Live-Schaltung

04.09.2014

Zum ersten Mal will ich live dabei sein, wenn es passiert.

Ein paar kalte, nervige Fragen kuscheln sich in einen bunten Mantel Hoffnung. Jetzt kann ich das Streichholz entzünden. Ich fühle mich noch immer wie eine Jungfrau. Was für ein Glück, dass ich mich nicht beobachtet fühle von meinem Therapeuten.

Ich habe alles Recht, dich zu konsumieren, denn ich gehöre nicht zu den sterilen, gedemütigten Leuten, die mir im Supermarkt im Weg stehen und ein Recht haben, Hackfleisch und Weißbrot für ihre Familie zu kaufen. Ich bin schnippisch wie ein nacktes, schönes Kind und rede mir etwas schönes ein: "Schäme dich nicht, wenn du Klischees eines Berauschten zeigst. Es ist nicht schlimm, so zu reagieren wie ganz schlecht gespielte Drogen-Konsumenten im Film. Wichtig ist, was hinter den Klichses ist. Du betrittst durch die Klischees eine neue Welt."

Warum sollte man nicht mit Gegenständen experimentieren, die die Natur in den Garten gehängt hat? Mein grauer Atem steuert die grazil geschwungenen Bewegungen der Hüpfburg, die ich bin, die ich sein soll. Irgendjemand hat mich hier festgeschraubt und um meine Schlaumeier-Hoffnung anzuzapfen. Ich hoffe nämlich, dass es etwas hinter dem Alltagsbewusstsein gibt, etwas das vielleicht zurecht versteckt wurde? Oder zu unrecht? Zu welchem Recht denn jetzt also? Wer hat das Recht beschlossen? Fakt ist: ein systemkonformes Leben ist mit dieser Droge nicht möglich. Mehr bedeutet ihr Verbot nicht.

Unter dem Gras liegt das Körpergefühl eines Träumenden. Wecken wir es sachte, winkt es uns mit einem kräftigen, freundlichen Lächeln herein und bietet uns an, auf der gemütlichen Couch Platz zu nehmen. Wir schauen uns um, es ist alles verschwommen und der Raum taumelt, es ist aber - anders als im Alkohol-Rausch - kein brutales, schweres, unkoordiniertes Taumeln, sondern ein sehr feines, langsames, hypnotisches, als hätte man die Hüpfburg in einen Windkanal gestellt und den Kindern erlaubt, auf ihr herumzutrampeln und herumzutaumeln. Meine Blicke stechen wie lange Speere in die See, ich stelle mich ans Podium und behaupte, dass das Gefühl, "eins mit der Welt zu sein" entsteht, wenn man - mit Hilfe von Meditation, Drogenkonsum oder einer Psychose - kein Ich, kein Subjekt mehr spürt, wenn kein Unterschied mehr zwischen Welt und Körper und Bewusstsein gemacht wird, wenn das Ich selbst zur Außenwelt zu gehören scheint, weil es überhaupt kein Innen, keine Zentralperspektive gibt.

Als junger Schnüffler in den Gegenden, in denen sich mein Körper nachts ohne mich herumtreibt, ziehe ich mir die schlabbrigen Jogging-Hosen hoch und kette mich an das, was ich in Worte fassen kann, indem ich alles verwerfe, was ich nicht formulieren kann. Mein Schreiben ist nur ein Einwand, um mit meinem Leben weiter zu machen. Ein Beruf, der wie ein Freund ist, der einen durch den dunklen Wald begleitet. Ich möchte der Sprache keinen Schaden zufügen, ich bin auf sie angewiesen. Dass ich mit ihren Grenzen spielen kann, gehört zu ihren großen Privilegien. Wenn die Sprache den Menschen ein Freund sein will, muss sie auch über ihre Unzulänglichkeiten Bescheid geben. Will die Sprache sich um ihrer Selbst willen?

Ich will ein neues Seil in einen neuen Moment springen lassen. Alles in meiner Wohnung hat einen direkten Bezug zu mir, unsere gemeinsame Geschichte. Der dreckige, chaotische Zustand spiegelt das wieder, was ich bin (was ich bin ist der Rohstoff, auf dem das arbeitet, was ich sein will): ein glücklich verlorener Mensch. Ich benutze den Zustand meiner Wohnung, um mich an das zu halten, was ich sein soll: noch glücklicher und verlorener.

Die Wohnung ist kalt, meine linke Hand ist kälter als meine rechte, irgendwas hab ich falsch gemacht. Ein Kind muss lernen, zu unterscheiden für welche Körperfunktionen es die Verantwortung übernehmen muss und für welche nicht. So wird ein Ich gebacken. Indem ich mich vor jeder Verantwortung drücke, schicke ich mein Ich auf die Hängematte und nehme die Welt ohne Filter wahr. Niemand sollte für etwas, das er sich selbst antut, bestraft werden. Es kommt mir grad sogar absurd vor, erst im Nachhinein einer Handlung zu strafen.

Der nächste Schub rückt mir etwas zu dicht auf die Pelle, ich glaube, er will mich in die Ecke drängen und mir meine Brotbüchse und mein Taschengeld klauen, bis ich merke, es ist ein Tanz, ein Tanz den man hart tanzt. Ich nehme mit Kusshand an und ernte Applaus vom imaginären Publikum. Erkenntnis ist ein Stachelschwein.

Jeder Rausch ist anders, wie auch jedes Lied bei jedem Hören anders wirkt, wie auch jeder Mensch in jedem Moment ein anderer ist. Ich mag es am liebsten, allein in meinem Hexenhäuschen zu sein, wenn ich Gras rauche, sonst würde ich mich gezwungen fühlen, bestimmte Symptome des Rausches zu zeigen oder mich für bestimmte Symptome zu rechtfertigen, die ich zeige. Vielleicht trennt mich das Schreiben von einer intensiveren Rauscherfahrung.

Könnte ich so tun, als wäre ich nüchtern? Das Monster meiner Wahrnehmung wird in eine Plastikbox gesperrt, ein paar mal kräftig durchgeschüttelt und dann wieder freigelassen. Man kann seinem Wesen nämlich nur näherkommen, indem man die Spuren in der Box untersucht. Die Box ist diese Textdatei, die Kratzer sind die Texte. Anhand der Kratzer kannst du dir vorstellen, wie der Rausch sein muss. Ich tanz eine Runde und bringe den Kreislauf in Schwung.

Ich denke sehr schnell und sehr viel, während mein Körper träge hinterherschnappt. Vielleicht wäre es interessanter, wenn ich jetzt unter Menschen wäre, wenn ich eine Aufgabe zu erfüllen hätte. Vielleicht ist ein Rausch gar nicht dafür gedacht, allein erlebt zu werden, vielleicht gehört zu jedem Rausch eine Gemeinschaft, ein Rahmen.

Was den Grasrausch vom Alkoholrausch unterscheidet: ich habe rege, klare Gedanken, ich kann meine Hände und Finger ohne Einschränkung bedienen, der Rausch erzeugt keinerlei körperliche Beschwerden wie Übelkeit oder Kopfschmerzen, er liegt wie Kaninchenfell im Mund. Alkohol stumpf akut ab, scheucht den Körper wie der Wärter den Kleinkriminellen im Kreis über den Hof, um ihm den gesetzlich garantierten, täglichen Freilauf zu gewähren. Ein stumpfes Abschütteln von Gedanken und Moral. Der Rausch, den wir hier auf dem Tisch haben, in der Hand halten, ist ein viel freundlicherer Rausch, auf einer Ebene mit dem Berauschten.

Berauschtsein und Nichtberauschtsein sind nur Werkzeuge. Ein richtig stabiles Haus im Dasein kann man nur bauen, wenn man alle nützlichen Werkzeuge kennt und benutzen kann. Sowohl der Berauschte als auch der Nüchterne leben nur in einer Hälfte des Hauses. Der frische, verzehrfertige Gemüsejazz ist ein herzlicher Freundeskreis, die Kompositionen kommen mir länger und geräumiger vor. Ich halte mich an dem kalten Kribbeln zwischen meinen Beinen wie an einem Seil fest, während ich im Wind herumflattere. Meine Gleichgültigkeit gegen Tippfehler wäscht all die Bosheit aus meinem Gesicht, die Ostdeutschland darin abgeladen hat - weil ich aber die Ostdeutschen nicht vergraulen will, werde ich sie die nächsten Tage ausbessern. Ich habe keine Probleme, Sätze zu formulieren, wenn ich auch etwas mehr Mühe hab, mich auf das, was ich sagen will, zu konzentrieren und nicht auf das, was ich noch nicht sagen kann. "Man sagt ja immer nur das, was gerade am leichtesten von der Lippe geht.", ergänzt mein lieber Großvater, der viel zu früh an Leberkrebs gestorben ist.

Weil alle Gedanken nun gleichwertig sind, beschäftige ich mich liebend gern mit den Gedanken, die ich sonst nicht so ernst nehmen kann. Der akute Glanz der Gedanken ist ihre liebliche Rache für meine bisherige Ignoranz. Ein zutiefst kindliches Bewusstsein, es findet noch keine moralische Filterung der Wahrnehmung statt. Man kann in solchen Zuständen leicht mit Gewohnheiten und Dogmen brechen, weil Anderes interessanter, wichtiger, wertvoller ist, beispielsweise die Tatsache, dass man überhaupt existiert, oder die Lust sich auf eine bestimmte Art zu bewegen, die Lust Dinge zu entdecken, die Lust mit Dingen zu spielen. Deshalb ist diese Droge verboten: sie hilft, loszulassen.

Was passiert, wenn ich ein drittes Köpfchen rauche? Ich fühle mich wie eine Frau, die das Kopfkissen aus dem Fenster heraushält und abklopft und hofft, das es gleich platzt und tausende Federn zur Erde niedergleiten. Sie macht die Fenster wieder zu, von außen, um den Leser zu verwirren. Ich entferne den Smiley, den ich eben nach "verwirren" gesetzt habe und ersetze ihn mit diesem Satz, der meinem Gesichtsausdruck viel näher kommt.

Der Rausch nimmt eine neue Intensität an. Ich distanziere mich von mir selbst, die Sonne scheint mir ins Gesicht, ich bohre mich tiefer in den Rausch, ein Gefühl der Betäubung steht der Idee, wie ich kritisch meine Situation vom Türrahmen aus betrachte, gegenüber. Jedes Wort ist eine Sensation, jedes kleine Wort eine kleine, jedes große Wort eine große. Die Kanäle sind alle weiter geöffnet, meine Aufmerksamkeit ist wie ein Regenschirm, der Müdigkeitshormone abperlen lässt. Auf der anderen Seite meiner Redseligkeit steht die Frage, was ich außer Schreiben noch machen könnte, und jemand reicht den Umschlag mit der richtigen Antwort zu mir auf das Karussell, in dem ich mit dem Mikrophon sitze und dieses Selbstbekenntnis abgebe. Ich fühle mich von meiner zukünftigen Selbstbetrachtung an die Hand genommen. Noch nie habe ich einen Gras-Rausch so bewusst erlebt.

Das Schwanken ist noch intensiver geworden, die Musik hinterlässt ihre Schwingungen in der Haut meines Gesichts, speziell des Kinn ist besonders durchblutet, von ihm gehen meine Kopfbewegungen aus, mein Kinn steuert meinen Kopf. Ich glaube das Schreiben intensiviert den Rausch, bzw. macht ihn interessanter. Das Formulieren ist mein Beruf, nicht das Berauschtsein.

Ich wollte gerade aus irgendeinem Grund aufstehen. Hab ich Hunger? Ich vergesse manchmal, dass ich berauscht bin, dann fühlt es sich an, als würde ich träumen, ohne mir gerade bewusst zu sein, dass ich träume. Leider kann ich so viel nicht ausdrücken, und so kann mich nur das an dem Rausch stolz machen, was ich ausdrücken kann. Ich kann nur so tief gelangen, wie ich noch schreiben kann. Schon wieder wollte ich aufstehen und schon wieder vergessen, warum. Ich wünschte, ich würde wissen, warum die bunten Flimmern bei geschlossenen Augen so symmetrisch sind und ich wünschte, bequemer zu sitzen.

Lauert Gefahr an den Rändern der Scholle, auf der das Zimmer hin und her schwankt? Meine Augen sind ganz trocken, mein Mund auch, ich fühle mich wie in einer Wüste, eine bequeme Wüste, weil ich jederzeit etwas trinken kann. Ich habe Lust, auf den Sattel des Gedankens, nichts mehr zu sagen zu haben, zu steigen und durch die Wildnis meines Körpers zu reiten. Gefühle benutzen Gedanken, um ans Fleisch und an die Sehnen zu kommen.

Ich stelle mir eine bunte Party in einem weißen Schloss vor, auf der in Dauerschleife "Time to say goodbye" gespielt wird. Würden die Gäste gegen das Lied ankommen? Das Experiment kann man auch mit viel besserer, interessanterer Musik wiederholen. Aber gerade, wie Schmalz und Trash auf Dauer wirkt, kann auch Aufschlüsse darüber geben, wie Menschen auf Nationalismus, Fernsehmüll und Sonderangebote reagieren.
Ich sollte mich nicht darüber beklagen, nur Worte benutzen zu können, die meine Eltern benutzen, ich benutze ja auch die ganzen Dinge, die ich vererbt bekommen habe... Ich nutze generell den Körper, den sie zusammengefickt haben.

Ich werde niemals in einer anderen Haut stecken. Ich werde niemals eine andere Vergangenheit haben. Ich bin das Zentrum der Welt, das Zentrum des Rausches und der Musik, das Zentrum meiner Muskelschmerzen, das Zentrum meiner Wohnung, das Zentrum meiner Sprache.
Ein seltsames Flattern in meinem rechten Ohr, eine Art Entladung von Spannungen, als würde das Ohr nur gähnen, das Flattern erweitert den Gehörgang, ich wünschte ich könnte jemanden beißen oder mich würde zumindest jemand küssen. Ich will auf einem grünen Hügel stehen und saubere Luft atmen.

Ich sitze vor einer weißen Wand und schreibe zweimal "weiße Wand" mit dem Finger drauf. Ich sitze mitten in meinem Leben, auf einer vielbefahrenen Kreuzung meines Bewusstseins, ich steige aus der Handlung meines Lebens aus und bilde mit der Musik und meinem Schreiben eine Kapsel, aus der heraus ich alles betrachten kann. "Es ist schon ein bisschen wie ein Film, das kann man schon sagen", sagt der nervige Klassensprecher und reicht den Joint weiter. Meine Kopfbewegungen werden immer schwerfälliger und ich werde schläfrig. Lohnt es mit dieser grazilen Müdigkeit zu tanzen? Ist der Tanz ein Widerstehen oder ein Müderwerden? Ist das der Abspann des Tages?

Langsam wird es kälter und eine freundliche, coole Interessenlosigkeit macht sich in mir breit, eine brüderliche Ungeduld, der Wunsch, mich ins Bett zu kuscheln, die Zuversicht, dass meine depressiven Freunde gut durch den Winter kommen, weil sie wissen, dass es mich gibt. - Gute Nacht, Erfurt!

Zur Frage, ob kiffen abstumpft

Ein Hirn, das auf Dauer mit Cannabis gespült wird, infantilisiert - und das wünscht sich auch jeder bessere Kiffer. Die Kanäle werden geöffnet, der Körper kommt wieder zu seinem Recht, die Gedanken brausen frei. So kann ich gern in Kauf nehmen, irgendwann ein paar IQ-Punkte zu verlieren. IQ misst ja nur, wie schnell man Muster erkennen kann. Kiffen entschleunigt, entspannt und macht verspielter. Bekifft durch die Stadt trödelnd, schäme ich mich, bisher alles mit scharfem, kaltem, rastlosem, unbarmherzigem Blick zerpflügt zu haben.. Ein IQ ist eine Erfindung des Staates, um uns nach Kategorien des Marktes zu markieren und auszunutzen. Als Kind hat man anfangs damit zu kämpfen, Realität und Einbildung zu unterscheiden. Kiffen sensibilisiert auf Dauer das Gehirn derart, dass die Grenze zwischen Phantasie und Realität durchlässig wird. Das ist der Preis, die Chance die in einer so hohen Schärfung der Kanäle liegt. Kiffend schottet man sich in einer synthetischen Kindheit ab, die immer realer werden kann, wenn es die Umstände erlauben. Einem so schön subjektiven, immer sterblichen Gehirn wie dem meinigen ist es total egal, ob Lust aus dem realen und irrealen Raum bezogen wird. Beide Räume prägen nur eine Seite der Medaillie der Existenz: beide Räume sind Wartezimmer einer unbekannten, unendlichen Praxis.

Wenn ein Dauerkiffer sich von seinem sozialen Umfeld zurück zieht, dann ist das kein Ausdruck einer drogeninduzierten Demenz, Psychose oder Soziopathie. Das Gras hat ihm geholfen, Dinge klarer zu sehen und er hat erkannt, dass er bestimmte Leute einfach nicht mag oder nötig hat. Marihuana versöhnt den Menschen mit seiner Einsamkeit. Von außen, aus Sicht besorgter Eltern und Freunde sieht es aus, als würde er abstumpfen, als würde ihm alles egal werden, als wäre er besessen von der Droge. Dabei erlebt er nur eine wichtige Krise, er häutet sich, er zieht um. In einem sozialen Umfeld, in dem ein Kiffer glücklich ist, weil er eine für ihn und Andere sinnvolle Funktion hat, mit der er sich identifizieren kann, in einem Umfeld das von echter Freundschaft, Liebe, Herzlichkeit, Abenteuer bestimmt ist, wird er sich - glaub ich, hoff ich - niemals distanzieren.

THC ist, im Gegensatz zum Alkohol und Tabak, kein Nervengift. Es muss eine Ganja-Lobby, eine Cannabis-Connection geben, die die Pflanze davor bewahrt, vereinnahmt zu werden von Ärzten, die Gesundheit definieren als die Fähigkeit, in unserem Gesellschaftssystem zu funktionieren. Ich ahne eine dunkle Zukunft, in der Marihuana genau so angepasst, umgewertet, ausgeschlachtet wird wie der Surrealismus. Vielleicht wird die Regierung erst das Hanf legalisieren, wenn es Pläne gibt, wie man Konsumenten gut in die Verhältnisse einpassen kann. Das wäre das Ende einer anständigen Kiffer-Kultur.

Erste Tänze

September 2014.

Ein kalter Nachmittag, ich stehe auf meinem Balkon, rauche eine Purpfeife und freue mich über das Gewitter, das sich über der Stadt zusammenzieht. Im Küchenradio läuft Nancy Sinatra im Kreis und ich spüre wie mein Körper ganz sachte, aber bestimmt an die Innenseite meiner Haut schwappt. Ich habe mich lang nicht mehr so unbeobachtet gefühlt. Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich richtig aufatmen.

Der Raum schwankt sacht, meine Beine kontrollieren das Schwanken, die Musik ist ungewöhnlich aufregend und ich schleppe meine Matratze aus meinem Schlafzimmer in die Küche, lege mich vor die Boxen und höre stundenlang Musik, es fühlt sich alles wie ein Traum an, ein bisschen blöd komm ich mir vor, dass ich nichts mitzuteilen habe. Ich gehe an den Rechner und schreib auf Facebook einen Beitrag, den ich am nächsten Tag wieder lösche:

"was hab ich zu senden? ein kratzen am rücken? das gefühl zu liegen und zu träumen, dass man steht auf einem schwankenden schiff. man kann das schwanken kontrollieren mit den füßen oder den augen. man hält sich mit den augen wie an einem seil an einem fixpunkt fest und schon schaukelt es. ich hacke die tastatur wie fleisch. mit oder ohne knochen, hier in meinem schneckenhaus. meine vorstellung bald eingeschlafen zu sein reichert das universum mit einem taumel an, dem sich nur meine worte gewachsen fühlen - zu unrecht, während ich auf diesem harten stuhl oder weichen sessel sitze und warte bis die tür aufgeht und ein freund mich mitnimmt."

Marihuana lässt, so schreibe ich mir hinter die Ohren, das Chaos der Gedanken und Gefühle bewusster, genauer erleben. Man beschäftigt sich mit Gedanken, die sonst nur halbtransparent vorbeiflattern und die gewöhnlichen Gedanken sind faszinierender als üblich, es ist als würde man sie zum ersten Mal decken. Vielleicht ist es nur die Unfähigkeit, Wichtiges von Unrichtigem zu unterscheiden, was mich staunen lässt. Vielleicht hab ich mir die Illusion weggemacht, dass es Unwichtiges gibt.

Das gleiche Körpergefühl wie im Traum, die gleiche Wildheit der Gedanken. Nicht ich suche mir die Gedanken und Worte aus, nein, sie alle fliegen mir zu. Auf all der Schönheit des freien Denkens liegt der Schatten eines Ichs. Wo ist das unbestreitbare Zentrum in mir? Ich nehme noch einen Zug. - Es fühlt sich an, als würde ich liegen und mir nur vorstellen, auf die Tatstatur zu tippen. Mit leichten Kopfzuckungen kann ich die unsichtbaren Wellen, die die Musik um mich schlägt, kontrollieren, ich benutze sie wie Peitschen und biete Leuten, die nicht anwesend sind, eine Sensationsschau.

Ich spüre, wie mein Ein- und Ausatmen meinen ganzen Oberkörper in Bewegung hält. Atmend schüttel ich meinen Körper in Zeitlupe durch. Es ist ein Tanz mit mir selbst, genau so wie man für sich selbst träumt. Ich glaube, ich bin jetzt nicht in der Lage, mich über irgendetwas zu ärgern, ich bin sehr angeregt und entspannt zugleich, es fällt mir leicht, Dinge zu durchdenken und immer weiter zu denken. Vielleicht werde ich mir morgen vorkommen, als hätte ich einen berauschenden Hollywood-Blockbuster im Kino sehen, vielleicht werde ich glauben, dass der Rausch nichts mit mir zu tun hatte. Angewidert wie eine Frau nach einer schlechten Anmache ekel ich mich vor meinem Selbstbewusstsein, mit dem ich die Leitern meiner Worte erklimme, weil ich als Kind nie ein Baumhaus hatte. - Plötzlich vermisse ich meine Abscheu vor der Welt, meine Kälte im Blick und in der Geste, das sterile Verstreichen der Zeit.

Genau so, wie ich nicht mit einem Gefühl von Stolz aus dem neuen Helge-Schneider-Film gegangen bin, so wenig bin ich jetzt stolz auf meine Rauscherlebnisse. Irgendetwas in mir gibt mir das Gefühl, ich hätte kein Recht, berauscht zu sein - bevor ich nicht genau weiß, was es ist und ob ich drauf hören soll, halte ich es auf Abstand.

Ich mag die bunten, luziden Träume, die ich habe, wenn ich ein paar Stunden vor dem Einschlafen etwas geraucht habe. Ich schlafe länger und manchmal fällt es mir schwer zu unterscheiden, was ich geträumt habe und was ich außerhalb des Traumes erlebt habe. Ich habe kein Interesse, eine klare Grenze zu ziehen. Ich würde gern früher oder später beide Realitäten zusammenbringen wie Knoblauchsoße und Kartoffelpuffer.

Einleitung

Auf dem Höhepunkt einer in Erfurt und Schlaflosigkeit hart gewordenen Leere und Planlosigkeit lernte ich im Sommer 2014 zum ersten Mal die positiven Effekte von Cannabis kennen und die Pflanze wurde schnell nicht nur als Bereicherung am Schreibtisch unersetzbar. Ich kenne seit meinem 18. Lebensjahr Kiffer, die sowohl positive als auch negative Erfahrung mit dem Kraut gemacht haben und keiner konnte mich überreden oder endgültig abschrecken, Gras zu rauchen. In meiner Studentenzeit und in den drei Jahren danach reichte mir Koffein als Stimulanz und Antidepressivum aus (http://asomnie.blogspot.de) und natürlich hatte ich auch Angst vor einer mir unbekannten, zudem illegalen Substanz, die in mein Gehirn, damit in mein Bewusstsein eingreift, also mich notwendigerweise verändert. Als mir eines Tages der trockene, grelle, ereignislose Sommer den Oberkörper besonders fest verschnürt hat und ich Zuflucht in der gemütlichen Mansarden-Wohnung von Miles fand, der sich gerade einen Joint anzündete und fragte, ob ich auch Lust hätte, vielleicht weil er spürte, dass mein Leben ein neues Gewürz bräuchte, und weil ich unbedingt auf Tabak verzichten wollte, er eine rote Glasbong aus dem Schrank holte, mir einen kleinen Krümel auf das Sieb machte und erklärte, wie man das Gerät benutzt, sprang ich über meinen aufdringlichen Schatten und landete im Sonnenaufgang einer ganz neuen, überwältigenden Erfahrung.

Der Rausch kam mir sehr vertraut vor, wie eine Schwindelattacke, ein sanfter Angstschub, eine Schärfung der Sinne wie in einem Notfall, alles eingebettet in ein sehr schönes Körper-, Raum- und Zeitgefühl, das an den hypnagogen Zustand zwischen Wachen und Schlafen erinnert; ich habe mich dummerweise geschämt, dass ich typische Formen des Bekifftseins gezeigt habe: ein erfrischend schlechtes Kurzzeitgedächtnis, Wortfindungsprobleme und eine gesteigerte Empfindlichkeit für Farben, Teppichmuster und Musik, die mich euphorisierte wie ein kleines Kind. Mir war bewusst, dass es ein simulierter Wahnsinn ist und hatte ein bisschen Angst, nicht mehr rauszukommen. Miles wusste wahrscheinlich nicht, wie er mit mir umgehen sollte und versuchte sich ganz auf die Musik zu konzentrieren. Ich hätte gern losgelassen und wäre in die unglaublich bunten, kraftvollen Klangbilder und die schimmernden, schwimmenden Muster im Teppich gestürzt, aber wer weiß, wie das ausgesehen hätte, also blieb ich so normal wie möglich sitzen. Als ich nach zehn Minuten oder einer Dreiviertelstunde gesehen hab, wie er müde auf die Uhr geschaut hat, bin ich gegangen, hoffentlich nicht zu spät, Miles? Auf dem Heimweg dachte ich mir, dass ich dieses Erlebnis für die Kurzgeschichte "Der Eindringling" (Link) benutzen könnte, an der ich gerade schrieb. Während des Abfassens der Episode klang der Rausch langsam ab und ich wusste, dass die Geschichte damit nachhaltig verändert wurde. Die Tage danach fühlte ich mich sehr frisch und erholt und bald saß ich wieder bei Miles und wir rauchten gemeinsam eine Bong mit Sonic Youth und Peter Brötzmann und wir hatten ein sehr langes, zerfahrenes, wild assoziatives Gespräch, mein Gehirn lief auf Hochtouren, es machte unheimlichen Spaß zu denken, zu phantasieren, mich mit Miles auszutauschen, mich in die Musiker hineinzuversetzen und die Stücke wirklich ernst zu nehmen: ich erkannte, dass die Abscheu, die ich der Stadt und den meisten ihrer Bewohnern gegenüber empfand, meine Empfindlichkeit für tröstende, inspirierende, vitalisierende Kunst herabsetzte, mir also letztlich schadete. "Wie dumm, sich sowas entgehen zu lassen!", seufzte ich immer wieder, "Wie dumm, wie dumm!". Das Gras erinnerte mich schlagartig daran, wie abgestumpft ich mit meinen 28 Jahren schon war, wie gefährlich es wäre, einfach so weiter zu machen wie bisher. Ich recherchierte sehr intensiv über gesundheitliche Risiken und fand heraus, das Gras pur geraucht die Lungenfunktion nicht beeinträchtigt, sogar verbessern kann und dass die Giftstoffe, die beim Verbrennen entstehen, von den antikanzerogenen Substanzen ausgeglichen werden.
Ein paar Tage später bin ich - nüchtern - komplett in Heulen ausgebrochen, als mir ein Lied, das mir früher sehr gefiel, das Gefühl gab, immer noch das kleine, überempfindliche, orientierungslose Kind zu sein, das ich mal gewesen bin und irgendwann ist das Leben einfach vorbei und kommt nie wieder. Intellektuell kann man das leicht und gelassen erfassen, aber wenn es auch das Herz versteht, will es den ganzen Körper niederdrücken. In den nächsten Wochen habe ich ab und an mit Miles gekifft, fand aber heraus, dass es mir alleine mehr Spaß macht, denn dann muss ich nicht aufpassen, dass ich keine Dinge sage oder tu, die mir später peinlich sein könnten. Außerdem ist der Rausch intensiver, nachhaltiger und konstruktiver, wenn ich dabei schreibe und schreiben kann ich nur, wenn niemand im Raum ist. Ich war anfangs sehr skeptisch, denn ich konnte schon nie das Klischee, dass Alkohol die Seele öffnet und die Kreativität anregt, bestätigen: noch nie habe ich betrunken etwas Interessantes von mir gegeben. Es zeigte sich jedoch, dass Cannabis die Art und Weise, wie ich über mich und meine Arbeit und die Welt nachdenke, langsam verändert: dieser Blog versammelt die mir wichtigsten Texte, die ich in den Jahren 2014 bis 2016 geschrieben habe: in dieser Zeit habe ich mich von einem schlaflosen Menschenhasser ohne Zukunft in einen experimentellen Liedermacher mit sozialistischen Hoffnungen verwandelt.

Ich verdanke der Pflanze eine Menge und ich hoffe, dass Anbau, Besitz und Verkauf bald wieder legal sind. Die folgenden Aufzeichnungen verstehen sich nicht zuletzt als Beitrag zur Legalisierungsdebatte, den ich in einem Satz zusammenfassen kann: ich wünsche mir eine selbstbewusste, vielfältige, genießerische und gemütliche Cannabiskultur - als Antwort auf die Verdrießlichung Europas, die selbst nur eine Antwort auf den Irrsinn der Weltgeschichte ist. Wo kommt denn Europa auf einmal her? Das hätte ich mich vor zwei Jahren, als ich anfing, unter Cannabis-Einfluss zu schreiben, auch gefragt. Here we go!

auf einer warmen Wiese im Frühling 2018,
Demien Bartók