer aus dem Paradies der Kindheit geschmissen, trauen wir uns nur in ganz ganz schwachen Momenten, zurückzublicken. "Hier geht es wirklich nicht mehr weiter!" ist die schwarze, rechtwinklige Parole, die über meinem zweiten Blume-Buch flattert.

Man muss sich nicht auf bestimmte Probleme oder bestimmte Ichkonzepte konzentrieren, wenn man auf der Parkbank vor einem Wasserfall sitzt. Ich kann einfach genau so, wie ich dasitze, dasitzen, egal wie lang, egal warum. Ich werde eine Partei gründen, die einzig das Recht eines jeden Menschen durchsetzen will, solang im Bett zu bleiben wie er will. Kein Terminstress, kein Gericht darf ihn zwingen, das Bett gegen seinen Willen zu verlassen. Dazu noch das Recht auf eine eigene Wohnung und Essen und Trinken und Internet und research chemicals und die Menschheit wäre erstmal aus dem Gröbsten raus. Hört auf, etwas zu tun! Hört auf, etwas zu glauben! Es ist so lächerlich, an etwas zu glauben. Es ist so lächerlich, seine Geschmacksgrenzen nicht erweitern zu wollen. Ihr müsst auch andere Musik genießen können, ihr müsst auch andere Bücher gern haben können! Beschränkt euch doch nicht! Warum versucht ihr es nicht mal? Schaut, was die Residents, Steve Reich, Peter Brötzmann, Psychic TV geben! Cioran oder de Sade oder Burroughs oder Ingeborg Bachmann! Wir werden, indem wir die Musik- und Kino- und Bücher-Charts kaputt machen, euch das nehmen, was euch am stärksten apathisch macht und schwach und demütig. Erst wenn die Masse andere Kunst probiert, können sich auch andere gesellschaftliche und politische Verhältnisse schaffen lassen. Der Künstler macht, dass die Menschen Lust haben, offen und heiter und selbstkritisch zu sein.

Ich liebe es, meine kalte, aggressive Fresse in die Welt zu halten. Haltung zeigen ist wichtig, wenn du von jemandem geliebt werden willst und immer sitzt mir jemand im Nacken, der mich in die Esoterik-Ecke schieben will. Das ist so ein ekliger Kniesknaddel, der keine Freude am Leben hat, wenn er nicht alles klar einer bestimmten Ecke zuordnet. Ich muss mich von ihm und der Ecke, der er mich zuordnen will, distanzieren, denn es ist ein schöner Tag, der gerade anbricht. Vielleicht nehmen meine zwei besten Freunde dieses Jahr genügend Schlaftabletten, um die Stadt endgültig loszuwerden. Wenn ich berühmt wäre und Geld hätte, könnte ich uns irgendwo ein schönes Haus kaufen, wo wir leben und arbeiten können. Könnt ihr nicht noch ein bisschen warten, bevor ihr ganz tief in die Kiste mit den dramatischen Konsequenzen greift? Wartet doch einfach noch ein bisschen... Ich hisse im Stadtzentrum die weiße Flagge meiner Geduld ... Wartet doch noch ein bisschen... Lasst uns doch alle irgendwo zusammenwohnen; unsere Verlorenheit potenzieren und ausagieren bis zum letzten Tropfen. Ich glaube an die Schönheit und Kreativität unserer Abirrungen, ich fühle mich beflügelt von der Kraft und Zuversicht unseres Wahnsinns. Die Glocken bimmeln, die Blumen wuchern und die verzogensten Kinder brüllen ihre Seele aus ihren Körpern und um Europa wird eine 5 Meter hohe Mauer mit Stacheldraht, Minen und Selbstschussanlagen errichtet, meine dummen, fetten Eltern werden immer dümmer und fetter und die weiße Flagge meiner Geduld peitscht in den aufkommenden Frühlingssturm.