Live-Schaltung

04.09.2014

Zum ersten Mal will ich live dabei sein, wenn es passiert.

Ein paar kalte, nervige Fragen kuscheln sich in einen bunten Mantel Hoffnung. Jetzt kann ich das Streichholz entzünden. Ich fühle mich noch immer wie eine Jungfrau. Was für ein Glück, dass ich mich nicht beobachtet fühle von meinem Therapeuten.

Ich habe alles Recht, dich zu konsumieren, denn ich gehöre nicht zu den sterilen, gedemütigten Leuten, die mir im Supermarkt im Weg stehen und ein Recht haben, Hackfleisch und Weißbrot für ihre Familie zu kaufen. Ich bin schnippisch wie ein nacktes, schönes Kind und rede mir etwas schönes ein: "Schäme dich nicht, wenn du Klischees eines Berauschten zeigst. Es ist nicht schlimm, so zu reagieren wie ganz schlecht gespielte Drogen-Konsumenten im Film. Wichtig ist, was hinter den Klichses ist. Du betrittst durch die Klischees eine neue Welt."

Warum sollte man nicht mit Gegenständen experimentieren, die die Natur in den Garten gehängt hat? Mein grauer Atem steuert die grazil geschwungenen Bewegungen der Hüpfburg, die ich bin, die ich sein soll. Irgendjemand hat mich hier festgeschraubt und um meine Schlaumeier-Hoffnung anzuzapfen. Ich hoffe nämlich, dass es etwas hinter dem Alltagsbewusstsein gibt, etwas das vielleicht zurecht versteckt wurde? Oder zu unrecht? Zu welchem Recht denn jetzt also? Wer hat das Recht beschlossen? Fakt ist: ein systemkonformes Leben ist mit dieser Droge nicht möglich. Mehr bedeutet ihr Verbot nicht.

Unter dem Gras liegt das Körpergefühl eines Träumenden. Wecken wir es sachte, winkt es uns mit einem kräftigen, freundlichen Lächeln herein und bietet uns an, auf der gemütlichen Couch Platz zu nehmen. Wir schauen uns um, es ist alles verschwommen und der Raum taumelt, es ist aber - anders als im Alkohol-Rausch - kein brutales, schweres, unkoordiniertes Taumeln, sondern ein sehr feines, langsames, hypnotisches, als hätte man die Hüpfburg in einen Windkanal gestellt und den Kindern erlaubt, auf ihr herumzutrampeln und herumzutaumeln. Meine Blicke stechen wie lange Speere in die See, ich stelle mich ans Podium und behaupte, dass das Gefühl, "eins mit der Welt zu sein" entsteht, wenn man - mit Hilfe von Meditation, Drogenkonsum oder einer Psychose - kein Ich, kein Subjekt mehr spürt, wenn kein Unterschied mehr zwischen Welt und Körper und Bewusstsein gemacht wird, wenn das Ich selbst zur Außenwelt zu gehören scheint, weil es überhaupt kein Innen, keine Zentralperspektive gibt.

Als junger Schnüffler in den Gegenden, in denen sich mein Körper nachts ohne mich herumtreibt, ziehe ich mir die schlabbrigen Jogging-Hosen hoch und kette mich an das, was ich in Worte fassen kann, indem ich alles verwerfe, was ich nicht formulieren kann. Mein Schreiben ist nur ein Einwand, um mit meinem Leben weiter zu machen. Ein Beruf, der wie ein Freund ist, der einen durch den dunklen Wald begleitet. Ich möchte der Sprache keinen Schaden zufügen, ich bin auf sie angewiesen. Dass ich mit ihren Grenzen spielen kann, gehört zu ihren großen Privilegien. Wenn die Sprache den Menschen ein Freund sein will, muss sie auch über ihre Unzulänglichkeiten Bescheid geben. Will die Sprache sich um ihrer Selbst willen?

Ich will ein neues Seil in einen neuen Moment springen lassen. Alles in meiner Wohnung hat einen direkten Bezug zu mir, unsere gemeinsame Geschichte. Der dreckige, chaotische Zustand spiegelt das wieder, was ich bin (was ich bin ist der Rohstoff, auf dem das arbeitet, was ich sein will): ein glücklich verlorener Mensch. Ich benutze den Zustand meiner Wohnung, um mich an das zu halten, was ich sein soll: noch glücklicher und verlorener.

Die Wohnung ist kalt, meine linke Hand ist kälter als meine rechte, irgendwas hab ich falsch gemacht. Ein Kind muss lernen, zu unterscheiden für welche Körperfunktionen es die Verantwortung übernehmen muss und für welche nicht. So wird ein Ich gebacken. Indem ich mich vor jeder Verantwortung drücke, schicke ich mein Ich auf die Hängematte und nehme die Welt ohne Filter wahr. Niemand sollte für etwas, das er sich selbst antut, bestraft werden. Es kommt mir grad sogar absurd vor, erst im Nachhinein einer Handlung zu strafen.

Der nächste Schub rückt mir etwas zu dicht auf die Pelle, ich glaube, er will mich in die Ecke drängen und mir meine Brotbüchse und mein Taschengeld klauen, bis ich merke, es ist ein Tanz, ein Tanz den man hart tanzt. Ich nehme mit Kusshand an und ernte Applaus vom imaginären Publikum. Erkenntnis ist ein Stachelschwein.

Jeder Rausch ist anders, wie auch jedes Lied bei jedem Hören anders wirkt, wie auch jeder Mensch in jedem Moment ein anderer ist. Ich mag es am liebsten, allein in meinem Hexenhäuschen zu sein, wenn ich Gras rauche, sonst würde ich mich gezwungen fühlen, bestimmte Symptome des Rausches zu zeigen oder mich für bestimmte Symptome zu rechtfertigen, die ich zeige. Vielleicht trennt mich das Schreiben von einer intensiveren Rauscherfahrung.

Könnte ich so tun, als wäre ich nüchtern? Das Monster meiner Wahrnehmung wird in eine Plastikbox gesperrt, ein paar mal kräftig durchgeschüttelt und dann wieder freigelassen. Man kann seinem Wesen nämlich nur näherkommen, indem man die Spuren in der Box untersucht. Die Box ist diese Textdatei, die Kratzer sind die Texte. Anhand der Kratzer kannst du dir vorstellen, wie der Rausch sein muss. Ich tanz eine Runde und bringe den Kreislauf in Schwung.

Ich denke sehr schnell und sehr viel, während mein Körper träge hinterherschnappt. Vielleicht wäre es interessanter, wenn ich jetzt unter Menschen wäre, wenn ich eine Aufgabe zu erfüllen hätte. Vielleicht ist ein Rausch gar nicht dafür gedacht, allein erlebt zu werden, vielleicht gehört zu jedem Rausch eine Gemeinschaft, ein Rahmen.

Was den Grasrausch vom Alkoholrausch unterscheidet: ich habe rege, klare Gedanken, ich kann meine Hände und Finger ohne Einschränkung bedienen, der Rausch erzeugt keinerlei körperliche Beschwerden wie Übelkeit oder Kopfschmerzen, er liegt wie Kaninchenfell im Mund. Alkohol stumpf akut ab, scheucht den Körper wie der Wärter den Kleinkriminellen im Kreis über den Hof, um ihm den gesetzlich garantierten, täglichen Freilauf zu gewähren. Ein stumpfes Abschütteln von Gedanken und Moral. Der Rausch, den wir hier auf dem Tisch haben, in der Hand halten, ist ein viel freundlicherer Rausch, auf einer Ebene mit dem Berauschten.

Berauschtsein und Nichtberauschtsein sind nur Werkzeuge. Ein richtig stabiles Haus im Dasein kann man nur bauen, wenn man alle nützlichen Werkzeuge kennt und benutzen kann. Sowohl der Berauschte als auch der Nüchterne leben nur in einer Hälfte des Hauses. Der frische, verzehrfertige Gemüsejazz ist ein herzlicher Freundeskreis, die Kompositionen kommen mir länger und geräumiger vor. Ich halte mich an dem kalten Kribbeln zwischen meinen Beinen wie an einem Seil fest, während ich im Wind herumflattere. Meine Gleichgültigkeit gegen Tippfehler wäscht all die Bosheit aus meinem Gesicht, die Ostdeutschland darin abgeladen hat - weil ich aber die Ostdeutschen nicht vergraulen will, werde ich sie die nächsten Tage ausbessern. Ich habe keine Probleme, Sätze zu formulieren, wenn ich auch etwas mehr Mühe hab, mich auf das, was ich sagen will, zu konzentrieren und nicht auf das, was ich noch nicht sagen kann. "Man sagt ja immer nur das, was gerade am leichtesten von der Lippe geht.", ergänzt mein lieber Großvater, der viel zu früh an Leberkrebs gestorben ist.

Weil alle Gedanken nun gleichwertig sind, beschäftige ich mich liebend gern mit den Gedanken, die ich sonst nicht so ernst nehmen kann. Der akute Glanz der Gedanken ist ihre liebliche Rache für meine bisherige Ignoranz. Ein zutiefst kindliches Bewusstsein, es findet noch keine moralische Filterung der Wahrnehmung statt. Man kann in solchen Zuständen leicht mit Gewohnheiten und Dogmen brechen, weil Anderes interessanter, wichtiger, wertvoller ist, beispielsweise die Tatsache, dass man überhaupt existiert, oder die Lust sich auf eine bestimmte Art zu bewegen, die Lust Dinge zu entdecken, die Lust mit Dingen zu spielen. Deshalb ist diese Droge verboten: sie hilft, loszulassen.

Was passiert, wenn ich ein drittes Köpfchen rauche? Ich fühle mich wie eine Frau, die das Kopfkissen aus dem Fenster heraushält und abklopft und hofft, das es gleich platzt und tausende Federn zur Erde niedergleiten. Sie macht die Fenster wieder zu, von außen, um den Leser zu verwirren. Ich entferne den Smiley, den ich eben nach "verwirren" gesetzt habe und ersetze ihn mit diesem Satz, der meinem Gesichtsausdruck viel näher kommt.

Der Rausch nimmt eine neue Intensität an. Ich distanziere mich von mir selbst, die Sonne scheint mir ins Gesicht, ich bohre mich tiefer in den Rausch, ein Gefühl der Betäubung steht der Idee, wie ich kritisch meine Situation vom Türrahmen aus betrachte, gegenüber. Jedes Wort ist eine Sensation, jedes kleine Wort eine kleine, jedes große Wort eine große. Die Kanäle sind alle weiter geöffnet, meine Aufmerksamkeit ist wie ein Regenschirm, der Müdigkeitshormone abperlen lässt. Auf der anderen Seite meiner Redseligkeit steht die Frage, was ich außer Schreiben noch machen könnte, und jemand reicht den Umschlag mit der richtigen Antwort zu mir auf das Karussell, in dem ich mit dem Mikrophon sitze und dieses Selbstbekenntnis abgebe. Ich fühle mich von meiner zukünftigen Selbstbetrachtung an die Hand genommen. Noch nie habe ich einen Gras-Rausch so bewusst erlebt.

Das Schwanken ist noch intensiver geworden, die Musik hinterlässt ihre Schwingungen in der Haut meines Gesichts, speziell des Kinn ist besonders durchblutet, von ihm gehen meine Kopfbewegungen aus, mein Kinn steuert meinen Kopf. Ich glaube das Schreiben intensiviert den Rausch, bzw. macht ihn interessanter. Das Formulieren ist mein Beruf, nicht das Berauschtsein.

Ich wollte gerade aus irgendeinem Grund aufstehen. Hab ich Hunger? Ich vergesse manchmal, dass ich berauscht bin, dann fühlt es sich an, als würde ich träumen, ohne mir gerade bewusst zu sein, dass ich träume. Leider kann ich so viel nicht ausdrücken, und so kann mich nur das an dem Rausch stolz machen, was ich ausdrücken kann. Ich kann nur so tief gelangen, wie ich noch schreiben kann. Schon wieder wollte ich aufstehen und schon wieder vergessen, warum. Ich wünschte, ich würde wissen, warum die bunten Flimmern bei geschlossenen Augen so symmetrisch sind und ich wünschte, bequemer zu sitzen.

Lauert Gefahr an den Rändern der Scholle, auf der das Zimmer hin und her schwankt? Meine Augen sind ganz trocken, mein Mund auch, ich fühle mich wie in einer Wüste, eine bequeme Wüste, weil ich jederzeit etwas trinken kann. Ich habe Lust, auf den Sattel des Gedankens, nichts mehr zu sagen zu haben, zu steigen und durch die Wildnis meines Körpers zu reiten. Gefühle benutzen Gedanken, um ans Fleisch und an die Sehnen zu kommen.

Ich stelle mir eine bunte Party in einem weißen Schloss vor, auf der in Dauerschleife "Time to say goodbye" gespielt wird. Würden die Gäste gegen das Lied ankommen? Das Experiment kann man auch mit viel besserer, interessanterer Musik wiederholen. Aber gerade, wie Schmalz und Trash auf Dauer wirkt, kann auch Aufschlüsse darüber geben, wie Menschen auf Nationalismus, Fernsehmüll und Sonderangebote reagieren.
Ich sollte mich nicht darüber beklagen, nur Worte benutzen zu können, die meine Eltern benutzen, ich benutze ja auch die ganzen Dinge, die ich vererbt bekommen habe... Ich nutze generell den Körper, den sie zusammengefickt haben.

Ich werde niemals in einer anderen Haut stecken. Ich werde niemals eine andere Vergangenheit haben. Ich bin das Zentrum der Welt, das Zentrum des Rausches und der Musik, das Zentrum meiner Muskelschmerzen, das Zentrum meiner Wohnung, das Zentrum meiner Sprache.
Ein seltsames Flattern in meinem rechten Ohr, eine Art Entladung von Spannungen, als würde das Ohr nur gähnen, das Flattern erweitert den Gehörgang, ich wünschte ich könnte jemanden beißen oder mich würde zumindest jemand küssen. Ich will auf einem grünen Hügel stehen und saubere Luft atmen.

Ich sitze vor einer weißen Wand und schreibe zweimal "weiße Wand" mit dem Finger drauf. Ich sitze mitten in meinem Leben, auf einer vielbefahrenen Kreuzung meines Bewusstseins, ich steige aus der Handlung meines Lebens aus und bilde mit der Musik und meinem Schreiben eine Kapsel, aus der heraus ich alles betrachten kann. "Es ist schon ein bisschen wie ein Film, das kann man schon sagen", sagt der nervige Klassensprecher und reicht den Joint weiter. Meine Kopfbewegungen werden immer schwerfälliger und ich werde schläfrig. Lohnt es mit dieser grazilen Müdigkeit zu tanzen? Ist der Tanz ein Widerstehen oder ein Müderwerden? Ist das der Abspann des Tages?

Langsam wird es kälter und eine freundliche, coole Interessenlosigkeit macht sich in mir breit, eine brüderliche Ungeduld, der Wunsch, mich ins Bett zu kuscheln, die Zuversicht, dass meine depressiven Freunde gut durch den Winter kommen, weil sie wissen, dass es mich gibt. - Gute Nacht, Erfurt!