Unser Haus ist eine Drüse

Ich gehöre glücklicherweise zu den am wenigsten respektierten Menschen in Europa, fröhlich arm und fröhlich nutzlos, wissend dass ich meine Wohnung und meinen Verstand nicht verlieren kann, obwohl es Viele geschafft haben und Einige aus einem katastrophalen Neuanfang neue Kraft geschöpft haben; ... so behaupten sie, vor sich herwippend und die Lippen bedienen den Webstuhl des Kehlkopfs, der die unsichtbare Luft in einen dünnen, tropfenden Song verwandelt. Sie singen: "Unser Haus ist eine Drüse, unser Haus ist eine notwendige Drüse." - Eines Tages werde ich auch eine Band haben.

Ich bin dankbar für die Freiheit, die man mir gibt. Ich persönlich habe keinen Grund, dem Staat etwas übel zu nehmen: die Institutionen tragen mich in kalten, weichen Tüchern. Ein Arsenal an Freunden, Therapeuten, Sozialarbeitern, Sachverständigen, Notaren, Sonderbeauftragten stehen dem Deutschen in mir zur Verfügung, um durchzuatmen und also will ich mein Rezept gegen alles predigen: Gemütlichkeit, Freundlichkeit, euphorische Schwammigkeit. - Fröhliche, schiefe, leichtfüßige Ernsthaftigkeit, ein kleines, sicheres Zimmer, begehbare Musik verteilt im Labyrinth der Straßen. All meine wunderbaren Freunde, voll weicher Weisheiten und harter Stimulanzen gegen Trägheit und Pessimismus, dumme Verwicklungen und hässliche Situationen.

Ich befinde mich in einem bunten, lauten, heruntergekommen Haus voller Alkoholiker, Kommunisten, Hacker, illegaler Asylanten, Free-Jazzer, Trödelhändler und Waisenkinder. Meine Funktion hier ist mir noch nicht klar und vorerst bin ich absolut nichtig, aber wenn ich es schaffe, mit anderen Menschen echten Kontakt aufzunehmen und echte Sachen zu machen.

Die Niedergeschlagenheit stabilisiert die Maschine, die die Manie erzeugt: ich meine das Gehirn. Leere, sinnloses Herumhängen, hermetische Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit, lange Schmerzen, schillernde Langeweile, Mordlust und Suizidphantasien kühlen dich ab, damit du an deiner Kreativität, deiner Liebe, deinem Tätigkeitsrausch, deinem Fanatismus, deinem Optimismus nicht zu Grunde gehst.

Alles muss schwanken, wenn du bei dir bleiben willst, wenn du dich nicht verlieren willst im Dienste einer höheren oder niederen Sache. Solang du dich nicht verwirklichst, solang du dich nicht entscheidest, solang du dich nicht im Theater mit den Anderen verhedderst, bist du frei und zu allem im Stande. Wenn du in dieser Luxusposition bist, solltest du die Chance nutzen und nicht einknicken: dazu helfe dir die Kunst, das Parlament oder wenigstens dein lokaler Drogendealer.

Man wird alt, wenn man sein Leben für zweit- und drittrangige Probleme verschwendet. Ich will ein berühmter Politiker, Künstler oder Mörder werden: falls ihr das zu aufgesetzt findet: ich finde es ebenso aufgesetzt. Deshalb möchte ich es ja werden: damit es nicht beim Aufgesetztsein geblieben sein wird. Am Anfang ist immer alles aufgesetzt und verkrampft. Andere finden das vielleicht peinlich, man selbst findet das garantiert peinlich, vielleicht peinlicher noch als die Anderen: aber das muss man verkraften, denn irgendwann verschwindet die Scham für den eigenen Lebensentwurf, und dann kann er in Fleisch und Blut übergehen, irgendwann ist die Maske mit dem wahren Gesicht verschmolzen, irgendwann ist man der König oder Narr oder Bösewicht, der man sein will. Je fanatischer man ist, desto glaubwürdiger ist man: das ist zwar gefährlich für das Gehirn, aber alle anderen Alternativen sind es auch: die Frage ist, ob man sein Gehirn überfordern oder unterfordern will, ob man stabil oder instabil sein will, ob man vor sich davonläuft oder hinter sich hermarschiert oder ob man die Illusion eines festen, zentralen, verantwortlichen Ichs nicht eintauschen möchte gegen ein fragmentarisches, dezentrales, sich ständig veränderndes Leben, immun gegen Versprechungen und Theorien aller Art. Meine von Schlaflosigkeit und Noise-Musik beladenen Knochen sollen meine einzige Struktur sein.

Die Menschheit muss sich in einem bunten, endlosen Dorf organisieren, so multikulturell wie das Internet: fest vernetzt, transparent, freundlich. Politik sollen Wissenschaftler und Künstler machen und keine Anwälte oder Betriebswirte. Es geht nicht darum, vernünftig und wohlhabend, sondern sensibel und vernetzt zu sein. Für lokale Probleme gibt es nur globale Lösungen, deshalb ist das Internet die Zukunft und Björn Höcke ein Esel: zeigen wir ihm und all den Schafen, die ihm zuhören und ihn feiern, dass wir Recht haben und laden sie, wenn wir fertig sind mit der Arbeit, zu unserem Siegesfest ein. Integrieren wir unsere Feinde in unsere Feste! Wirklich bei uns sind wir in Trance, im Rausch, im Multikulti-Wahn. Jede Irrfahrt ist lebenswerter als die heile Welt im stillen Getriebe. Soll dein Leben in Schwung kommen? Dann bring es aus dem Gleichgewicht, schieß dir mit Lachgas ein Loch ins Gesicht und mal schwarze Kreise an die Mauern der Stadt.

Kaffeesüchtige Schmetterlinge, schwule Außerirdische, Engel die auf Pisse stehen, arbeitslose Geheimagenten, HIV-positive, transsexuelle Stubenhocker, cannabissüchtige Apokalyptiker. Alle sind vernetzt, aktiv, kreativ, alle leuchten, zittern, warten auf den Startschuss. Alle rücken immer näher zusammen, eine ungeheure Spannung baut sich auf. Unser Haus ist eine Drüse die Hormone in die Stadt abgibt und plötzlich erfahren wir von einem Terroranschlag in Berlin, bei dem ersten Schätzungen zufolge über 20.000 Menschen ums Leben gekommen sind. Eine Bombe im Fußballstadion. Die Rechtsradikalen werden schon heute Abend ihren Einzug in den Bundestag feiern, vielleicht überholen sie die Sozialdemokraten.