Das Recht auf Dissoziation

Nur als Schriftsteller habe ich die Möglichkeit, gleichermaßen ehrlich und genau zu sein. Mein Gesicht verrät nichts, meine Gespräche sind notwendigerweise grob, ich stottere, fühle mich genau beobachtet von meinem Gegenüber, alles was ich sage, hat Einfluss auf das Image, das Andere von mir haben. Ich muss fürchterlich aufpassen, was ich wie sage, um nicht missverstanden zu werden, im Idealfall nimmt man sich Zeit für mich, so wie ich mir Zeit für meine Freunde nehme. Ich liebe es, mich zu verlieren, wenn ich mich mit anderen Leben beschäftige, ich werde Teil im Leben der Anderen. Meinem Freundeskreis verdanke ich mehr als meinen Eltern. Ohne den Hass auf meine Erzeuger, der früh gewachsen ist, hätte ich mich mit den geregelten Bahnen eines bürgerlichen Lebens zufrieden gegeben, es gibt nichts schöneres, als in einer harmonischen, sinnvollen Welt zu funktioneren; wir definieren die Werte, die uns zusammenhalten können: Ehrlichkeit, Genauigkeit, Gemütlichkeit, Freundlichkeit. Diese Werte wollen wir leben mit unseren Berufen und Familien und Selbstgesprächen. Und wenn die Umgebung zu kalt und hoffnungslos ist, muss man sie wechseln. Allein weil ich das Glück hatte, aus dem trostlosen Erzgebirge fliehen zu können, fühle ich mich unendlich solidarisch mit all den Abermillionen Menschen, die auf der Flucht sind.
Hierbleiben oder woanders hin? Das ist eine Grundfrage, die jeder sich persönlich stellen muss und ich behaupte als Menschenrecht, dass man selbst die Antwort geben muss: keine Institution sollte Grundfragen beantworten. Indem wir in nationalen Kategorien denken, indem wir Zuständigkeiten unserer Güte beschränken,  lassen wir all die Millionen Menschen im Stich, die genau so ein gutes Leben verdient haben wie wir. Wir alle stecken in der Großen Maschine fest, sie lehrte uns, das Nichtfunktionieren schlecht für uns ist. Wir können nur noch abwinken, wenn ihr mit uns sprechen wollt, wir können uns nur schämen, wenn wir uns klarmachen, dass wir von euch abstammen. Ich hoffe, dein Absatz knickt um, Mama, und ich hoffe, du bekommst bald einen Herzinfarkt, Step Daddy, ich verfluche Euch, es ist mir ganz ernst damit. Wenn ich daran glaube, dass mein Fluch wirkt, dann wirkt er auch. Jesus hatte Recht, man muss einfach dran glauben. Ich verfluche euch für alles, was ihr darstellt, ich verbanne euch aus meinem Leben, all die Jahre musste ich eure bleiche Liebe mit ansehen, zusammengeschweißt zu einem tristen Ehekadaver, der noch heute vor den Karren einer Depression gespannt und durch den Innenstadt-Kreisverkehr von Zwickau gepeitscht wird. Oh, vulgäre, unfreundliche Provinz! Ich verfluche dich! Du böse Wüste! Ich verbanne dich aus meinem Herzen! Mit vollem, Morgenrot blutendem Herzen verfluche ich das Leben meiner Eltern, spalte ich mich von meinem Stammbaum ab, verliere endgültig das Recht auf einen bürgerlichen Namen, je länger ich nicht richtig geschlafen habe, umso lustiger bin ich, mich durch alle Instanzen zu klagen für mein Recht auf Dissoziation.

Ich möchte fortan nur noch maskiert öffentlich auftreten, meine Eltern sollen mich nicht mehr sehen, sie haben kein Recht auf mein Gesicht. Ich will, dass sie wissen, dass ich derjenige da mit der Maske bin, der so abscheuliche Wahrheiten von seinen hässlichen Erzeugern berichtet. Die pure Rache treibt mich an, ich möchte sie psychisch zerstören, ich möchte ihre Gehirne kaputt machen mit meiner Lieblosigkeit, ich möchte eine absolute, unaufhebbare Trennung von meinem Elternhaus behaupten mit allem, was ich als Kulturschaffender Erfurt zufüge. Ich behaupte die absolute Trennung vom morschen Gerippe meines Stammbaums, soll es ohne mich faulen, soll es nicht mit meiner Unterstützung seinen Todesgeruch verbreiten; im Erzgebirge wohnt eine böse Kälte, die immer schamloser nach Macht giert: meine Eltern werden es sein, die zusehen, wie Flüchtlingsheime abgefackelt werden, sie werden es sein, die nicht auf die Zeichen geachtet haben; die Kälte die ich für sie empfinde, lässt die winterlichen Temperaturen in meinem Zimmer frühlingsmild werden. Hiermit behaupte ich den absoluten Bruch! Möge Gott mir beistehen... irgendeiner.

Mit diesem Blog lege ich Beweismaterial für die Behauptung vor, dass ich keine Person sein muss, um ein Menschenrecht auf Wohnen und Essen und Bewusstseinsveränderung einfordern zu dürfen.

Ich würde gern eine lange Wäscheleine nehmen und all meine Freunde miteinander und mit mir verbinden: "Ihr gehört fest zu meinem Leben." - Es wäre so toll, wenn wir uns alle näher kommen würden. Alles funktioniert vielleicht auch virtuell. Ich bin so geduldig; ich möchte nicht ankurbeln, was nicht natürlich sich entwickeln will; nehmen wir uns alle Zeit und Freiheit, die wir brauchen, um herauszufinden, was genau wir in der Welt bewirken wollen und welche Werkzeuge uns dafür am meisten nützen.

Welchen Wert haben unsere Hoffnungen, wenn sie nicht die Kraft haben, sich in einer Stadt wie Erfurt zu behaupten?

Die Wiederbelebung

1

Versuche - um zu erfahren
ob du depressiv bist -
dir eine bessere Welt vorzustellen.

Wer die Phantasie verloren hat,
wird einknicken
und nur an die Möglichkeit des Schlimmen glauben.
Wer sich die Phantasie bewahrt hat,
kann im Traum von der Möglichkeit des Guten aufwachen.

Versuche - um zu erfahren
ob du depressiv wie deine Eltern bist -
dich auf eine gemütlichere Welt zu freuen.

Deine Eltern sind bleich,
vulgäres, gespenstisches Vieh,
bösartig gegen alles Kommende,
verachtend alle, die sich eine angenehme Zukunft noch vorstellen können.
Warum Mitleid mit ihnen haben?
Warum in die Verlorenen noch Hoffnung stecken?
Du wirst sie erst von ihrem Unglück überzeugen können,
wenn es ihnen plötzlich gegen die Stirn fährt.

Du gehst nicht ihren Weg.
Du hast nicht ihre Angst.
Nicht mehr. Nie wieder.

Stolpernd durch samtene Frühlingsdämmerung
wirst du deine ganze Lust, deine ganze Kraft ausbreiten,
besserwisserische Sprengsätze verteilen in der unheimlichen Stadt,
nützliche Heiligtümer entheiligen mit Hammer und Scheiße,
deine Initialen in die Stirne der Allervernünftigsten ritzen,
denn alles ist gut, das dich nicht einknicken lässt,
denn alles, was dich nicht einknicken lässt, gestaltet die Zukunft.

2

Ich möchte nicht mehr arbeiten,
meine Zeit und Kraft verschwenden
für die große, unbekannte Maschine,
ich möchte eine neue Maschine.

Faulheit
und Schüchternheit
und Selbsthass
und Koffeinsucht
bewahren uns davor,
vor dieser Stadt in die Knie zu gehen.

Ich möchte nicht mehr arbeiten,
meine Zeit und Kraft verschwenden
für die große, wütende Maschine,
ich will eine bessere Maschine.

Alle Grenzen sind löslich
die der Nationen,
die des Besitzes,
die der Worte,
die des Ichempfindens,
und die zwischen Wirklichkeit und Phantasie,
zwischen Wahrheit und Möglichkeit,
zwischen Heute und Morgen.

Ich werde erst arbeiten gehen,
wenn die große Maschine sich beruhigt hat,
wenn mein Leben nicht mehr abhängt von ihr,
dann erst will ich mir Arbeit suchen.

3

Ihr wollt einen Dichter selbstsicher?
Weil er euch zur Selbstsicherheit erziehen soll?
Ihr wollt einen Dichter zielbewusst?
Er soll euch zielbewusst werden lassen?

Ihr sucht Führung?
Wer seid ihr, dass ihr geführt werden müsst?

Warum versucht ihr nicht lieber
loszuwerden, was in euch geführt werden will?
Warum umarmt ihr nicht die Freiheit
die in der Ziellosigkeit der Welt auf euch wartet?

Lasst euch nicht führen!
Ihr seid nicht solche, die geführt werden müssen!

4

Hat er Brot und Haus und Arbeit
und einen der von ihm abhängig ist
wird der Mensch gemütlich
und seine Gemütlichkeit wird
erst bloß Sonntags
dann auch unter der Woche
erst bloß ihm
dann auch seinem Nachbarn
ungemütlich.

Er fühlt die Leichtigkeit seines Daseins
und ahnt in ihr eine Schwere
und er wird nervöser an jedem Tag,
an dem die Ahnung sich nicht ganz bestätigt,
denn eines Tages wird sie sich ganz bestätigen
und dann ist es zu spät
für den gemütlichen Menschen
in seinem Haus, mit seiner Arbeit
und seinem Brot
und dem der abhängig von ihm ist.

5

Es gibt einen Gottlosen
der liebt seine Kinder
der teilt sein Brot
der ist freundlich zu jedem der freundlich zu ihm ist
und der zweifelt an, wo er nicht sicher ist
und der ist sicher nur im Zwiespalt.
Der liebt den Zwiespalt
wie die Idee, dass die Welt
nur ein kleines Dorf ist
in dem jeder glücklich werden kann.
Der glaubt, dass alle Konflikte nur bestehen
weil die Menschen nicht wahrhaben wollen
dass sie alle Körper haben
mit den gleichen Bedürfnissen,
den gleichen erfüllbaren Bedürfnissen.

Dieser Gottlose sagt:
Wo der Stolz wächst, wächst die plumpe Gewalt.
Wo der Zweifel wächst, wächst die elegante.
Wo Mitgefühl wächst, wächst die liebevolle.

6

Der Staat ist eine Maschine der Fürsorge,
wurde konstruiert von Träumern,
wird bedient von Viel-Zu-Zufriedenen,
wird angebetet von denen die nicht schlafen können,
wird verflucht von denen die nicht schlafen sollen,
und wird überwacht von denen die nicht schlafen brauchen.

Der Frühling ist eine Frage
vor deren Antwort ich mich sträube,
denn mein Körper ist nicht vollständig,
solang der Staat mich nicht liebt,
solang er mich noch ausquetscht
wie einen Schwamm über Geschirr
das zerbrochen ist.

Der Staat ist eine Maschine
die niemals lieben kann,
wenn sie nicht geliebt wird
von allen die von ihr abhängig sind.

Wischen wir den Schein weg,
der uns anekelt.
Schauen wir tiefer, auf den Grund,
betrachten wir die Idee des Staates,
den Kern des Staates:
lieben wir ihn,
erinnern wir den Staat an seine Möglichkeiten.

Der Staat kann eine Maschine
der Liebe sein,
wenn Liebende ihn überwachen.

7

Keine Endlösungen mehr!
Kein Vertrauen!
Keine Anbetung!
Alles muss unter allen Umständen offen bleiben.

Ich möchte von Leuten angesprochen werden,
die mich brauchen.
Ich möchte aussehen wie jemand,
der empfindlich genug ist,
um an nichts zu glauben
und empfindlich genug,
um das Machbare zu hoffen,
das Machbare zu wollen
und zu machen.

8

Ich will, dass du nett zu mir bist,
tu nicht so, als wärst du so abgestumpft wie die Anderen.
Ich will freundlich zu dir sein,
ausschließlich freundlich;
die Zeit, in der man sich sorglos auf die Nerven gehen kann,
ist längst vorbei.
Dieses Lied leitet einen neuen Ernst ein.
Hört mich einen neuen Ernst einläuten.
Hört mich läuten, hört mich läuten:
die Zeit, in er man sich sorglos an der Nase herumführen kann,
ist ganz sicher vorbei,
ganz sicher.

Die Welt ist ein Theater,
aber können wir, wenigstens wir,
aufhören uns etwas vorzumachen?
Ich brauch dich ganz!

9

Die Abende werden geräumiger und kälter,
in bleichem Grün hängen sie da,
die Plastikrosen welk
und von allen Möglichkeiten ermüdet
stolpere ich die Bühne herunter
die mein Ich ist
und lande im Publikum
das meine Sinne sind.

Wenn man jetzt noch einen zum Reden hätte,
jetzt wo zu schweigen nur noch mehr Rede nötig macht,
jetzt wo die Anstreicher und Trommler aus ihrem Winterschlaf erwacht
und zu neuen Kräften gekommen sind und ihr finsteres Heil versprechen,
ihr süßes, finsteres Heil!

"Versprich mir nichts!
Nimm mich ernst!
Sei nett zu mir!", ruft die Kakerlake
und kriecht unters Bett zurück.

Sexualität

Der Kaffee hinter meiner Stirn macht mich empathischer, deshalb trinke ich auch zwei Liter, bevor ich die Tagesthemen oder das Nachtmagazin schaue oder bevor ich über Sexualität nachdenke.

Ich sehe keinen Sinn darin, mich Anfang Dreißig als Mann zu bezeichnen: was von einem Mann erwartet wird, hat nichts mit mir zu tun, auch wenn ich manches erfüllen könnte, auch wenn ich Nachteile habe, weil ich mehr von mir erwarte als das, was ich meinem Penis nach leisten müsste. Ich habe einen Soldaten in mir, einen Räuber, einen Sadisten, einen Rauschgiftsüchtigen, einen Schriftsteller: sie stehen alle in einem großen Raum und reden durcheinander, meine beste Freundin zieht sich nackt aus und räkelt sich auf meinem Bett, meine Verlegenheit löst einen butterweichen Schwindelanfall aus: ich werde niemals in meinem Leben in eine Vagina ejakulieren. Das ist eine schöne Erkenntnis: ich muss mich nicht daran festhalten, wenn ich nicht will. Der Soldat in mir möchte ihren Arsch ficken, der Räuber in mir ihr Jungfernhäutchen fressen, der Sadist ihr die Fingernägel rausziehen mit einer Kneifzange, einen nach dem anderen. Aber ich? Demien Bartók ist kein Mann: er tut nichts männliches, und er ist keine Frau, denn er tut nichts weibliches.

Jakob sagt, einen Jungen zu küssen ist etwas weibliches und macht aus dem Küssenden ein Weibchen. Aber das gilt ja dann auch für den anderen Boy, also verwandelt er sich auch in etwas Weibliches, demnach küssen sich zwei Girls, wenn sich zwei Boys küssen? Hä? Jakob hat keine Lust darüber mit mir zu reden, wir stehen vor seiner Wohnung, er findet seinen Schlüssel nicht und klingelt und keiner macht auf, wir klettern durch den Grobmüll im dunklen Hinterhof, vielleicht ist die Hoftür nicht richtig ins Schloss gefallen. Doch sie ist. Jakob klettert auf der am Geräteschuppen angelehnten Leiter in den ersten Stock: „Ist das jetzt männlich von dir?“, frage ich. Er wirft ein rotes Kissen nach unten, verfehlt mich ganz knapp, „Mach die Tür auf, ich bin müde.“

Wieviel Gründe gibt es eigentlich, sich zu küssen? Wieviel Gründe gibt es, miteinander zu masturbieren? Ich würde gern deinen Hals küssen, wenn du kommst. Das ist für dich natürlich kein Ersatz für Sex mit einem Mädchen, und das soll es auch nicht sein, das hier ist etwas ganz Anderes, eine seltsame Grenzüberschreitung, die dunkle Lustgefühle freisetzt, die ähnlichen die entstehen, wenn man seinem Cousin einen bläst oder sich aus Langeweile in die Hose pinkelt. Ein Ursumpf der ersten und letzten Dinge, ein Inzest mit den Sternen, eine absolute Missachtung sämtlicher Anstandsregeln: Sex mit dem besten Freund, aus Liebe, zum Zeitvertreib, weil es seltsam ist und deshalb wert getan zu werden. Du definierst dich ja als richtiger Mann: der muss ab und an seinen Schwanz in eine Muschi stecken. „Sie muss nicht schlau sein, Hauptsache, ich krieg einen hoch.“

Ich habe keine Lust auf eine Beziehung, in der Sex im Mittelpunkt steht: eigentlich kann ich auf Sexpartner verzichten, die nicht meine besten Freunde sein können, fuck, alles könnte viel einfacher sein, wenn wir die Art und Weise unserer Beziehung genau definieren, mit all den Grenzen und Erwartungen, mit all den notwendigen Ekelgefühlen, all den vermeidbaren Besessenheiten. Mein erster Grundsatz wäre: nimm dir von Anderen, was ich dir nicht geben kann. Hab so viel Vagina wie du willst, solang du mich liebst, ist alles süß für mich. Ich interessiere mich für keine monogame Homo-Beziehung: ich habe absolut nicht das Bedürfnis, heterosexuelle Beziehungsmodelle zu adaptieren: warum keine befristete, polygame, bisexuelle Best-Friend-Beziehung in der immer Raum für neue Möglichkeiten ist, Zusammenleben gemütlich und tiefgründig zu machen. Willst du wirklich mit einer Frau, einer einzigen Frau für viele Jahre in einer Zweierbeziehung darauf warten, dass die Luft rausgeht oder hoffen, dass die Luft nicht rausgeht, bevor sie rausgeht? Ich bin wirklich kein Mann, ich bin ein neo-pubertärer Clown in einer Sackgasse, in der gute Musik läuft: PIECES OF STRING von Alela Diane.

Willst du dir wirklich eine Peitsche kaufen? Ich glaube du weißt, was du tust. Wieviel Gründe gibt es, sich nicht zu küssen? Wieviel Gründe gibt es, nicht täglich miteinander was anzustellen? Vielleicht kann man nur in einer solchen außerordentlichen Gemütlichkeit zusammen etwas Großes erschaffen: in den letzten Monaten bin ich langsam ins Erfurter Kulturleben geschlittert, mein Freundeskreis wächst ständig, die Leute mögen meine Songs und ein Grund, diese Stadt nicht zu verlassen ist, dass hier einige großartige Musiker wohnen, mit denen ich gut bis sehr gut befreundet bin, solche die die Musik ernster nehmen als sich selbst, die nicht prahlen müssen, die niemanden beeindrucken wollen, die sich für Menschenrechte engagieren, die aus psychedelischen Urlauben politische Manifeste mitbringen, die Songs gegen die Tyrannei der Nüchternheit schmieden, Waffen aus Schall gegen die unsichtbare Macht der Gefühls-Bürokratie. Kollektives Auf-Dem-Teppich-Ausrutschen. Du gehörst dazu wie Winkler, Stefan, Hank, Jungleduke, Franziska und Sahra. Ich werde nicht darüber hinwegkommen, dass sie dich küssen durfte und ich dich nicht. Wie soll ein Schriftsteller damit umgehen? Kapitulieren! Die Niederlage feiern mit Substantiven und Verben, hoch sollt ihr leuchten, geliebte Worte, was wäre mein Bewusstsein ohne euch! Ihr kleinen Teufel, ihr verwirrenden, ungerechten, missverständlichen Narren, Illusionen meiner Vernunft! Ich kann mich nicht aus meinem Unglück befreien, aber ich kann davon singen, ich kann mein Elend bezeugen, ich kann es hinnehmen und gut heißen.

Ich wünschte ich könnte ein Buch schreiben, das Menschen, die sich als heterosexuelle Männer definieren, bisexuell macht; ich wünschte ich könnte einen Song schreiben, der meinen besten Freund so manipuliert, dass er mich küssen will. Ich will neben im einschlafen, ich will von ihm träumen, ich will neben ihm wachwerden, ich will mit ihm wichsen, ich will mit ihm frühstücken, ich will ihm einen Abschiedskuss geben, ich will ihn den ganzen Tag nicht sehen, weil ich mich aufs Schreiben konzentrieren muss; ich will dich zufällig in der Stadt treffen und kein Eis mit dir essen. Du sagst mir, dass du mich wirklich liebst und ich küsse dich. Ich schau in deine transilvanischen Augen, ich spüre, dass unsere Leben fest und dauerhaft miteinander verbunden sind, mehr muss ich nicht wissen, ich küsse dich nochmal und nochmal. Der erste Kuss ist immer nur ein Test. Der zweite ist intensiver, mutiger. Der dritte gierig, der vierte ist mehr ein vulgärer Biss, der fünfte endlich familiär und entspannt: die nächsten Küsse machen mich immer sehr trunken, wie betäubt von Gier bin ich glücklich, dass du hier bist, ich wäre geringer, wenn du nicht hier wärst; mit dir macht alles mehr Sinn, nichts ist mehr langweilig, über manche Dinge reden wir besser nicht mehr heute, ich lieb dich. Ich puste den Tag wie eine Kerze aus und krall mir deinen Körper, dein Schlafanzug ist so kuschlig, wir dämmern langsam ein, es ist kurz vor fünf Uhr morgens, die Vögel beginnen die blaue Dämmerung zu begrüßen, die Autos verschnüren die Straßen mit Lärm und Gestank, wir haben die Fenster geschlossen und hören Wasserfall-Rauschen in Endlosschleife. Wie könnte man besser den Fragen aus dem Weg gehen, die keiner beantworten will?