Neujahrsmeditationen



Silvesterabend 2014/15. - Mit den leuchtenden Blumen, die mir das in wenigen Stunden vorbeigehende Jahr geschenkt hat, verbringe ich den Abend allein in meiner Wohnung, ohne irgendetwas zu vermissen. Hab ich Angst, dass irgendjemand einen Böller genau vor meine Fensterscheibe legt, während die Musik immer gemütlicher wird? Der Gedanke, jetzt etwas zu tun, das mein Leben entscheidend verändert, etwas erschütterndes, das alles verdreht, hat es auf die Selbstverständlichkeit abgesehen, auf deren Silberrücken ich von diesem Jahr ins nächste hüpfen will. Wie ein kleines Kind zupfe ich der Mutter am Rockzipfel, die Jahreswechelmaschine verschlingt den Planeten und ich bin offen für jedwede Verwendung, die eine zukünftige Leserschaft für mich hat: ich bin gern irgendwo, und wenn es eine Abstellkammer ist: irgendwann werde ich für irgendetwas benutzt, irgendwann schneidet sich jemand eine Scheibe oder zwei von mir ab. Indem man so sein will wie man ist, macht man Werbung für das, was einen so werden ließ und für die Idee, die man von sich hat. Jeder möchte prägen, weil jeder geprägt werden muss.

Ich will mir weder heute noch bald mein Gehirn mit Alkohol verklemmen, ich will alles gern voll bewusst mitbekommen: eine komische Einstellung für jemanden, der im Leben vorankommen will, oder? Ich will, dass alle Menschen in Europa mich kennen und mögen. Ich will mich anmalen und überall meine Lieder singen. Die Frage, was ich im Rampenlicht zu suchen habe, wartet auf die gleiche Antwort wie die Frage, was ich überhaupt auf der Welt zu suchen habe. - Wenn ich sage, ich will berühmt werden, heißt das aber nicht, ich will unbedingt auf jede Bühne; es würde mir völlig reichen, wenn alle Leute zu mir nach hause wollen; dafür muss ich sie leider ab und an auf einer Bühne daran erinnern, dass es mich gibt.

"The Soft Parade"; das Lied zum Jahreswechsel; tanzend vor der schwarzen Schlafzimmerwand, verliere ich jede Lust, mein Leben mit Tatsachen zu vermasseln; vielleicht werde ich mich bald derart entspannen, dass ich nie mehr Gründe finde, mich zu einer Karriere aufzuraffen. Auch ein meditatives Leben muss möglich sein, auch ein Leben, das man aus den Augen verloren hat, muss möglich sein. Ich stell mir vor, wie mich jemand fragt, welche Signale ich senden will. "Kunst rührt hoffnungslosen Menschenbrei um, damit nichts anbrennt.", höre ich mich mit einer Koffeinkoffeinkoffein-Stimme behaupten, die nicht verrät, wie genau ich das meine, während du auf einer gepolsterten, neonrotschimmernden Kellerparty versuchst, dich von lupenreinem Electroswing anstecken zu lassen, aber es klappt nicht, irgendwas zieht dich zurück und genau das ist deine Chance! Du bist zwischen allem: du bist keiner der Leute hier im Raum, du denkst keinen Gedanken, der hier gedacht wird, du läufst auf etwas ganz Anderes hinaus.

Ich liebe Leute, deren Lächeln mich fragt: "Wollen wir unsere Überempfindlichkeit in einen Topf werfen?" David Byrne setzt meiner Hoffnung, solche Leute zu finden, ein schönes Denkmal, das niemand sehen wird. - Ich habe seit über eine Woche die selben Klamotten an und eben fällt mir auf, dass mein T-Shirt verkehrt herum ist. An meinem Gesicht, das ich dabei mache, kann man meine politische Haltung ablesen.
Die Distanz zwischen mir und meinem Leben verschwindet, wenn ich nichts tue, außer wie Kaugummi den Gedanken kaue, dass dieses Nichtstun die Distanz zwischen mir und meinem Leben verschwinden lässt. - Ich hab noch keine Lust jemanden zu treffen, ich möchte mich noch ein bisschen allein in diesem Jahr umschauen. - Ich schreibe nur die Gedanken auf, die ich nicht genießen kann (und vielleicht sogar missverstehe), wenn ich sie für mich behalten würde.

Mit der Plötzlichkeit eines Autounfalls erinnere ich mich daran, wie sehr ich mich, während meine Empfindlichkeit und Kreativität ab der neunten Klasse deutlich zunahm, von meinen Eltern zurückgewiesen fühlte und ein Interview mit Lubomir Melnik, einem träumerischen Schamanen, der am Klavier mit seiner "kontinuierlichen Musik" mit dem Ur-Einen, Ur-Reinen in Verbindung treten will, erscheint mir folgerichtig ungemein tröstlich.

Ich betrachte die Welt noch immer als das kleine Dorf, aus dem ich komme. In meinen Träumen sind alle Orte, an denen ich bisher gewohnt habe, ineinander verschmolzen. Meine alte Grundschule ist die Universität, an der all meine Freunde sind, und die Universität ist die Grundschule, an der wir immer noch Grundlegendes lernen, und alle lebenden und toten Berühmtheiten, die mir etwas bedeuten, sind in der einen großen Stadt nebenan. Ich möchte mich in die Welt einbringen, so wie schon jedes Kind eine Funktion in der Klasse haben will. Die Gesellschaft ist für mich nicht mehr als diese große, unübersichtliche Schule. Seit ich zu Weihnachten mit meinen Eltern durch meine alte Heimat gefahren bin, fühle ich mich viel integrierter in die Welt. Das ist immer noch die selbe, alte Welt und ich bin der gleiche Mensch, der ich in meiner Kindheit war, ich stecke in der selben Geschichte. Ich vermisse die Abenteuer mit meinen Freunden, das Ausreizen von Grenzen, das Tunnelgraben, das Nächtedurchmachen, die gemütliche Ungewissheit der Zukunft. Keiner meiner Freunde ist auf dem Weg hier her und wie ein weißer Adler ohne Augen will mein Vorsatz auffliegen, dieses Jahr konsequenter daran zu arbeiten, in den Kulturbetrieb zu kommen, so wie ich früher als Klassenclown Anschluss an Leute gefunden habe, die ich nicht leiden konnte und dann als Songwriter und Autor Anschluss an Leute gefunden habe, die in der Schule keiner leiden konnte.

Wenn man die Gesellschaft verändern will, Gregor Gysi weißt glücklicherweise immer darauf hin, muss man den Zeitgeist verändern, und der Zeitgeist ändert sich, wenn sich die Gefühle der Menschen erweitern. Dafür ist die Kunst da. Und wenn ein Politiker gern Helene Fischer und Unheilig hört, muss das für ihn noch hundertmal verhängnisvoller sein als die Süße-Jungs-Affäre von Sebastian Edathy. (Jeder Geschmack ist Ausdruck körperlicher Bedürfnisse. Schaut Euch unter diesem Gesichtspunkt die Musik in den Charts an: was für ein entsetzlicher Sklavenmuzak!)

Auf Youtube finde ich einen Vortrag von Christian Rätsch über Schamanismus und Hanf. Ich hoffe es wird nicht esoterisch. In Interviews macht er einen guten Eindruck, bei 3nach9 gibt er eine Runde Aphrodisiakum aus. Will er damit zeigen, dass Drogen mehr können als zudröhnen? Oder will er sich an die dümmliche Moderatorin ranmachen? Niemand scheint ein ehrliches Interesse an ihm zu haben. Huch, wünscht er sich echt eine Orgie? Aus einer Welt, in der jeder mit jedem schläft, wäre ich schon längst verschwunden. Der Hanfvortrag ist ganz nett, ich glaube im Publikum sitzen nur steife Hobby-Kiffer, die sich von Christian Rätsch ihr schlechtes Gewissen herausreferieren lassen wollen. Er redet von der alten, anarchistischen, genossenschaftlich organisierten Donauzivilisation, die tausende Jahre vor dem Christentum ganz pazifistisch, „ohne Waffen, nur mit Werkzeugen“ (die Trennung kommt mir willkürlich/idealistisch vor) einen aktiven Schamanismus gelebt hat. Er glaubt, hier die eigentliche Wiege der europäischen Zivilisation auszumachen. Immer wenn jemand den Pazifismus und die absolute Herrschaftslosigkeit hochhält, werde ich ein bisschen unruhig. Der Mensch ist kein nettes Lebewesen, und ich denke nicht, dass daran die Religionen oder die Gesellschaft oder der Kapitalismus schuld sind. Der Mensch ist ein nervöses, unsicheres, zerbrechliches Tier. Ich möchte nicht, dass irgendeine Moral alle Menschen der Erde gleich macht. Besser wäre es, wenn es viele verschiedene Gesellschaften gäbe, die alle eine andere Art haben, den Menschen zu verwalten und zu gestalten. Jeder sollte seine Gesellschaft wählen können. Vielleicht muss man die Leute auch zu ihrem Glück zwingen, sie brutal zwingen, mit dem ganzen Quatsch aufzuhören, der sie krank und dumm und lieblos macht; vielleicht können bestimmte gesellschaftliche Miseren nur mit Gewalt beseitigt werden.

Wer an eine Welt ohne Unterdrückung glaubt, hat noch nie Privatfernsehen geschaut. Was würden diese Zombies machen, wenn sie plötzlich frei wären? Wenn sie nicht mehr getreten werden würden? Sie würden nichts mehr mit sich anfangen können, sie würden komische Ideen bekommen, sie würden sich vielleicht rächen wollen. Tausende Jahre Unterdrückung bekommt man nicht mit einem Joint aus dem Körper.

Ich habe heute erfahren, dass ich bald aus meiner Wohnung geworfen werde, weil der Vermieter das Haus grundsanieren will. Ich trinke einen Energy-Drink zu viel und laufe euphorisch verwirrt in der Stadt herum. Vielleicht sollte ich mit meinen Freunden aus Erfurt wegziehen und in Leipzig eine WG gründen? Ich treffe Frank im Speicher, er versteht meine Euphorie, fühlt sich selbst aber wohl in Erfurt.

The Residents wohnen in meinem Gehirn und führen etwas im Schilde, dem ich vielleicht nicht gewachsen bin. Gefährliche Musik; ich ahne, dass ich sie bald nicht mehr verkrafte und lobe mich auch für meine Sensibilität, indem ich im Bett mit Kopfschmerzen herumgrinse. Ich glaube, das Gras hat mich insgesamt gelockert, entkrampft; ich bin herzlicher, viele Dinge sind mir einfach klarer, ich will sie nicht mehr unter den Teppich kehren. Der Zwang, Sätze zu schrauben, drosselt meine Euphorie. - (Man muss mindestens alles von einem Schriftsteller lesen, wenn man nur einen Satz von ihm verstehen will. Ich kann jedenfalls für niemanden schreiben, der nicht zumindest Texte kennt, in denen ich mein Schreiben und Atmen kritisch unter die Lupe nehme. Vielleicht bin ich gerade total frei. Ich zucke mit den Schultern, indem ich nicht mit den Schultern zucke.)

Ich schubse meine Nachbarn wie eine Tür zur Seite, ich wohne in einem warmen Haus in dem Freunde tragende Wände sind, alles was ich will und brauche und bin ist hier in meinem Bett, einige Leute verstecken sich unter den Dielen, diese niederträchtige Le Pen denkt über die Guillotine nach und in einem Traum eben sah ich, wie mich ein bürokratischer Metzger mit investigativem Besteck auf meine Reflexe hin überprüft, sein Gesicht versucht mir zu sagen, dass alles okay ist und ich nächste Woche nochmal wiederkommen soll, aber ich höre im Rausgehen, wie er die Praxishilfe beauftragt, dem Scharfschützen auf dem Dach Feuerbefehl zu geben. Ich tu so, als hätte ich nichts mitbekommen, aber die beiden wissen, dass ich nur so tu. Es ist ein schöner Frühlingstag, der Scharfschütze steht mit Sonnenbrille auf dem Schuldach und zielt auf mich, ich bin im Gebüsch und weiß nicht, wie gut er ist - wahrscheinlich ist er gut, sonst hätte man ihn nicht eingestellt. Vielleicht soll mich aber auch nur beunruhigen, dass man ihm vertraut, obwohl er gar nicht so gut ist. Er weiß jedenfalls, dass gleich mein Zug in einen nächsten Traumabschnitt abfährt; stell ich mir vor, dass er schon auf mich schießt oder schießt er wirklich schon auf mich? Plötzlich weckt mich der jämmerliche Raucherhusten von Ronny, der über mir wohnt, wieder auf.

Ich stell mir vor, wie ich den abwesenden Jungen neben mir küsse und versuche „ich lieb dich so“ zu sagen, ohne zu klingen wie Leute, die es nicht so meinen wie ich. Ich denke mir, dass man manchmal mit „Ich liebe dich“ und „Ich dich auch“ eigentlich sagt „Wir gehören zu diesem System. Wir funktionieren und wollen funktionieren.“ Das bürgerliche Ideal, das in dem Wort „Liebe“ lungert wie ein Magnet, verwandelt mein Herz in ein Schwert. Ich stell mir vor, wie dieser abscheuliche Volker Kauder mit seiner Frau im Bett liegt, ihr einen Kuss gibt und sagt: „Ich liebe dich. Ich bin froh, dass du mir Kinder geschenkt hast. Ich bin der glücklichste Mann im Land.“ (Hat er gerade zu Le Pen geschielt? Ihre Schenkel schmecken bestimmt gut. Saftiges Fleisch von knuspriger Haut überzogen. Eine Vagina zum Niederknien. Breite Becken und die schönste Gesichts-Snaredrum in ganz Europa!)

Konservative können nicht lieben, so wie Primzahlen nicht durch andere Zahlen als 1 und sich selbst teilbar sind. Ein Konservativer mit Herz ist auf dem absteigenden Ast. Konservative haben kalte Hände, trauen ihren Gefühlen nicht, sind auf Stunk aus und wollen, dass alle Menschen der Welt genau das gleiche machen. Sie sind geborene Beamte, Buchhalter, Petzen, Henker. Sympathien für Konservative sind ebenso bedenklich wie Sympathien für Kannibalen. Instinktiv lehne ich fast alles ab, was Konservative schätzen. Diese Gegenabhängigkeit ist widerlich, die Konservativen haben mich voll im Griff. Was ihnen Spaß macht, macht mir keinen Spaß, sie machen mich irgendwann depressiv, weil sie alles kaputt machen, was mich bei Laune hält. Deshalb kann ich auch sehr gut damit leben, dass sie Cannabis nicht legalisieren wollen. Ich sehe bestimmt gerade so aus, als würde man mir Stinkekäse unter die Nase halten, aber im tiefsten Inneren bin ich glücklich, d.h. ich genieße die Anspannung, die das Leben bedeutet.

Ich denke an einen schwarzen Brunnen, in den man so tief fällt, dass man oben wieder rauskommt. Die Tatsache, dass es einen Mund gibt, den ich küssen will, distanziert mich vom Universum. Ein Hubschrauber, der über das Haus knattert, vielleicht schmeißt Nordkorea oder Russland eine Bombe auf diese Stadt. Der Weltpolitik bin ich genau so hilflos ausgeliefert wie meiner Liebe und meinem Musikgeschmack.

Der Sturm hat das Haus fest im Griff, es zieht und pfeift und heult, vielleicht platzt gleich ein Fenster oder etwas kracht aufs Haus. Die Leute gehen vorbei als ob nichts wär. Vielleicht hat irgendeine Koksnase mit Atombomben im Keller gleich keine Lust mehr zu leben und leitet den Weltuntergang ein. Vielleicht hab ich es deshalb auch so eilig mit dem Berühmtwerden.

Es ist sehr wichtig, dass man sich klar macht, welchen Rausch man gebrauchen kann und welchen nicht. Ich empfinde es als Bosheit und Dummheit, dass Cannabis illegal und Alkohol legal ist. Nur Leute, die ein beschissenes, nerviges, aussichtsarmes Leben haben, sind körperlich und psychologisch in der Lage, eine Alkohol-Sucht zu entwickeln und ich kenne so viele dumme Menschen, die weder mit Gras noch mit Alkohol umgehen können. Dass eine Gesellschaft Alkohol in unbegrenzten Maße erlaubt (und damit eine Abhängigkeit der Konsumenten in Kauf nimmt), aber Cannabis den Krieg erklärt, sagt so ziemlich alles über das herrschende Menschenbild aus. Ich sehe schon wieder das kalte, garstige Gesicht von Volker Kauder.

Ich will das Wort KNIESKNADDEL in die Stadt stanzen, während mein Gesicht auf dem Karussel meiner abendlichen, euphorischen Unfähigkeit, Karrusell richtig zu schreiben, einschläft mit der Arroganz all derer, die sich nicht von mir küssen lassen wollen.

Ich nasche 200mg Promethazin, um die 700ml Energie-Pisse zu relativieren. Alex, der mir die Tabletten geschenkt hat, sagt, ich werde zwei Tage durchschlafen. Ein bisschen benebelt, bald totales Versacken in den Moment. Anflug von Endzeitstimmung. Die Welt wird an einem Übermaß an Verwirrung, an einem Zuviel an Möglichkeiten zugrunde gehen.

Ich würde gern in zwei Tagen wieder aufwachen. Falls das hier meine letzten Aufzeichnungen sind: ich habe den Büchern, die ich gemacht habe, nichts hinzuzufügen. „Entspannt Euch alle so lang und tief wie möglich!“ wäre meine letzte Bitte an die Welt. Vielleicht hat ein Land, das dem toten, kalten, lustlosen Blick von Angela Merkel vertraut, den Untergang verdient. Eine Welt voll liebloser Musik, vergiftet von Glaubenswut, von erniedrigenden Standards … was soll man dem überhaupt entgegensetzen?

Ich glaube nicht, dass es so einfach ist, auf seinem Sterbebett ehrlich zu sein. Selbst im Angesicht des Todes ist man nicht frei von Idealismus. Der Wunsch, so und so in Erinnerung bleiben zu wollen, und die allgemeine Unfähigkeit genau zu wissen, was man denkt, was man fühlt („eindeutig“ denkt, „eindeutig“ fühlt...), zwingt auch in den letzten Momenten des Lebens zu Ungenauigkeit, Vergröberung, Mehrdeutigkeit, Verschleierung, Lügen... Einem Sterbenden sollte man nicht mehr vertrauen als einem, der noch mit Saft und Kraft im Leben herumirrt...

Meine Bewegungen werden langsamer; der Lust, reglos zu bleiben, ist immer weniger entgegenzusetzen, und draußen zwitschern die Vögel, es scheint die Sonne, es braust der Wind und Autos fahren irgendwohin, Menschen leben ganz selbstverständlich: „Jetzt hat ein neuer Tag begonnen, also machen wir weiter. Wir müssen das tun, wir müssen leben, weil wir noch können.“ Sie tun so, als hätte es keine Unterbrechung (also keinen Schlaf) gegeben. Sie haben irgendwas mit ihrem Leben vor, sie wollen sich weiter mahlen lassen, sie wollen weiter müder und älter werden, sie stecken in irgendeinem Automatismus fest, sie fühlen sich geliebt, gebraucht oder versuchen sich so wenig wie möglich aus der Ruhe bringen zu lassen. Dass man existiert ist sowas Seltsames, dass man sich schuldig fühlt. Hier dockt jede Religion und Politik an.

Manchmal versaut der Drang, ein gutes Ende zu schreiben, den ganzen Text. Dabei muss man sich einfach eingestehen, dass kein Schluss vollständig zufrieden macht. Das Finale ist das eklige Verdauungsendprodukt des Textes. Oder: der letzte Satz ist alles was zählt... Mein Atem pumpt mein Gehirn wie eine Luftpumpe mit Promethazin auf. Dass die Dopplung von „pump“ objektiv weder gut noch schlecht ist, dass es eigentlich auch egal ist, ob ich schreibe oder nicht, macht die Rückseite meines Gesichts immer weicher, die Weichheit drückt mich runter an den Nullpunkt des Augenblicks...

.... in der Tiefe kann sich alles lösen ....

… und ich habe 12 Stunden durchgeschlafen. Es ist toll zu wissen, dass ich an der Geschichte dieses Tages nicht teilgenommen habe. Ich bin heute nicht gealtert.
Die nächsten Stunden fühle ich mich sehr schwer und weich und unantastbar; ich genieße die Einsamkeit in meinem kleinen Raum.