Fröhlichkeit ist Kreativität

Die Struktur meiner Texte simuliert und stimuliert die Struktur meiner Ichauflösung. Die Auflösung meiner Schriftsteller-Identität euphorisiert die Gefahr, ganz umzukippen. Wie naive, selbstbewusst trötende Hühner tanzen meine Gedanken durch diese Zeilen, die sich unendlich vervielfachen und den Raum überziehen, der viel Platz zum Brüten bietet. Ich erschließe Raum, ich bin selbst nur Raum, ich bin die Flamme in meinem Kopf, die einen Raum einnimmt, die genauso Raum wie jeder andere Raum ist. Ich stecke nirgendwo.

Ich bin Sprecher eines unsichtbaren Abschaffungsunternehmen. Wir haben uns in den Geist der Stadt eingestöpselt. Eine Tarantel wartet auf ihr Frühstück. Bald wird sie aus ihrem Loch gesprungen kommen. Süßes Warten. Die Leute ahnen, was ihnen blühen wird.

Die Peinlichkeit meiner Aufmerksamkeitsgier bildet das Gleitgel, das ich brauche, um es meiner Karriere richtig zu geben. Aber ich bin nicht weiser als irgendein Verlierer, ich bin nicht reicher als ein Millionär, ich bin nicht grüner als ein Kleeblatt, ich gebe mein Allerbestes, um Brötchen zu verdienen, indem ich so entspannt und glücklich wie möglich ein Denkmal baue, das die Magie um sich selbst kreisender Kreativität verherrlicht.

Fröhlichkeit ist Kreativität. Nüchternheit ist Resignation. Der Schaffende versucht, die Depression abzuschaffen, die in ihm wohnt und immer mehr Raum einfordert, die sich ernährt von Überempfindlichkeit und Klarsicht. Sein Werk dient ihm als Blitzableiter, wenn das Unwetter der Depression drohend über der Stadt liegt. Der Schaffende überwältigt seine Sensibilität und Angst und Verwirrung, indem er sie als Werkzeuge für seine Arbeit benutzt: eine Arbeit die genau deshalb fröhlich macht, weil sie von Lebenskraft und Mut und Abenteuerlust zeugt: der Schaffende beweist sich schaffend seine Schöpferkraft: er vergewissert sich tüftelnd, schwitzend, lärmend, kleckernd seiner Vitalität. So treibe ich seit Monaten die immer gleichen Späße in einer Stadt, die es gar nicht mehr gibt: meine Späße haben sie abgeschafft und nichts kann mir meine Fröhlichkeit mehr nehmen.

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Morgen trinke ich mit einem Gerichtsvollzieher schwarzen Kaffee, danach mit meinen drei besten Freunden einen grünen Tee, dann gehen wir ins Atelier und arbeiten an einer Noise-Poetry-Performance, die wir im Treppenhaus der Kunstuniversität abfackeln, zum Vollmond nächste Woche. Ich glaube, ein allabendliches Lagerfeuer im Kreise meiner besten Freunde würde mich versöhnen mit der ganzen Welt und mich bunt und wild träumen lassen und den nächsten Tag mit frischem, ehrlichem Größenwahn beginnen lassen. Ich hab Lust mich der ganzen Welt zu zeigen, alles läuft darauf hinaus. Mein Herz ist ein schwarzer Magnet, der alle schönen Dinge anzieht und mich auf gute Gedanken kommen lässt. Meine Lebendigkeit ist lebendiger als die Lebendigkeit der Sonne. Meine Weisheiten langweilen mich wie bunte Tapete. Wenn Trump Präsident wird, ist alles erlaubt. Das wäre wirklich eine Zeitenwende. Eigentlich wäre das die richtige Zeit, um mit diesem Buch berühmt zu werden, aber vielleicht ist alles auch zu spät. Dann kann ich The Birthday Party auch richtig laut hören und solang mich von Kaffee, Obst und Gras ernähren, bis alles einstürzt. Das ist das großartigste Jahr meines Lebens: 2016. So viel wunderbare Zufälle, so viel wunderbare Begegnungen, so viel Licht und Wahnsinn, so viel Gemütlichkeit, so viel neue Songs, so viel neue Auftritte. Dieses Buch ist ein goldener Blumenkranz, den ich dieses Jahr 2016 aufs Haupt setze. Ich hab Lust nur noch weiße Sachen zu tragen, ich habe Lust mich viel langsamer zu bewegen und ständig laute Musik zu hören und ich träume immer deutlicher von einer wirklich wilden Band und ich küsse all meine Freunde. - Marihuana ist gut für dich, denn auch Free Jazz ist gut für dich: Fröhlichkeit ist Kreativität gegen die Abstumpfung. Dafür lohnen sich alle Delikte und Fehler und Peinlichkeiten! Wenn man sich dagegen wehrt, irgendwas zu bereuen, kommt man auf die einzige Bahn, die zum Ziel der Ziele führt: die schiefe Bahn nämlich, die dich direkt zu dir selbst führt.

Ab der Volljährigkeit gilt, dass man mit jedem Jahr in harter, stressiger oder langweiliger Erwerbsarbeit ein Jahr biologisch altert. Ich bin also - nach einem Jahr Sozialdienst in einem Behindertenheim  - seit zehn Jahren neunzehn und in einer Woche werde ich plötzlich dreißig und brauche dann zehn Jahre, um meine biologischen Zwanziger auszuleben. Fast all meine Freunde sind fünf bis zehn Jahre jünger als ich und nach ein paar Jahren wechsel ich sie wieder. Alles ergibt sich ganz von alleine, ich kann mich ganz passiv machen und die Ereignisse tun das Nötigste, um mich meiner Bestimmung zuzuführen. Ich hänge seit neun Jahren in Erfurt fest, ohne zu altern, weil ich nicht arbeite, halbwegs gesund lebe und im Grunde nur das tue, was ich begeistert tue und seit zwei Wochen hab ich ein fünftes Brusthaar. Ich habe Lust auf eine dramatische Wende, auf eine coole Romanze oder am liebsten eine Band oder beides gleichzeitig und jetzt und sofort!

Wir müssen uns darüber im Klaren werden, dass langweilige Musik uns töten wird, der Rest ergibt sich aus den Konsequenzen, die wir aus unserer Beispiellosigkeit ziehen. Ich stelle mir vor wie ich einen weißen Hasen schlachte und seine Gedärme über die Straßenbahn-Leitung werfe wie Verliebte ihre zusammengebundenen Schuhe. Ich mal mein Gesicht schwarz, starre an die schwarze Zimmerwand.

Ich bin mir sicher, dass das ein guter Tag ist, weil ich zwischen allen Problemen stehe und die Euphorie in der Musik zu glauben bereit bin, sobald ich einen großen Schritt, einen kleinen Sturz von der Treppe weit entfernt von mir bin: kein Beruf, kein Stress, arm und gemütlich, sehr schwach ausgebildete depressive Tendenz, wenn ich lang allein bin, sonst aber auf der Höhe meiner kreativen Kraft, die ich einzig dafür verwende, meine Selbstherrlichkeit zu verherrlichen, das Nichts in warme, heitere Schwingungen zu versetzen mit psychedelischen Selbstbekenntnissen, die den Betrug, den die Stadt gegen mich verübt hat, eine Retour-Kutsche in die Einfahrt stellt, wie ich meine helle Freude über den Bruch mit meinen lieblosen, zurückgebliebenen Eltern wie einen weichen, blauen Kaktus auf mein Fensterbrett stelle. Mein gelber, plüschiger Schlafanzug leuchtet im Dunkeln, wenn ich eine Erektion hab. Ich esse einen Schokokeks.

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Warum Möglichkeiten ungenutzt lassen? - Setzt Euch mit mir auf den Boden. Wir brauchen jeden Abend samtene, euphorische Abende, in Zeitlupe, voll klarer Gedanken, verziert von den filigranen Fäden des süßen Rauchs, in Erleuchtung eingeweicht; rotleuchtende und blauleuchtende Stehlampen, frisch geerntete Sessel aus DDR-Zeiten, noch regenfrisch; jeden Abend unschuldige Fummeleien und träge Zuversicht, kalte Finger und stinkige Klamotten; sich überschlagende Herzen, ein fast evangelisches Taumeln und Zucken gegen die dehnbaren Ränder unserer Wohnung. - Wir können auch ein bisschen in die Stadt gehen! Es fängt wieder an zu regnen und die Gesichter werden hässlicher und selbst ich erkenne mich nicht mehr im Spiegel, ich schaue unglaublich böse und arrogant manchmal. Riesige, rote Luftballons steigen am Horizont auf, sind es die poetischen Ballons meiner Hoffnung oder die Werbeballons der Sparkasse? Bin ich ein Dichter oder ein Journalist? Hab ich Talent oder tu ich nur so? Wen versuche ich zu imitieren?

Ich weiß, es ist keine Sparkassenwerbung auf den Ballons. Sie kommen aus meinem Herzen, sie leuchten meinen Freunden ein Lächeln zu, das ihnen dabei helfen soll, sich selbst, das heißt ihre besten Eigenschaften ernst zu nehmen und keine Kompromisse zu machen. Wir kommen hier nur raus, wenn wir jeden Glauben verlieren und alles übertreiben: wir schmeißen Erfurt aus unserer Wohnung raus, dann aus unserem Treppenhaus, dann aus den restlichen Wohnungen des Hauses, irgendwann vielleicht aus der ganzen Straße, aus dem ganzen Viertel vielleicht. Die Stadt ist nicht zu ertragen, wenn man nicht übersteuert ist, das ist die Behauptung dieses Buches, das ich Euch an Eure Stirn binden würde, wenn Ihr Euch nicht wehren würdet.

Wir müssen keine Orientierung haben. - Ich halte mich an Euch fest, geliebte Freunde, ich halte mich an dir fest, vorbeigehendes Jahr, ich bin glücklich, all die tollen Freunde getroffen zu haben. Zu meinem Glück gehört, dass es niemanden gibt, dem ich dankbar bin.

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Die Sackgasse, in der ich sitze, hält mir die Rush Hour vom Hals. Ich freu mich auf die nächste Bandprobe, es fühlt sich so an, als könnte ich mir alles erlauben, jetzt wo Donald der Präsident der USA wird. Europa muss sich ernster nehmen als bisher, ein vereintes, multikulturelles, weltoffenes Europa, das einen neuen Humanismus, eine felsenfeste Gemütlichkeit definiert und lebt und feiert. Vielleicht macht es nur mit Cannabis Spaß, über einen schönen Sozialismus nachzudenken: wäre kein Einwand gegen eins der beiden, aber gewiss gegen die Prohibition und gegen Nationalismus und Kapitalismus.

Ich wurde heute aus dem Speicher geschmissen, weil ich kein Getränk gekauft hab, sondern mich nur ins Gäste-WLAN klickte. Schon viele Male hab ich das gemacht, aber heute hatte die böse neue Hippiekellnerin plötzlich was dagegen. "Kunstraum" nennen sie sich, geben sich einen offenen, kulturvollen Flair und sind - wenn es um Alltägliches geht - spießige, herrschsüchtige, missgünstige Scheißfotzen. - In diesem Jahr ist Roger Willemsen gestorben und Donald Präsident geworden und die Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte sind weiter gestiegen, es ist nicht das Jahr um vulgär zu sein, wirklich nicht! Jeder neue Anschlag auf ein Asylheim lässt mich an der Relevanz meiner Libido zweifeln. Zwischen Domplatz und Theaterplatz gibt es einen Dönerladen, der Blumen-Humus-Wraps anbietet, die sind so köstlich, ich fühle mich danach immer gereinigt und bin durch und durch Humanist und Demokrat und glückliches Cannabis-Opfer, zitter meinen unstillbaren Liebeskummer in mein kaltes, aufgeräumtes Zimmer, vielleicht liegt mein Vater im Sterben, das letzte Mal sah er nicht gut aus. Würde mich freuen, wenn dieser traurige, cholerische Langweiler verschwinden würde. Hätte Lust, meinen Ekel vor seiner uncoolen, arroganten, kalten, atzigen Art in bunten, brüllenden Farben an jede Litfaßsäule der Stadt zu plakatieren. "Eltern sind die größten Irrtümer!", prahle ich in die Kälte und mein Herz feuert zustimmende Ausrufezeichen an meine Kinnspitze. Ich verachte die erzgebirgische Mentalität in einem Maße, für das ich mich unmöglich schämen kann, ohne körperliche und psychische Substanz einzubüßen. Wenn ich nicht wirklich die Plattensammlung meines Vaters zerstöre, bin ich nur ein feiger, selbstgefällig strampelnder Schriftsteller, der nicht mehr als ein ironisches "Och du Armer!" verdient hat. Ich stell mir vor, wie ich meine Eltern von einer Klippe schubse und dann feixe, als hätte ich gerade den Kaffeefilter aus dem Küchenfenster geworfen. Diese Phantasie hat jedenfalls nicht viel mit mir zu tun, weil es mich gar nicht gibt.