Dichtsein will schöngeredet werden

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Ich dachte an all die heruntergewirtschafteten Gesichter in der Stadt, spürte das ganze furchtbare, sinnlose Existieren, das ich mit allem, was sonst noch existiert, teilte, begriff, dass ich Teil der riesigen, kalten, dunklen Halle des Lebens bin, die man mit unterschiedlichen Kunstgriffen so erträglich wie möglich macht, aber irgendwann doch wieder für immer verlassen muss und ich wusste um die dumme Arroganz meiner Hormone und Affekte, habe es aber trotzdem nicht geschafft, im Bett liegen zu bleiben.

So wie ich nicht über die Stadt hinaus denken kann, kann ich nicht über mein Leben hinaus denken. Die Musik schnürt die Dunkelheit um mein Haus fest, damit sie nicht davonflattert. Der neue Taschen-Vaporizer ist prima, er dampft die Essenz aus dem freundlichen Grünzeug. Dampf ist das neue arte. Viel davon am morgen schon nehmen - eine auffordernde Geste in die Dunkelheit. Darf ich bitten? Die nüchternen Lebensabschnitte klammern nur die berauschten Lebensabschnitte in Reihe zu einer Biografie. Wie Gäste einer gemütlichen Kellerparty stehen die Banalitäten meines Lebens in meiner Wohnung herum und quasseln und quasseln. Sie reichen bunte Getränke herum. Ich stehe mit einer Erektion in der Menge und denke an eine staubige Wüstenstraße, an der ich stehe und auf jemanden warte, der mich mitnimmt, mein Klappmesser in der Hose gibt mir ein Gefühl von Unnahbarkeit. Die Sonne ist grell, die Geier kreisen wie sie schon seit dreitausend Jahren kreisen, eine Sandwolke zieht sich am Horizont zusammen, ein winziger Schulbus kommt herausgefahren und wird immer größer und kommt immer näher und braust schließlich an mir vorbei, oder sitze ich drin? Ich schau ins Gesicht der Lehrerin (meine Augen glühen rot wie Heuschreckenköpfe in einer Feuerzeugflamme), ich weiß, dass es möglich ist, sie zu töten, ich stell mir vor ihr Gesicht zu vermöbeln wie mein Kopfkissen am morgen, ich schüttel es auf und ab, ich rammel es durch, ich reiß es in Stücke und blutige Daunenfedern schweben herab und die Polizei sieht den Schulbus, der im Graben liegt, vom Mörder der Lehrerin keine Spur.

Je lauter die Musik, desto mehr komm ich mir vor als würde ich im Rampenlicht stehen um Kindern eine gute Nacht zu wünschen, die sich nicht zwischen dem, was Mama und dem was Papa sagt, entscheiden können, die zu empfindlich sind, zu bösartig und instabil, die Vorbeischleicher, die Drückeberger, die Tunichtgute und Dreikäsehochs. Wütend kram ich Ohrenschmalz aus meinem Ohr, ungewiss ob die Wut überhaupt angebracht ist. Ich werde mir jetzt Nudeln machen!

Die Tatsache, dass ich lebe, macht mir immer noch etwas Angst. Ich befinde mich in einem Raum und es gibt Menschen, die etwas von mir erwarten. Was setze ich dem entgegen?

Meine Finger feiern die Tatsache, dass ich schreibe, sie sind flink und froh, während das Leben an meinem Kopf dreht, das Leben fasst mir kalt an die Innenseite meiner Oberschenkel, das Leben pustet saubere Luft durch meine Ohren, das Leben surrt wie ein transparentes Insekt im Raum, jemand wedelt mit einem rauchenden Teppich aus dem Fenster, die Szene wiederholt sich, die Szenen spielen sich auf jeder der schwankenden Tasten meiner Tastatur wieder. Ambiente Music ist die silber-glänzende Krone des Abends. Identifiziere dich mit ihr! Ein warmer Körper saugt an meinem kalten, sprudelnden Bewusstsein, saugt mich hinab, während ich schreibe.

In einer Viertelstunde muss ich los, die böse Gaya wartet am Domplatz. Ich glaub, ich weigere mich nur zu glauben, einen Fress-Flash zu haben, diesen Satz zu schreiben war ein langes Torkeln über Wendeltreppen. Die Stadt leuchtet in einem fröhlichen metallblauem Grau. Ich bin ein überempfindliches Balg. Alles was ich weiß und nicht weiß, schwenkt als schöne große Kugel an mir vorbei.

Beeindrucktsein macht müde, eine vitale, luzide Müdigkeit, ein Schleier, ein verqualmter Logenplatz. Stürmisches Herbstwetter, aber unter der Kapuze ist es gemütlich, eine Glocke die mich schützt. Es kommt mir vor, als schreie ich die ganze Gegend zusammen. Ich will mir an der Sparkasse im Rathaus etwas Geld holen und stelle fest, dass ich meine EC-Karte verloren habe. Mittagsschlaf scheint eine geeignete Strafe dafür zu sein.

Ich werde stinkig, weil das Koffein nicht wirkt. Nachschub gefällig? Der Grüne Tee schlägt mir heut irgendwie auf den Magen. Er ist sehr bitter. Ich schau mir eine Rede von Roger Willemsen an und lege mich dann auf die Hängematte, die längs hinter meinem Gesicht aufgespannt ist und genieße den Tag, baumelnd in einem Zimmer, in dem ich Musik höre und rauche. Wenn jemand fragt, warum ich schreibe: "Das ist nunmal das, was ich tue."

Das Leben ist bloß eine Tasse, die man verschüttet - und ich schäme mich nicht davor, die größte Tasse sein zu wollen. - Früher hatte ich oft Angst, beobachtet zu werden, also dass irgendjemand alles, was ich tu, bewertet und wartet, bis es einen Grund gibt, einzuschreiten. Später wünschte ich mir manchmal vor lauter Einsamkeit beobachtet zu werden. Heute bin ich soweit, dass ich glaube, mein Leben macht keinen Sinn, wenn es nicht beobachtet wird. Deshalb will ich berühmt werden: um von so viel wie möglich Augen so lang wie möglich beobachtet zu werden.

Meine Trägheit verbeult den Tisch, ein goldenes Bett, absolute Wahrnehmung des Gegenwärtigsein, kein Abgleich mit der Vergangenheit, keine Ahnung von Zukunft, fest im Moment isoliert; keine Tentakeln anderer Zeitformen glitschen in diesen runden, brodelnden Moment. - Das Zwischenreich: nicht schlafen, nicht wach sein. Ich streife im nonkausalen, überwirklichen Dschungel herum auf der Suche nach Früchten, die mir den Alltag versüßen.

Warum diese Droge nehmen? Dichtsein will schöngeredet werden, wenn es noch nicht dicht genug ist. Warum träumen? Manche Zustände sind Stoßstangen für den Kreisverkehr, Schwimmwesten im Shitstorm, Ausflüchte für Geringverdiener, Urlaubsmaßnahmen gegen die mechanische Abfolge grauer Tage, Wochen, Monate, Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte.

Rausch verändert nachhaltig, langfristig.

Das Gras will befreien von einem festen Stil. Die Worte stehen da wie kleine, fette, schwarze Häuser. Ich kann sie nüchtern umlaufen, sie stehen da und tun ihren Dienst. Ich klopfe sie ab. Eins nach dem anderen. Da steht ihr nun, wie Schmierereien an der Friedhofsmauer. Jemand klopft an die Tür, ich mach auf und Johannes steht in Unterhöschen vor mir, er sieht gut aus, aber ich weiß, dass ich ihn mir nur einbilde und er zuckt zusammen weil er denkt, ich gebe ihm eine Ohrfeige deswegen.

"Die Musik auf die ich Lust habe, gibt es vielleicht noch gar nicht: für mich die einzig mögliche Motivation, Musik zu machen", strahlt das Pathos, das ich wie eine Fahne herumschwenke, wie eine Zahnlücke, wie meine erste Haschisch-Pfeife, die ich aus Alufolie gebaut habe. Eine Behauptung wie ein Stück Schokolade.
Irgendwann in den frühen 90ern hat man Tom Waits Speed gegeben und er hat es gut vertragen. Dieser Halunke! Er hat so eine bodenständige Art, Drama zu machen. Er ist ein echter Philanthrop. Ich glaube ihm, wenn er sagt: "Ich habe nie wirklich Spaß" und jetzt die Blasmusikkapelle in einer alten Garage am Rand eines Industriegebiets. Wie kann man jemanden verehren, der sich missverstanden fühlt?

Der Künstler bastelt Blumen, pflücken muss sie jemand anders. Ja, auch Disteln an einem warmen Sumpf in der Abendsonne, auf Mutters Schoß liegen, in die Sonne schauen, an die Schule morgen denken. In meinem Nacken sitzt ein Hauptbahnhof von Zahnrädern. Die Kinovorführung kann beginnen. Wir zappen live rein: ich sitz an einem Tresen in einer Notaufnahme, der Trubel und ich haben Frieden geschlossen, wie zwei Cowboys an einer staubigen Straße: High Noon und ich erhebe mein Glas und beruhige mich: "Alles was du nicht weißt, lässt den Planeten kreisen." Ich wiederhole den Satz solang, bis ich eingeschlafen bin.

Bei luziden Träumen schnappt das Alltagsbewusstsein ins Traumbewusstsein. Auf Gras schwappt das Traumbewusstsein über die Linse des Alltagsbewusstseins. Beide Welten sind fest im Gehirn miteinander verbunden. Kurz hatte ich das Ende des Textes aus den Augen verloren, aber hier ist es wieder.

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Alles was ich zu sagen habe, steht in einer düsteren Ecke und verschränkt bockig die Arme, sendet kalte Blicke mir zu, darf ich um euch herumtanzen? Die Worte, die man mir wie lasch aufgeblasene Wasserspielbälle zuwirft, lasse ich nach oben fluppen. Die Musik klettert auf Bäume im roten Sonnenuntergang, die ganze Stadt lässt sich in den Sessel fallen, alle atmen durch und die Sterne funkeln wie der Kuss einer Mutter auf die Stirn der Stadt.

Der Rausch knetet mein Gehirn durch, als wöllte er meine Haare lila färben. Ich muss dafür bestraft werden, dass ich mich bisher nie mit Psychic TV beschäftigt habe.

Meine Unsicherheit in grammatikalischen Dingen ist ein dünnes, rissiges Fensterglas, das mich von der Außenwelt trennt.

Bekifft sein heißt, heimkommen in den gemütlichen Schoß der Hypersensibilität. THC simuliert ein kindliches Lebensgefühl. Wenn man sich mit seinen automatischen Körperfunktionen identifiziert, ist man authentisch im Sinne der Anklage. Der Körper lenkt sich selbst, ohne Zutun von Gedanken. Ein Automatismus, den kein Ideal verbiegt. Ein angenehmer Druck hinter dem Gesicht, der immer das Peak des Rausches markiert. Ein kräftiges, liebevolles Durchspülen mit Musik.

Der bekiffte Zustand ist eine Einladung, eine Frage, eine Aufforderung. Was stellst du heute mit den geweiteten Toren an? Du lüftest die Festung durch, aber wirst du auch aufräumen oder willst du nur, dass alles ein bisschen durcheinander kommt? Alles ist möglich, du brachst dich vor keinem deiner Bedürfnisse zu schämen, soweit sollte schonmal deine Selbstliebe gehen. Nimm dir, was du willst, und werde damit glücklich.

Ich möchte irgendwas in die Musik pflanzen, damit etwas Schönes draus wachsen kann. Ein rationales, zielgerichtetes, gläubiges, ängstliches Leben ist mit einer ungeheuren Anspannung verbunden, für die unser Körper nicht ausgelegt ist. Endlich mal zuschnappen, kleine Schildkröte!
"Jedem das Seine." Das sollte über der Eingangspforte jeder Droge hängen.

Es muss möglich sein, Menschen unter Gras zu einer Gemeinschaft zu binden. Träumende, die ihr Träumen organisieren. Eine gepolsterte Welt. Die Ekstase einer zusammengestauten Wachheit.
Der eindeutigen Assoziationen überdrüssig, ein alberner Karneval der Aufmüpfigkeit. Am Rand meiner Existenz, so dicht dran, dass sich mein Körper zusammenzieht, bleibt mir nichts mehr übrig als die Dosis zu erhöhen. Vielleicht bin ich ein Hausmeister, der gleich in die Steckdose pinkelt?

Wie Fahnen hänge ich meine Worte in den klaren Himmel des Unausdrückbaren. Ich bekenne mich zu dem, was ich kann und dem was ich nicht kann, ich habe so Angst nicht die Liebe und die Berühmtheit zu bekommen, die ich verdient habe. "Du spielst hier keine Rolle, deine Sehnsucht kannst du in deinen Schulranzen zurückstecken, hier in der Fabrik werden ganz andere Maschinen als du hergestellt."

An den Enden der Welt leben einsame, warme Menschen und warten auf das Zerbrechen der alten Strukturen. Man kann die Welt viel einfacher, schöner, nachhaltiger, gesünder gestalten: das Unbehagen an allem Stagnieren artikulierend, halten die Künstler das Rad des Werdens in Betrieb, das ewig andauern will ... so wie das Sein ewig unter dem eigenen Druck ein Loch in die Existenz strahlen will.

Ich führe nichts weiter im Schilde als ab und an wie ein dunkler Traum über den Tag zu stürzen. Mit meinen apokalyptischen Entspannungsübungen ziehe ich von Dorf zu Dorf. Jedes Wort zwackt nur kurz an den unheimlich elastischen Gummi des Unsagbaren. Alle Ideen verfärben den Himmel und lassen den Blick verschwimmen. Moral wächst dort, wo es keine Liebe gibt. „Allgemeingültige Werte“ wollen Menschen zusammenbringen, die nicht zusammengehören. - Ich verteile meine Ansichten wie Blumensträuße.

Die Musik (Pere Ubu) ist viel zu gut, als würde sie eine Genehmigung für mich unterschreiben, ohne zu prüfen, wer ich bin. Sie hat einen Kaffee in der Hand und hakt mich freundlich lächelnd ab.  Ich tu so, als würde ich pathetisch sein und salutiere. Die Unsicherheit an der Tastatur belustigt mich. Ich habe kein Gefühl dafür, wo im Leben ich stehe, ich weiß nur, dass alles gut gegangen ist bisher. Die Lautstärke des Müslis knuspert zu süß in meinem Mund, ich putze mir die Zähne und weiß: die Blutgefäße sind stabiler als man denkt und die Tastatur hämmert in mein Gehirn von hinten rum, ich spüre wie Hypersensibilität durch meine Gehirnadern rauscht wie runde Kinder die Rutsche im Freibad.

Die Leute wollen Arbeit, weil sie sonst nicht nachweisen können, dass sie ein Recht zu Leben haben. Es kostet Kraft, sich dieser Selbsterniedrigung entgegenzustemmen. Die Kraft wird von den Künsten ebenso genährt wie von bestimmten Drogen oder der Verehrung, die man für bestimmte Menschen empfindet. Ich möchte nicht, dass ihr mit dem Finger auf mich zeigt. Ich möchte nicht, dass ihr an euren Bärten zupft und etwas Gehaltvolles über Kunst loszuwerden versucht.

Ein neuer Schub klemmt sich meine Schläfen. Die Musik lässt den Druck vibrieren. Meine Antennen bohren sich in die Zukunft. Die ganze Welt existiert nur in einem großen Beutel, den ich immer mit mir herumschleppe, um mich jederzeit darin herumzutollen wie in einem Bällebad. Der Schub ist toll. Schwindelgefühl. Wie ein Luftballon hängt mein Selbst am Körper, den irgendwas im Boden festgemacht hat. Eingesperrt in einer engen Box, fliege ich über die weiten Felder meiner Imagination. Meine Finger tasten in die Grelle der funkelnden feuchten Tastatur. Ist das Euphorie?

Wie heißt das Kapitel, das ich mit dem heutigen Tag aufgeschlagen habe? Liege ich? Nein, ich sitze, aber ich kann mir vorstellen, dass ich liege, also sitze ich nur zur Hälfte. Ich hänge mit kindlichem Ehrgeiz jedes Wort an die Leine und Großvater steht daneben und lächelt anerkennend, allerdings so übertrieben, dass ich glaube, er macht sich lustig über mich, als würde er wissen, dass ich gleich auf die Schnauze falle. Geblendet von der Mittagssonne versuche ich guter Dinge das Fahrrad den Berg runterzulenken. Ich fliege über das Dorf, meine Augen werden größer bei der Frage was passiert wäre, hätte ich noch mehr geraucht. Eine direkte Frage in ein konkretes Gesicht gesprochen erzwingt etwas. Eine direkte Frage nur an eine Wand geschrieben lässt so viel offen.