Überschaum (Jahreswechsel 2015/16)

I
Es ist viel zu warm für Weihnachten, der Vollmond steht da wie eine Requisite, der Abend ist geräumig und lächelt in den Sonntag oder Montag oder Dienstag hinein, ich sehe am Rand meines Blickfeldes Schatten vorbeiziehen und erinnere mich plötzlich an Situationen, in denen ich wie gelähmt vor Angst und Ekel vor meinen Eltern war und ich höre, wie meine Mutter mich zusammenbrüllt. Halluzinationen sind Vision, die man noch nicht richtig zuordnen kann, überschießende Phantasie, die irgendwann Sinn ergibt. Der graue Himmel schraubt hinter meine Stirn das klare, weiche Bewusstsein meiner Einsamkeit. Es lohnt sich, etwas auszuhalten und es lohnt sich nicht, vor irgendetwas einzuknicken - das ist das Motto unserer schiefen Revolution.

Alle reden über das langweilige Wetter, während ich versuche, Demien Bartók zu sein, um die Manischen und Depressiven aus ihrem Häuschen zu locken. Es reicht nicht, wenn sie am Boden der Tatsachen alles verstanden haben und sich mit Hilfe ihrer Selbstmordgedanken immer weiter entfernen von allem, was Mama und Papa heilig ist. Sie müssen stolz auf ihre Empfindlichkeit und Hilflosigkeit sein. Wem alle angebotene Hilfe und Hoffnung durch die Finger rinnt, der ist frei und zu allem fähig. Der Depressive reinigt sich von allem Zweit- und Drittrangigen: nur so kann er Kraft für sein höchstes Ziel gewinnen. Je mehr der Depressive zurückweist, desto mehr Raum kann die Manie einnehmen, die mit Meditation, Drogen oder Liebeskummer ausgelöst werden kann. Jeder hat das Recht, die Vor- und Nachteile einer Depression und einer Manie auszuschöpfen. Jeder hat das Recht, seinen Körper, sein Bewusstsein, sein Ich zu sabotieren und umzustrukturieren.

Ich kann nur Leute ernst nehmen, die schlechte Laune haben, aber ich halte es nur mit Leuten aus, die nett und respektvoll zu mir sind.

Wenn man so wenig eingebunden ist wie ich, muss man - um sich nicht gänzlich in Luft aufzulösen - ständig mit sich selbst schreiben. Ich fühle mich gezwungen, meine Gedanken dem Charakter anzupassen, der in meinem Kehlkopf steckt. Deshalb ziehe ich das Schreiben dem Sprechen vor. Meine Fingerspitzen sind nicht so Ich-trächtig wie meine Stimmbänder.

II
Silvesterparty.


Tausende Fussel vom letzten Jahr in meinem Bett, hier regt sich niemand über laute Musik auf, jeder Bewohner hat bei Unterzeichnung des Untermietvertrags Ohrenstöpsel und eine Tüte Gras bekommen, niemand wohnt hier legal, niemand strebt auf eine interessante Karriere zu, ein Haus düsterer, freundlicher Verlierer, depressiver, plumper Punks und ich freue mich auf ein neues, sauberes, stabiles, interessantes Jahr, ich dreh mich feierlich zu greller Noisemusik in der lustigen oder bedrohlichen Unaufgeräumtheit meiner Wohnung. Gleich startet hier angeblich eine aufregende Silvesterparty, meine fröhliche, zerstörerische Müdigkeit, die das Warten auf den richtigen Moment, in dem alles zusammenfließt und ganz ganz einfach wird, wie ein schwarzes Quadrat in einem expressionistischen Matschmatschmatsch-Bild erzeugt, löst in mir ein Reinigungsbedürfnis aus, dem ich sofort nachkomme, während mein Mitbewohner furchtbar laut das WEISSE ALBUM der Beatles hört, alle hassen Paul McCartney, ich dreh das Album auch bei mir laut und in Zufallsreihenfolge auf, vor einer halben Stunde eine Packung DXM genommen, deren Wirkung in der warmen Badewanne sich voll entfaltet, die sich in einem kleinen Bad genau zwischen meinem Zimmer und dem Zimmer meines Mitbewohners befindet, die Tür konnte ich nicht verschließen, weil wir den Schlüssel verloren haben, wenn jemand reinkommt, tauche ich in das grüne Wasser, auf dem üppiger Glasschneeschaum eine undurchdringliche Sicherheit vor Blicken und dem Rest des Universums bildet, ich verliere mein Zeitgefühl bei Revolution No.9, ich kann mich zitternd vor Euphorie und Planlosigkeit gerade so mit einem alten Kopfkissenbezug abtrocknen, leider sind alle anderen Handtücher nass oder verschwunden. Es ist 21 Uhr und ich zünde meine Spotify-Playliste an, sehr sehr laut, so dass man grad noch alle Instrumente hören kann. Ich schleiche stundenlang immer wieder von meinem Zimmer durch das bunte, sich mit Menschen füllende Haus runter auf die Straße und wieder zurück, damit mein Floor Anschluss an die Anderen findet. Langsam füllt er sich, die Leute legen ihre eigene Musik auf, wie ich es ihnen befohlen habe, Johnny Cash und Wizo und Furz, ich bin entspannt, niemand weiß, dass ich der Gastgeber bin, ich stelle Daydream Nation ein und steigere mich schneidersitzend und voller geschlossener Augen in diesen wunderbaren Krach hinein, hier sind nur die, die keine Lust auf Silvester haben, keine Lust auf grölende Boys und dümmliche Girlies, hier wollen alle nur dumm rumstehen und Musik hören und lots and lots of beer schnackseln, bei der Hälfte des Albums verlasse ich plötzlich mein Zimmer und stürze in die WG schrägt unter mir, ich hab keine Lust mit jemandem zu reden, jeder wirkt auf mich so unentspannt, so bemüht, interessant und cool zu wirken, sobald jemand reißerisch über Drogen oder krasse Erlebnisse erzählt, wird mir leicht übel und ich suche mir ein anderes Gesicht, mit dem ich reden kann, der Schokokuchen ist lecker, ich sage kein Wort und kommuniziere ausschließlich mit Daumen hoch, Daumen runter, Daumen Mitte.

Die Langeweile macht mit meinem Körper das, was ein Witz mit meinen Mundwinkeln tut. Ich sitze in einem schönen, kargen Garten, der Himmel ist weiss und wütend, und ich strecke ihm meine schwarze Faust entgegen. Gesang ist gefährlich: er verbindet Worte und damit letztlich Handlungen unberechtigter Weise mit dem berechtigten Fanatismus der Musik. So beflügelt uns die Musik zu etwas, was jeglicher Substanz und Notwendigkeit entbehrt. Erst die Musik macht eine Abtreibung oder Hinrichtung zum Drama.

Man muss der kalten Wahrheit ästhetisch entgegenwirken. Das ist die Aufgabe jeder Party. Noch einen Kaffee bitte! Ändern wir die Hintergrundmusik und unsere Einsamkeit ist unser bestes Pferd im Stall - oder der Stall ist voller Menschen, die sich berühren und miteinander schnattern und mehr oder weniger perverse Dinge tun. Götter ohne Interesse am Weltall, ohne Interesse an ihrer eigenen Existenz. Roboter einer zweifelhaften Berufung. Ich muss einen Automat bauen, der alle Menschen auf einmal umbringt. Ich muss meinen Sadismus in einem transparenten, surrealistischen Bösewicht verwandeln und von mir abtrennen. Ich muss mich in die Sau verwandeln, auf deren Rücken meine Ruhmsucht durch die Großstädte der Welt stolziert, während linksradikale Schrebergärtner sich einem trostlosen Alkoholismus entgegensaufen: ihr seid die Zukunft! Läuten wir die Zukunft ein! Eine weiche, ganz ganz ganz weiche Kapitulation, ein euphorisches Einknicken in den Treibsand des Älterwerdens, der Abstumpfung, des Verfalls. Nur in euren Krankheiten und Dysfunktionen könnt ihr euch noch als Individuen verwirklichen.

ist mir alles zu seicht hier - ist mir alles zu fade, ich steige die Treppe nach unten - ich brauche keinen Seelenpartner, Koffein reicht völlig aus und eine Kettensäge voll Cannabis.ich hänge wie ein Gespenst mit Fieber in deinem tropischen Schlafzimmer - Rosenblätter auf meinen Augen - und Europa ist eine Festung.
die Durchschlagskraft der Raketen gleicht ungenaue Zielerfassung aus - so ist das im Krieg und der Liebe...
Es geht um die Frage, wie ernst ich was denn überhaupt nehmen muss, um anerkannt zu werden von wem denn überhaupt und warum?
Ich habe eine sehr intime Beziehung zu meinem Kot, der sich fragt, warum ich ihn wegspüle, wo ich ihn doch erst erschaffen habe und ich nehme die Frage ernst und verwirkliche das Gebot unbedingter Solidarität mit dem eigenen Körper, dessen Gesamtheit mit der Gesamtheit der Welt interagiert. Das Leben ist eine Frage die der Tod beantwortet, so wie diese Blume den Samen beantwortet hat, aus dem sie stammt

Was wollen die Leute?

Die Entscheidung, was ich schreibe und was nicht, hat irgendetwas mit meinem Gesicht und meinem Grabstein zu tun. Alles was ich schreibe, versucht dieses Irgendwas zu ergründen.

Entscheidungen werden so endgültig gefällt wie Bäume. Jeder gegangene Weg ist der Tod aller anderen Möglichkeiten. - Entscheidungen wollen nicht mit der Axt, sondern mit Zahnseide gefällt werden. Wenn ich in der Lage wäre, meine Möglichkeiten zu erweitern, wäre ich nicht mehr an mein Ich gebunden.

Jede Ameise will die größte Ameise sein. Wir lassen uns beobachten. Wir sammeln geduldig unsere Streichhölzer und Benzinkanister. Wir benutzen alles, was wir wollen, als Waffe. (Wir sind nicht so fanatisch wie das Kalifat oder die Junge Union.)

Die sinnloseste Euphorie ist die beste. Das grundlose, wirkungslose Strahlen im dunklen Zimmer; in der Ecke hocken und in den blauen Morgen schauen.

Warum kann man die Welt nicht wie ein Hotel verwalten? Warum gehen so wenig Putzfrauen in die Politik? Warum werden nicht gemütliche Grundschullehrer gemütliche Diktatoren? Wollen Sie sich nicht mal ein paar Jahre um einen Garten kümmern? Neue Freundeskreise erschließen? Die Menschheit soll Ihnen offen stehen, es soll Ihnen an nichts fehlen.

Ich bewerte einen Mensch danach, was er in einer Welt wäre, in der es nichts zu tun gäbe. Denken Sie mal an jemanden, den Sie sehr mögen. Und jetzt stellen Sie sich vor, welche Eigenschaften dieser hätte in einer Welt, in der sein Beruf, den er ausübt, einfach nicht mehr ausgeübt werden muss. Können wir jemanden auch mögen, der den ganzen Tag nichts tut? Schade, dass die verdammten Konservativen keine bessere Musik hören!

Soll ich mein Leben so gestalten, dass es Euch interessieren könnte? Oder soll ich mein Leben so gestalten, dass ich nicht auffalle? Wenn man Stacheln hat, hat man auch Lust, diese Stacheln gegen jemanden einzusetzen. Die Lust an der Bewegung, das Glühen des Rausches ist das Zentrum jeder Moral, der Ausgangspunkt jeder Revolte und das Ende jeder Schrebergärtner-Phantasie. Ich liebe es mich zu wiederholen, ich bin ein kluger Brummkreisel, Noise Jazz ist gut für die Darmtätigkeit, alles muss weiter verdichtet werden.

Nie wieder Deutschland, nie wieder Schlagermusik, nie wieder Kompromisse mit Leuten die wir nicht anfassen wollen, nie wieder arbeiten für Leute mit denen man keine Kompromisse schließen kann. Musikgeschmack ist wichtiger als Eingliederungsvereinbarungen. Blumen! Marmelade! Je öfter du auf die falschen Knöpfe kommst, desto mehr Perspektiven gewinnst du.

Selbstzerstörung ist ein Werkzeug gegen unverschuldete Entmündigung. Die Zügel wieder in die Hand nehmen, bedeutet: zu lachen, wenn alles schwankt, wenn alles suppt. Manche werden, während sie nüchtern, das heißt bar jeder Illusion, bar jeder Freude, bar jeder existentiellen Not, betrachten, wie leer und völlig unbedeutend ihr Alltag ist, das Drehen und Kreisen um die selben, langweiligen, unnötigen Probleme als Kraftverschwendung, Zeitverschwendung ansehen lernen; all die Möglichkeiten, die verloren gehen, wenn man sich seiner sicher ist! Man fügt sich in die Zukunft ein, die der Staat für einen vorgesehen hat, ohne Zappeln. Ich habe erkannt, wie ekelhaft es ist, von anderen Menschen irgendwas geboten bekommen zu wollen. Ich stehe im Trenchcoat im Wohnzimmer und schaue mit feurigen Augen nach draußen, auf den Marktplatz, der sich vor meiner Wohnung befindet und spreche in mein Funkgerät: "All die Verloren, die zu weich, zu dumm sind, um sich erniedrigt zu fühlen von der Hoffnung, akzeptiert und unterstützt zu werden. Je eher man lernt, allein zu leben, desto besser." Ich ziehe die Vorhänge zu, setze mich auf meine Matratze und esse eine Kleinigkeit, damit mein Magenknurren mir meine Nichtigkeit nicht länger verdirbt.

Ich muss in drei Stunden den Bericht abgeben. Bisher habe ich nur ein paar Notizen zusammengeklebt. Die Pharmaindustrie hat das Monopol für Wahrheit. Nüchternheit ist Passivität. Alles, was antreibt, macht süchtig. Alles, was wir unserem Denken unterziehen, zerschneiden und knicken und leimen und zerreißen und verschmieren wir. Das Ich vermittelt zwischen Wahn und Welt, wo findest du etwas ECHTES zum Anlehnen?

Das Internet bietet zum ersten Mal in der Weltgeschichte armen Leuten wie mir die Gelegenheit, nach Lust und Laune Hinrichtungen, Pornos und Eichhörnchenvideos anzuschauen. Ich verfüge über eine schier unendliche Palette an Musik, ich kann alles lesen und mit anderen teilen, ich erzeuge ein virtuelles Abbild von mir, das zu einem eigenständigen Akteur im virtuellen Bereich wird und Auswirkungen auf die sterbliche Analogversion von mir hat. Die Welt wird transparenter, die Welt rückt zusammen, die Vielfalt des Lebens auf der Erde, die Vielfalt der Kulturen und Werte wird zukünftigen Generationen keine Neuheit mehr sein; nichts wovor sie Angst haben werden! Ich könnte mir vorstellen, dass Nationalisten das Internet zensieren werden, um die Lust auf eine heterogen zusammengesetzte Stadtbevölkerung in Zaum zu halten. Die Schäden, die ein kontrolliertes Internet verursacht, sind verheerender als die Schäden, die ein freies Netz verursacht. Je offener, transparenter, zugänglicher, unbeobachteter die virtuelle Parallelwelt, desto offensichtlicher werden Missstände und desto kreativer kann man mit Ärgernissen umgehen, die hier und da immer wieder auftreten werden. Nur ein Idiot träumt von einer Welt ohne Probleme. Jede streng reglementierte, demokratisch legitimierte Überwachungsstruktur kann später von konservativen oder totalitären Kräften für ihre Zwecke missbraucht werden. Deshalb muss jeder Anflug von Überwachungsstaat so früh wie nur irgendwie möglich im Keim erstickt werden. Lasst die Menschen in Ruhe! Eure Kameras und öffentlich-rechtlichen Geheimdienste machen bloß die falschen Leute klüger und geduldiger.

Letztlich habe ich keine Ahnung, was die Leute wollen.

Ein Strauß roter, violetter, blauer Ichideen

Ich wünsche jedem einen sicheren Unterschlupf
jedem einen Raum in dem er Krach machen kann
für niemandem wahrnehmbar, außer Reichweite.

Ich stehe mit einem roten Regenschirm auf der Bühne und werde ausgepfiffen. Es ist unmöglich, die persönliche Reife eines Menschen zu definieren, das wisst ihr. Und ich weiß, dass ihr den Grad der Reife, die ich ausstrahle, an die Messlatte Eures Ideals von einem reifen Menschen haltet. Mein Stiefvater hat mich oft angebrüllt und geschlagen, wenn ich die Musik zu laut aufgedreht habe oder ihm widersprochen habe oder mich unmännlich angestellt habe. Niemand ist mit seinen Mitmenschen wirklich zufrieden. Niemand will irgendwen so lassen wie er ist. Der Mensch ist ein permanenter Weltveränderer. In jungen Jahren ist er von seiner Neugier und seinem Optimismus angetrieben, in älteren Jahren von seiner Müdigkeit und seinem Überdruss. Niemals wird der Mensch zur Ruhe kommen. Nichts deutet darauf hin, dass der Sozialismus wiederaufersteht und bereit ist, sich zum ersten Mal richtig radikal ernst zu nehmen.  In dieser apokalyptischen Warengesellschaft spielt Reife und persönliche Integrität keine Rolle, denn es reicht, wenn man eine Funktion übernehmen kann. Ich sage: wir Übrigen müssen unsere Nichtigkeit so viel herzlicher, lieblicher, verzettelter, strauchelnder organisieren! Wir müssen alles dafür tun, dass sie uns nicht fertig machen. Wie ernst kann man einen Künstler nehmen?

Der Nachmittag beginnt mit der immergleichen Forderung: nimm eine Überdosis Cannabis und Coffein, stell dich ins Stadtzentrum und schau zu, wie viel du ertragen kannst. Das ist die Hauptaufgabe, wenn man eine Droge entdeckt hat: die Intensität steigern und an den Überforderungen und Angstschüben und all den schrecklichen Dingen, die man sieht, wachsen. Je mehr man ertragen kann, desto lebendiger die Seele. Sich ganz weit rauslehnen ist eine ernste Angelegenheit, die sich ein freundliches, abenteuerliches Lächeln aufs Gesicht gelegt hat, wie eine Blume auf die Stirn eines schlafenden Kindes. Wir müssen uns immer mehr zumuten, wir müssen einfach alles ertragen. Man kann das Leben nicht verlängern, aber seltsamer machen.

Wir brauchen Andere nur, um jemanden zu haben, dem wir weismachen können, dass wir in bestimmten Dingen keine Kompromisse machen können. Wir benutzen unsere Mitmenschen als Stimulanz für eine Ichidee-Erfindung und Ichidee-Umsetzung. Ich und meine verdammten Freunde treten dafür ein, statt "Ich" immer "Ichidee" zu sagen, wobei Ichidee wie eine Blume ausgesprochen werden muss: "Einen Strauß Ichideen bitte!" ... "Ichidee ist blass und wird immer transparenter, während sich im Hintergrund der tiefe, schwere Körper wie ein sanfter, schlacksiger Riese erhebt und niesen muss." Ich sehe die warmen Ichideen hinter den Gesichtern meiner Freunde in roten, violetten, koffein-strahlenden Farben, eine heitere, manische Blumenwiese, die den Sonnenuntergang besingen als wäre das der Werbespot für psychoaktive G/u/t/e/n/M/o/r/g/e/n/m/i/l/c/h namens "Der schwarze Spion", mit Himbeergeschmack gefärbt und der Extraportion Dextromethorphan. Psychedelische Superhaushaltsmittel. Überschreiten Sie bitte mit Ihrem kompetenten Reisebegleiter Dr. Bösewicht die Grenzen des guten, deutschen Geschmacks, den Geschmack der Bibliotheken und Rummelplätze und Schnellimbisse, verwandeln Sie bitte das giftige, zersetzende Menschentreiben, das sich schwarz und laut gurgelnd durch den Geist der Stadt frisst frisst frisst. In einer so harten, dreckigen Stadt kann man nur auf harte, dreckige Gedanken kommen. Ich und meine gottverdammten Freunde treten dafür ein, als offizielles Wahrzeichen einer Stadt die Gesamtheit aller Gesichter der Montagmorgen in den Fußgängerzone zur Arbeit Hetzenden zu ernennen. Alles, was die Stadtkultur den Menschen gebracht hat, kann man an ihrem Montagmorgen-Gesicht ablesen.

Meine Freunde und ich befinden uns unter euch, aber erwischen werdet ihr uns nicht! Wir sind euch voraus, weil wir durcheinander sind. Wir beobachten euch Montagmorgen, wenn ihr euch schnell noch einen Kaffee holt und die Bahn verpasst und heimlich eine Zigarette im Nichtraucherbereich ausdrückt oder einem jungen Mann hinterherschaut oder eine Taube füttert oder versucht einen solchen Gesichtsausdruck zu machen, dass euch niemals jemand ansprechen würde. Wir beobachten euch, wenn ihr dem Penner einen Kaffee ausgebt, oder wenn ihr euch wünscht, ihr hättet das wirklich getan, statt bloß dran zu denken.

Ich berausche mich an Bewusstseinserweiterung, um mich für die große Politik gerüstet zu fühlen. Wie anders als körperlich zufrieden und geistig auf der Höhe sollte man große Politik betreiben? Ich habe ja nichts gegen Gewalt an sich, aber oft ist ein nettes Gespräch völlig ausreichend. Das große Welttheater ist nicht mehr als ein apokalyptischer Nachbarschaftsstreit. Wirbeln wir so viel bunte Blumen auf wie möglich. Die Leute, die nationalkonservativ wählen, setzen alle kulturellen Leistungen der letzten 200 Jahre aufs Spiel. Die Ideologien verhärten sich, bewaffnen sich, blasen zu einem Endkampf, den vielleicht selbst ein offenes, liberales, kritisches Internet nicht aufhalten wird.

Wir, allein Europa und Nordamerika hätten die Milliarden Euro, die wir für Kriege ausgeben oder die uns illegale Steuertricks kosten, verwenden können, um die Flüchtlinge aus der ganzen Welt human und freundlich aufzunehmen, hätten einfach miteinander leben und nicht gegeneinander leben können. Der Islam muss natürlich zu einem freien Europa dazugehören. Überhaupt: jeder Mensch hat das Recht, überall auf der Welt sein Glück zu versuchen. Das Gegenteil von einem multikulturellen Kontinent ohne Leitkultur ist die bockige, Kleinigkeiten zu Katastrophen hochschraubende Vereinzelung und Radikalisierung. Es darf sich niemand durchsetzen, wir müssen nebeneinander, statt im Wettbewerb miteinander leben. Ich und meine vom Teufel besessenen Freunde werden aggressiv, wenn sich jemand dazu aufspielt, seinen Wahn, seine Ichidee über Menschen zu stülpen, die, geschmückt von anderen Ichideen einem ganz anderen Wahn folgen. Eine multikulturelle Politik ist angewandte Psychedelik. Wir liefern mehr als nur Metaphern.

Es macht Spaß so schlüpfrig zu sein, es gibt keinen Grund mich festzulegen, es funktioniert auch alles ohne feste Meinung, liebe Sachbearbeiterin! Aber lohnt es sich, heute noch so derart fröhlich zu sein wie ich es bin?

Wir müssen unsere psychedelischen Massenvernichtungswaffen schmieden, scharf machen und in Stellung bringen. Bald kann die freie Welt jede Waffe gebrauchen, die verfügbar und noch nicht so komplett gescheitert ist wie all die Waffen vorher. 
Angesichts der Weltlage erscheint uns Stil und Nüchternheit nicht mehr als seriös. Ein charismatischer Fernseh-Kabarettist brüllt mit lachenden Augen die Quote nach unten: "Diese Nüchternheit hat uns ja gerade in die Kacke geritten." Alle lachen und leuchten gelangweilt. Er wollte doch nur helfen, die Nerven zu bewahren im Alltag mit Dogmatikern, Faschisten, besoffenen, gewaltbereiten Familienvätern, die über gewaltbereite Ausländer geifern. Zeige mir einer einen besoffenen, gewaltbereiten Familienvater, der nichts gegen Ausländer hat und dir auch noch erklären kann warum. Unvorstellbar. 

Ich und meine verkommenen Freunde leben zwischen den Ordnungen, über den Städten, weit unter Europa. Unser Musikgeschmack schmeckt nach Religion, unser bunter Kaffee fordert uns zu unsichtbaren Abenteuern heraus. Wäre es nicht toll, wenn die Menschen einer Stadt sich nach ihrem Musikgeschmack organisieren würden? In jedem Viertel herrscht ein anderer Geist und jeder Bewohner kann immer überall hinziehen. Bewegungsfreiheit ist die Grundlage für sozialen Frieden. Musikgeschmack sagt mehr über eine Person aus als ihr Beruf.

Die Menschen müssen zusammenleben können, also brauchen sie unbedingt ihre Privatsphäre, viel Raum für eigene, stadtteilspezifische Regeln. Eine "objektive Regierung" könnte lediglich dafür Sorge tragen, dass das Gleichgewicht der Vielheiten erhalten bleibt. In dieser Utopie besteht Realpolitik nicht darin, eine Leitkultur umzusetzen, sondern zu verhindern, dass sich eine Leitkultur bildet. Ein unabhängiger, freundlicher, transparenter, dezentraler Apparat, der dafür sorgt, dass die Ideologien und Religionen in ihrem Stadtteil bleiben. Es muss ständig zum Austausch kommen, damit sich nichts verhärtet. Es zählt dann nicht, was die Mehrheit will, sondern dass jeder etwas anderes wollen kann, dass sich niemand für irgendwas entscheiden muss, dass jeder Seinesgleichen findet und bei Bedarf wieder verlieren kann, um sich weiterzuentwickeln in eine namenlose Richtung. Das ist die Utopie: Leute, die sich wirklich leiden können, weil sie ähnliche Werte haben, die aus einem ähnlichen Geschmack, aus ähnlichen Lüsten und Träumen kommen, organisieren ihr Zusammenleben und interagieren freundlich mit dem Rest der Welt. Ich stelle mir die Welt als Sammlung von Millionen von Wohngemeinschaften vor. Jede soll ihre Eigenartigkeit verteidigen. Eine App könnte dafür sorgen, dass jeder seine geeignete WG findet, eine Suchmaschine, die weltweit Wohnprojekten findet, die einem bestimmten Lebensstil folgt. Und jeder muss überall hinkommen können, Mobilität muss zu einem Grundrecht werden, es muss verfassungsrechtlich verboten werden, an bestimmten Grundbedürfnissen zu verdienen: Essen und Trinken und Bildung und Wohnung und medizinische Versorgung müssen für jeden gesichert sein; diese Grundentspannung müssen wir uns leisten, sonst fliegt uns alles bald um die Ohren. Die Sozialisten haben Recht: wenn man nicht radikal Krieg und Ausbeutung aus der Welt tilgt, radikalisieren sich die Religionen, verstärken sich faschistische, anti-aufklärerische Tendenzen. Oft könnte man denken, dass die meisten Menschen abgestumpft und herzlos sind und lieber in einen Krieg ziehen würden, als in einem komplexen, interkulturellen Lebensraum vor lauter Überforderung zwischen Paranoia und Langeweile zu pendeln.

Viele Leute wollen abstumpfen, um sich von ihrem Selbsthass abzulenken, den sie angesichts ihres Lebensstils empfinden. Die Leuten schreien nach Beschäftigung, wenn sie sich nicht allein vorgaukeln können, dass sie wichtig oder nützlich oder wenigstens angenehm sind. Ich und meine abgeschossenen Freunde wissen uns sehr gut ohne Jobs und Vorgesetzte zu beschäftigen: wir brauchen niemanden, der uns herumschubst, wir sind nicht psychisch abhängig von primitiver, monotoner Arbeit, die jeder Computer, jeder Roboter effizienter verrichten kann.

Wir Deutschen empören uns gerade, weil in einem neuen Auto-Werbespot Kindern gesagt wird, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Bin ich ein Spielverderber und Kinderquäler, wenn ich behaupte, dass die, die sich empören, dumme Menschen und obendrein schlechte Eltern sind? Wie kann man es für pädagogisch richtig halten, Kindern etwas vom Weihnachtsmann vorzulügen? Soweit ist es gekommen: man nimmt Anstoß daran, dass eine Werbung den Weihnachtsmann als irreal darstellt. Und in den Kommentaren darunter beruhigt sich das hässliche Volk: "Ach, der Weihnachtsmann ist kapitalistischer Amidreck, bei uns kommt das Christkind." Wie ekelhaft das alles ist, und vorallem: was der Ekel an Individualität und Kreativität freisetzt... nötig macht... Angeekelt und abgestoßen und ausgestoßen und in der Ecke verkrümelt muss ich alles versuchen, um meine Fröhlichkeit zu erhalten. Ich muss fröhlich sein, um produktiv zu sein, ich muss produktiv sein, um nicht depressiv zu werden. Flauschgift ist nicht das Zentrum, es stabilisiert das Zentrum bloß.

Ich und meine zurückgebliebenen Freunde halten Psychedelika für geeignet, eine liebevolle Parallelwelt zu inspirieren, wo der Verkehr mit Menschen entspannter und zugleich tiefgründiger gestaltet werden kann. Es führt kein Weg an einer fröhlichen Politik vorbei. Wir könnten die Welt so gestalten, dass jeder seine Ruhe haben und sich gleichzeitig einbringen kann in den Gesamtprozess. Wenn es Leute gibt, die einfach nicht mitmachen wollen, dann wird unser Reichtum sie einfach mit durchbringen. Wir lassen niemanden auf der Strecke, bloß weil er stinkt und dumm ist und ohne Charme und Reiz und völlig frei von irgendwelchem Talent keine einzige Regung von Herzlichkeit und Begeisterung vollbringen kann. Er kann gegen unsere Liebe sein, trotzdem schleppen wir ihn mit, er ist eine grimmige Ratte, die einfach mit bei uns ist, die wirklich nicht stört, weil ihre Bedürfnisse so überschaubar sind und wir so viel zu geben haben. "Geben wir den Nutzlosen einen sicheren Wohnraum und unterstützen ihre Süchte, dann können sie sich wenigstens ein schönes Leben auf ihrem Niveau machen und nerven uns nicht weiter.", so spricht unser herzlicher Humanismus. Wir werden dafür sorgen, dass sich jeder jeden Tag die volle Teilhabe an der ganzen Kultur leisten kann. Wenn wir ihn nicht genügend inspirieren können, mitzumachen, dann ist das doch nicht sein Problem, sondern unseres! Unsere Solidarität mit den Nichtsnutzen und verkommenen Subjekten folgt einem Widerwillen gegen ein perfektes System, in dem jeder seinen Beitrag leisten muss. Meine erleuchteten Freunde und ich sind noch keinen Meter weitergekommen, weil uns noch keiner sieht und hört. Aber wir sind schon da, wir kennen unser Potential, wir haben keine Scheu, unseren größten und drängendsten Phantasien zu folgen.

Ein Horror-Rausch deutet lediglich auf eine unfreundliche Umgebung hin und ist nicht mehr als eine dramatische Aufforderung, die Umgebung umfassend zu verändern. Wenn Menschen mit Drogenpsychosen behandelt werden, darf man nicht so tun, als wäre die Wirkung von Drogen, ich meine besonders bestimmte bewusstseinserweiternde Drogen wie Cannabis, LSD (und seine natürlichen Verwandten), Koffein oder Dextrometorphan, unabhängig von Set und Setting. Ich kann keinen Mediziner ernst nehmen, der ein bisschen Gras in einer entspannten Umgebung mit Freunden als kontraproduktiv für die Behandlung von Angst und Nihilismus bezeichnet. Ich sage bewusst Nihilismus und nicht Depression. Die Depression ist nur eine mögliche Folge eines Nihilismus, der unterstützt von unterschiedlichen Enttäuschungen und Krisen seinen Weg in die Herzen der Bevölkerung gefunden hat. Besonders die armen, ausgegrenzten, kulturfernen, arbeits- und konsumsüchtigen Geister haben kein höheres, ihren Alltag übersteigendes Ziel vor Augen, zeigen jeder zarten Hoffnung die kalte Schulter und können keine intensiven, mehrdeutigen Freundschaften aushalten; manchmal erregen noch radikale Großmäuler ihre Gemüter und vielleicht greifen sie bald zu den Waffen! Ein bisschen Sensation und Action, ein bisschen das Gefühl von Leben und Liebe und Freiheit haben, ein bisschen so tun, als könnte man an etwas glauben, als wäre man zu etwas Wichtigem im Stande. Arme Ficker! Sie verplemperten ihr Leben am Fließband oder auf dem Laufband, all ihre Träume sind Massenware, ihre Feste sind langweilige Zudröhn-Spektakel, alle drehen sich ziellos im Kreisverkehr ihrer Mittelmäßigkeit und werden immer müder und hoffnungsloser. Die Mittelmäßigkeit ist die Folge einer ausgeschöpften Individualität im Rahmen dessen, was erlaubt und gewöhnlich ist.

Wer Stabilität und Berechenbarkeit und Arbeit nötig hat, um über die Runden zu kommen, ist angekommen und braucht sich von niemandem mehr etwas sagen lassen, weder von Priestern noch von Polizisten noch von Junkies noch von Freunden noch von Schriftstellern noch von Kritikern oder Soziologen. Ich und meine erhabenen Freunde wenden sich wirklich nicht an die, für die alles schon entschieden ist. Wir wenden uns an die, für die noch nichts entschieden ist oder die nicht wollen, dass etwas für sie entschieden ist. Wir wollen denen, die sich nicht verstricken wollen, die Goldene Schere sein, wir wollen die, für die es noch nicht zu spät ist, aus Sackgassen befreien, aus denen sie nur noch auf irrationale Art und Weise befreit werden können. Wir sind ein Anker, ein Vorschlaghammer, eine fröhliche Behörde, in der sich Menschen in Rauschzuständen, von Regen durchnässte Liebende, die sich berühren wollen, aber nicht überwinden können, asomnische Raben, paranoide Nichtstuer, hypnagoge Agenten, Mischwesen, Halbierte, Vampire und Zirkusfreaks und Literaturprofessoren und alle Leute ohne Pläne und Ichideen organisieren und für ihre Interessen kämpfen.