Weihnachten

Mit einem Regionalzug fahre ich über die Weihnachtsfeiertage zu meinen Eltern. Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, ihnen von meinen Experimenten zu erzählen, sie vielleicht in die Experimente einzubeziehen? "Sowas kommt mir nicht ins Haus!“ - „Das kannst du bei dir machen!“ Mutter wird das übertrieben empört, kalt, aber lieb sagen, Vater eher böse, dumm, aggressiv. Ich seh mich an der gegenüberliegenden Fensterscheibe, ein kleiner Junge, der aus dem Internat zu seinen Eltern fährt. Vielleicht hat meine Familie schon vor Jahren den emotionalen Bezug zu mir verloren wie ich zu ihnen. Die Bahnsicherheit und die Kontrolleurin kommt vorbei, ich schaue sie kurz und unverdächtig an, ich weiß genau dass ich so wirke als hätte ich nichts zu verstecken. Am Bahnhof setze ich mich auch direkt neben drei Polizisten, die einen Afrikaner kontrollieren. Ich stell mir vor, wie ich sie frech und niedlich von der Seite anquake, wie ein tollpatschig-selbstbewusstes Kind mit bunter Propeller-Mütze: „Haben Sie noch einen emotionalen Bezug zu Ihrer Familie?“ Die Bahnfahrt macht Spaß, freundlich ziehen die grünen und grauen Landschaften vorbei, Thüringer Hochglanz-Tristesse. Die Landschaft freut sich wie ein Affe im Käfig, dass Besucher vorbeifahren. Wir sperren Euch ein, damit Andere sehen, dass es Euch mal draußen gegeben hat. Allen deine Existenz zeigen: erster und letzter Sinn deines Daseins. Ich schreibe nur, wenn ich was zu sagen habe. Schreibe ich auf, was ich denke, oder tu ich nur so, als würde ich es denken, weil ich mir vielleicht wünsche, so zu denken und zu fühlen? WOHIN? Die Unsicherheit ist gemütlich und erregend.

Gera hat ein paar schöne Ecken und einen gewaltigen Leerstand. Eine selbstbewusste, maskuline Punkerbraut kommt rein und ich denke, dass gerade Bisexuelle ein Gefallen an maskulinen Frauen und femininen Männern finden, weil beide Beides bedienen. Ich schaue aus dem Fenster und finde die Konstrukte Mann und Frau furchtbar. Vielleicht ist es bald lächerlich, sich einem Geschlecht anzupassen. In Ronneburg liegt jedenfalls der Hund begraben, viele Kilometer tief. Eine süße, durchschnittliche Stadt, die so ausschaut wie ein überfreundlicher Streber in der Schule, der heute mal nicht vermöbelt wird, weil die Schulleiterin danebensteht. Offensive gegen Mobbing. Oder: Ronneburg sieht einfach nur geduldet aus wie ein sabbernder Rollstuhlfahrer, der gern Pornos schaut. Der Mann, der die Nächster-Halt-Durchsagen macht, klingt so als würde er sich freuen, zu Weihnachten bei der Familie zu sein. In 13 Minuten muss ich umsteigen. „Dinge sind nicht von Natur aus illegal, sie werden von fetten, extrem reichen Männern für illegal erklärt.“, könnte ich meinen Eltern sagen. Was werde ich überhaupt bei denen machen? Mutter sagt, sie würde sich sehr freuen, wenn ich vorbeikomme. Aber was wollen wir alle miteinander anfangen? Immer wenn ich zu Besuch bei den Eltern bin, geht es strenger zu als wenn sie zu Besuch bei mir sind. Ich überlege, ob mich der graue Himmel traurig macht. Eigentlich geht uns der Himmel gar nichts an. Er ist nur ein Nachbar, der seine Privatsphäre haben will, er hat sich nicht freiwillig hier neben uns angesiedelt, er ist uns eh allen fürchterlich überlegen.

Erster Weihnachtsfeiertag. Mir ist das Gästesofa unbequem, also schlaf ich auf dem Boden. Ich darf nicht auf dem Sofa im Wohnzimmer schlafen, „weil das kein Schlafsofa ist“. Was für ein seltsames, böses, steriles und letztlich unlogisches Prinzip. Eine lieblose Diskussion darüber verdüstert den Frühstückstisch. Ich verzieh mich kurz nach oben und nehm etwas Cannabis. Meine Eltern sind lieblose, genervte Ossis, die mitten im Leben stehen. Wir haben uns nur Oberflächlichkeiten zu sagen und im Radio und Fernsehen ist wirklich die Hölle los und ich muss sie dulden. Meine Eltern wollen, dass ich mich in diese kleine, düstere, funktionale, lieblose Welt einfüge, von der sie körperlich und psychisch abhängig sind. Ich kann nur hilflos daneben stehen und hoffen, dass ich nicht arrogant wirke. Ich setze mich eine halbe Stunde auf den Badewannenrand und halte einen Heulkrampf in Zaum.

Heute nachmittag kommt die Mutter des Vaters. Ich soll mir meinen Sitzplatz aussuchen. Ich will nicht hinten in der Ecke sitzen und sage übertrieben theatralisch: „Ich will nicht so eingequetscht sein in der Ecke“.und etwas später „Jeder Platz ist einengend“ und meine damit: „Jeder Glaube ist einengend.“ Rechtfertigungen engen das ein, was man rechtfertigt. Ich bin traurig, dass wir keinen emotionalen Bezug zueinander haben. Die Eltern sind die Ersten, zu denen man aufschaut. Heute glaub ich, sie mögen mich nichtmal. Oma schaut mich jedenfalls nicht so häufig an wie ich sie... 15 zu 1. Sie sieht noch genau so aus wie früher und redet und verhält sich so. Ich habe sie schon immer gemocht. Der Stiefopa fühlt sich bestimmt unwohl, er weiß dass er den richtigen Opa nicht ersetzen kann und versucht es auch gar nicht. Alle reden sehr laut und kalt und lieblos miteinander, aber das kann auch einfach nur das Temperament des Bergvolkes sein. Die Mutter freut sich, dass wir alle zusammen sind, meckert aber zum Beispiel darüber, dass die "jungen Leute heute keinen Respekt mehr vor der Polizei haben". Ich komme aus einer Familie, die Polizisten respektiert. Ich denke mir: wie toll wäre es, wenn sich einfach jeder ein schönes Leben machen würde. Es ist so unheimlich, wie sich die Eltern über Nachbarn aufregen. Es ist so traurig, wie gefrustet und genervt und empfindlich die sind. Diese latente Abscheu vor Ausländern und Schmarotzern... Gedrücktes, vorsichtiges, sauberes Leben... Aber auch alberne, heitere, schöne, entspannte Momente... Vielleicht erstmal reinkommen... Das Gras erhebt, ich habe oft feuchte Augen, Mein Vater, der im DHL-Lager Pakete hin-und-herfährt (was für eine großartige Leistung!) regt sich auf, dass Leute schwere Farbeimer verschicken. „Ich finde das nicht richtig, die denken alle nicht daran, dass wir das dann in der Paketstation herumschleppen können die ganze Nacht.“ Also er erwartet, dass die Leute rücksichtsvoll sind, aber auf die Asylanten soll man nicht Rücksicht nehmen, denn das muss ja alles finanziert werden. Ich denke, ich schicke die 150 Euro Weihnachtsgeld zurück,
Idee für Weihnachten 2015: den Eltern einen Schweinekopf und einen Menschenkopf schenken. Vielleicht ernähren sie sich dann gesünder. Ich habe wirklich Angst, dass sie irgendwelche bösen Krankheiten bekommen. Sie wollen sich keine Gedanken über Ernährung machen, „weil man dann bald gar nichts mehr essen kann.“ Frage: wie könnte ich ihnen durch die Blume sagen, dass ich das Morden von Menschen / Tieren nur im Affekt, in echter Not/bei spontaner, herzlicher Lust oder zur nachhaltigen Verbesserung des Lebens "okay" finde? ... Vielleicht reichen aber auch ein Paar Augen. Schlagzeile: "Hat nur Augen für die Eltern: Eingebildeter Sohn schenkt geliebten Eltern neue Gefühle."

Dass sich meine Eltern oft mit der ekelhaften Popmusik im Radio abgeben, macht mich traurig. Ich streichle den Gedanke, dass Popmusik Wünschbarkeiten einengt, wie einen süßen Widder. Die Welt des Radios und Fernsehers: ein bunter, kalter Zirkus, in dem sich alles um die Idee des Geldes dreht, und mittelmäßig lässt sich am besten Geld verdienen. Kann man hinnehmen oder eben nicht. Was entscheidet, ob Hinnehmenkönnen und Nichthinnehmenkönnen? Die Lust! Die meisten Menschen haben keine Probleme damit, Dinge zu dulden die sie lustlos machen, denn "lustlos lässt sich besser arbeiten als depressiv", wie ein geflügeltes Wort über das Erzgebirge flattert. "Aber Lustlosigkeit ist selbst nur ein Symptom einer Depression!", erblüht in mir ein Blumenbeet. Mich zieht es wirklich runter, dass die Interessen der meisten Leute so beschränkt sind, dass sie nichts Neues mehr haben wollen, sondern immer nur das Immergleiche abspulen. Der Ekel vor dem übersichtlichen Elend der Masse. Die zitternde, hilflose Abscheu vor der demokratisch, finanziell und moralisch legitimierten Einöde des Geschmacks, der Banalität der Wünsche, die enge, dunkle Sackgasse der Bedürfnisse.
Kein Spastiker, kein Contergan-Kind, kein Tschernobyl-Opfer, kein Kriegskrüppel, kein AIDS-Kranker, kein Meth-Junkie kommt mir so behindert, so krank, so dumm und hässlich vor wie jemand, der sich nur für eine Art von Musik interessiert … oder der querbeet ALLES hört... oder der von Andrea Berg oder Freiwild oder den Toten Hosen „ergriffen“ ist.... Jede Art von Toleranz oder Mitleid für solche würdelosen Untermenschen kocht das Gift ihrer Arroganz nur noch weiter hoch... Man muss sie beschämen, entkoppeln, in eine jahrelange Verzweiflung stopfen und mit einer radikalen Diät zwangsernähren...Eine leichte, echte Heiterkeit, eine selbstbewusste Schwammigkeit, eine herzliche Schüchternheit, eine dionysische, festliche Aggressivität… alles undeutsche Tugenden. Der Deutsche kann weder albern, noch fröhlich empathisch, noch herzlich skeptisch, herzlich zurückhaltend, herzlich indifferent, herzlich willkürlich sein. Er ist gedrückt von einer sterilen Mittelmäßigkeit, einer arroganten, hilflosen Ehrfurcht vor Obrigkeiten, einer unstillbaren Lust an kleinen und mittleren Skandalen, Mängeln, Unreinheiten und einer primitiven Rührseligkeit. - Die Deutschen sind ein Volk, das nicht arbeitet um zu leben und auch nicht lebt, um zu arbeiten, sondern ein Volk das arbeitet um zu arbeiten.

Indem ich mit meiner Empfindlichkeit prahle, will ich meinen Beitrag leisten, alles „Deutsche“, „Gute“, „Wahre“ zu zerreißen. Alle Prinzipien und Hoffnungen und Ängste und Widersprüche zu einem apokalyptischen Frühjahrsstrom zusammenführen, der das Klima in diesen Breitengraden nachhaltig verändert. „Wir müssen die Flut steigen lassen, immer weiter steigen lassen und wir fürchten uns endlich nicht mehr, auch ins Blaue zu schießen und gewaltige Peinlichkeiten und Fehler zu begehen...“, schreibe ich mir in der Küche als Krücke in meinen Notizblock. Hier bei den Eltern kann ich gut über Dinge nachdenken, die mir bei mir zuhause banal erscheinen. Vielleicht war es doch gut, meine Eltern zu besuchen. (Ich stelle mir vor, dass ich der erste und letzte Mensch bin, der jemals diesen Satz ernst gemeint hat.)

Ein Leben in Zweifel, auf Distanz, in der Fremde, in der Schwebe, in Bewegung muss möglich und angenehm sein. Die Kunst muss das soziale Gefüge aus dem Takt bringen, damit jeder Einzelne es für sich wieder in seinen eigenen Takt bringen kann. Alles muss veränderbar bleiben. Ich fühle mich gerade so klar, so sicher, so weise, dass ich mir vorstelle, wie ich gleich mit dem Oberkörper durch den Glastisch, vor dem ich sitze krache und sterbe und für immer tot bin.
Es ist so einfach, depressiv zu sein.
Es ist so gefährlich, glücklich zu sein.
Ich will irgendwo einen stabilen Platz finden,
unter einem Torbogen
oder auf dem Friedhof leben.
Ich möchte mich mit dem versöhnen, was ich nicht verstehe,
was ich nicht beherrsche und was ich nicht mehr verändern kann.

Meine Selbstwahrnehmung unterdrückt mich. Heisenberg: was man beobachtet, verändert man. Und das Beobachtete verändert den Beobachter. Deswegen keine Selbsterkennen ohne dings. Das Erkennen steht dem Erkennen im Weg. Das Selbst steht der Selbstwahrnehmung im Weg. Deswegen verändert die Vorstellung, wie der Rausch von außen aussieht, den Rausch. Lass die jungen Schwäne in den warmen Sonnenuntergang schwimmen. Man muss sich gegen die Zukunft abschotten. Und auch gegen die Vergangenheit, denn ich habe manchmal das Gefühl, so zu reden und zu gucken wie meine Mutter. Aber jetzt kann ich mich sehr gut entspannen, das Schreiben ist als läge ich auf der Hängematte und ließ die Füße zappeln, das Schreiben findet ganz weit unter mir statt und sobald ich mit Schreiben aufhöre, fängt der Text an, sich von mir zu distanzieren. Ich schicke lange, stabile Sätze an den Horizont, ich sehe sie in Zeitlupe an der Zimmertür abprallen. Ich mag es, dass das Zimmer so hell ist. Es schafft eine gute warme Decke Sicherheit um mich.

Ich schreibe, dass ich schreibe. Mein Schreiben lässt sich von mir kraulen, es lässt sich bürsten wie ein teurer, schwarzer Elefant sich bürsten lässt, er kommt auf mich zu und lässt sich bürsten, es ist mir erlaubt, ihn zu bürsten. Ich mag dieses aktive, kribbelige Durchhängen, irgendwo in Europa. Ich recke mich und strecke mich und warte, bis die Sonne untergegangen ist. Hat es gerade geklopft oder war das in der Musik? "Das klang so als würde jemand an das schwarze Fensterbrett der Lautsprecher klopfen", sage ich wie ein Nachtwächter, der mit einer plüschigen Taschenlampe das Kaufhaus sicher macht. Diese Angst loszulassen... Man schreibt nur, wenn man nicht loslassen kann, man macht nur Musik, wenn man nicht loslassen kann, man steht jeden Morgen nur auf, weil man nicht loslassen kann.

Sie schwächen uns, weil sie uns Rechtfertigungen, Erläuterungen, Grundbekenntnisse abringen.

Ich glaube, die Zeit läuft langsamer ab, weil sie so gepolstert ist, ich weiß nicht, was das für die Zukunft bedeutet. Vielleicht ist das Leben deshalb eine Qual, weil wir immer ein gutes Ende wollen. Sollte man sein Ende planen? Vielleicht ist das Leben besser, wenn man sein Ende plant.

Man MUSS die Grammatik überwinden (Poesie) und sie vortragen (Lied). Das ist der natürlichste Ausdruck.

Im Gegensatz zu allen anderen Gegenständen weißt du wie es ist, von mir wahrgenommen zu werden. Ich verabschiede den Gedanken mit einem festen Händedruck.

Ich mag die Zeichen, die die Musik auf mein Gesicht streicht. Jeder Satz ist ein guter letzter Satz, der nicht klingt wie ein letzter Satz. Ich werde jetzt von meinem kippelnden Stuhl aufstehen und mich zur Musik bewegen. Ich kehre jetzt zum brennenden Lagerfeuer zurück. Der Tag ist noch jung, flexibel, gemütlich.

Jede soziale Norm macht den Körper nervös

Gibt es Marie noch? Gibt es Stephen und Jakob noch? Hat die Stadt sie verschluckt? Werden sie einen gemütlichen Garten finden? Könnten doch alle hier sein! Wir essen leuchtende Blumen und absorbieren leuchtende Musik und setzen uns dem Spektakel dieser kalten, glänzenden Stadt aus, die zu mir gehört wie mein Herzmuskel. Was auch immer die Meere der Zeit und des Raumes trennen, ihr könnt immer zurück in das Baumhaus kommen, das unter der Unordnung meiner Wohnung wie eine Mutter auf den Sohn wartet, der sich in irgendeinem unübersichtlichen Krieg auf der Suche nach Wahrheit in das Ende der Gemütlichkeit verliebt hat. Hier, wo die Zeit nicht verstreichen kann, weil es keinen Grund dafür gibt, hier, wo jeder seine Funktion hat, weil er genau den richtigen Körper mit den richtigen Gewürzen hat. Redet mit den Steinen, bis ihr darin mein Gesicht erkennt und ich öffne Euch die Tür.

Die blutigen Hände meiner Lunge dirigieren meinen Körper in den Takt der Musik. Meine grinsende, pausbäckige Selbstzufriedenheit ist es, die die Musik vollkommen macht. Ich erschrecke über die Möglichkeit, dass man Musik missversteht, wenn man sie nüchtern hört.

GOO von Sonic Youth ist ein stolzes Album, ein wütender Metall-Albino, der Gewitter erzeugen kann, wenn der Bürgermeister ihn nur ins Kabinett holen würde. Ich wünschte ich wäre ein bisschen entspannter, so wie Jakob. Ich habe kein Recht an der Weisheit zu nagen, die ihn auf Kurs hält. Ich hoffe er sagt, wenn ich ihn zerdrücke oder falsch anschaue, meine Bewunderung für ihn verwandelt mich. Ich hoffe, ich wirke nicht so wie ein Bürgermeister-Kandidat. Ich knutsche den Moment, indem ich mich aus ihm verziehe.
Wenn ihr glaubt, ich sehe mich über euch oder vor euch, dann kann mir meine Mutter gratulieren für so viel Selbstbeherrschung. "Endlich bist du so cool wie es sich für dein Alter gehört!" Ich werde verlegen lächeln, mich eigentlich aber schämen, dass ich nicht Lust hatte, es zu weit zu treiben. So viel Liebe, aber so wenig Gründe, sie zu verstecken.

Alle Leute die Cannabis mit Techno kombinieren, wählen bestimmt auch die SPD, weil die so charismatische Führungspersönlichkeiten wie Gabriel oder Nahles haben. Ganz klar ist, dass Cannabis nicht wegbomben will, man fühlt sich nur so "stoned", weil man die Eindrücke nicht mehr verarbeiten kann. Wenn man bekifft ist, sollte man diesen Zustand würdigen und ihn mit goldenen Zweigen umrahmen, indem man sehr subtile, differenzierte Musik hört, Musik die auch ein tieferes Interesse an den Hörer hat und nicht nur irgendwelche Plattitüden in die Ohren pumpt. Ich kann mir nicht vorstellen, bekifft aktuelle Chartmusik zu hören, so wie ich mir nicht vorstellen kann, ein Ferkel zu vergewaltigen. Was wäre ich ohne meine natürlichen Grenzen? Meine Seele ist an all diese körperlichen Grenzen gebunden.

Sobald etwas wiederholbar ist, ist es schon geronnen. Nur wenn man den Augenblick nicht festhält, kann er fließen wie ein klarer Fluss und leuchten wie ein klarer Himmel. Jemand, der an sich festhält, reduziert sich zu einer Karikatur seiner Möglichkeiten.
Die Gesellschaft behandelt die Menschen wie dumme Kinder: "Finde dich, leg dich fest, nimm die Mütze beim Essen ab, sag freundlich danke und schlürf nicht so!"

Ich bin zu träge um aufzustehen, aber der Wunsch, keine Alterungserscheinungen zu zeigen, motiviert mich, wieder zurück an den Computer zu gehen. Würde man Kindern nicht vorschreiben, wann sie ins Bett gehen sollen, würde man ihnen eine Zukunft als Amphetamin-Abhängige ersparen. "Gras wirkt umgekehrt, oder?", schaue ich ungläubig fragend, winke die Frage aber vorbei, weil sie in der Musik steht. Ich stecke bequem und stabil zwischen diesen Sätzen fest, während meine Beine nach Bewegung verlangen, ich sitze seit Stunden im Schneidersitz und mache eine Hocke in den Bildschirm rein.

Wenn Tom Waits "I'm not your fool anymore" singt, klingt er so wie ein Junge, der sich vor der Schule unter einer Bettdecke versteckt... "Ihr wollt mich nicht, weil ihr mich nicht braucht... Ihr braucht mich nicht, weil ihr mich nicht wollt"...  Wie ein Richter, der dem heulenden Junge mit großväterlicher Liebe sagt: "Du bist nicht schuldig!", weigere ich mich, der Frage, warum meine Freunde nicht da sind, Dringlichkeit zu bescheinigen. Ich gehe mit einem Spaziergang raus, ich kann die Beine hinter meinem Gesicht entspannt über die Buchstaben spazieren lassen.

Wenn du stoned bist, sorgt der Rausch dafür dass du glaubst, gerade nur berauscht zu sein in einer ganz geordneten, gewöhnlichen, nüchternen Welt. Aber das ist sie nicht. Die Droge schenkt dir nicht den Rausch, sondern die Illusion, dass du auch nüchtern sein kannst.


(Dieser Satz funktioniert nur, wenn man ihn stoned liest. Dann erscheint das, was hier in Klammern steht, wie ein Rattenfänger... oder ein Schülerloze, jenachdem wie gut die Musik ist...)

Ich hab Lust, eine Tankstelle zu überfallen, wenn ich "BB" von Psychic TV höre. Ich will eine dreckige, aggressive, kluge, sexgeile Hure sein, die in einer Männer-Gang das heiße Eisen ist. Vielleicht ist Travestie eine Erfindung von Kiffern. In der Musik ist ein Affe eingesperrt, er heult, als ob er dazu gehört. Die Motorräder werden geschrubbt, Schminke wird aufgetragen, das Abenteuer kribbelt auf unseren Gesichtern wie warmer Brauseregen.

Würde ein Mensch, der die Personalisierung meiner Lieblingsmusik ist, mich mögen? Mit einem dicken, wohlwollenden, saftigen Grinsen sabbere ich auf den Schreibtisch, schaue nach unten auf die Straße, auf der ich gerade meine Hände herumspielen lasse mit der Tastatur, wie eine Katze sich mit einer langen, trägen Ratte befreundet hat, meine Hände sind wütend, dass sie zu so einem Leben wie meinem gehören, tippen aber alles fein ab, weil sie ja nicht anders können... Meine linke Hand ist älter als die rechte... Ich finde es lustig und jetzt sehr lustig, wie meine rechte Hand manchmal nach oben tippt, um die Rücktaste zu drücken. Das Schreiben dieses Satzes war total anstrengend, weil ich immer lachen musste, wenn die rechte Hand die Rücktaste drückt, als wenn mir ein Hund mit seiner feuchten Nase ins Gesicht schnüffelt.

Ich gehe in die Pizzeria um die Ecke, darin wartet ein altes Ehepaar auf seine Bestellung, die Frau sieht so bemüht ordentlich aus wie die meisten Leute. Die Menschen leben, um ordentlich zu sein. Der Mann schaut in den Fernseher, eine Scripted-Reality läuft, ich hab das Bedürfnis ihm zu sagen, dass das alles nicht echt ist. Er sieht traurig aus, wie er seine Frau so duldet und die Security-Leute, die von der Kamera begleitet werden, wirken so bösartig und übergroß und total dümmlich, sind das schlechte Schauspieler oder echte Securities? Wie sie diesen armen, alten, hungrigen, Rausch-zerfressenen, verpixelten Mann einkreisen und ihn von oben wie die letzte Rechtsinstanz im Universum mit Zeigefinger und Notizblock und Funkgerät behämmern, ich fühle mich genau so erniedrigt von ihnen wie der verpixelte Mann auf der Parkbank da, und diese beiden Eindrücke, die ordentliche Frau und die dunklen Security-Affen, halte ich fest in meiner Hand, damit ich sie nicht vergesse, ich halte sie fest und torkle durch den Raum, ich hoffe ich nerve nicht oder stresse den Typ hinter der Theke, vielleicht denkt er ich will ihm zeigen, dass ich es eilig habe? Aber ich muss diese beiden Gedanken festhalten, sonst hab ich sie vergessen, wenn ich die fünf Minuten nach Hause gelaufen bin. Während ich durch den Raum tapse, kommen mir die Security-Leute so vor wie schwarze, hungrige Taranteln, die aus dem Terrarium heraus wollen und ich bezahle plötzlich.
Es ist toll, mein Sein einzuschubladen: das schreibende Sein, das hörende Sein, das schmeckende Sein, das Rückenschmerz-Sein... Ich bin die Sammlung all dieser Seins. Das Ego-Bewusstsein macht Inventur in einem Keller voller Seins-Gläser, eingemachte Vorurteile, mit denen man sich beschmieren kann.

Das größte Elend ist das Fehlen passender Musik, das auf dem kleinen Ausschnitt, den ich von aller Musik nur kenne, reitet wie ein besoffener alter Mann an seinem letzten Tag. Ich habe eine Packung schwarzer Pfefferkörne neben mir, in ihnen ist ein Antagonist von THC enthalten, hat man rausgefunden. Es soll die paranoiden Anteile des Rausches dämpfen, schon ein altes indisches Gedicht erzählt davon, wie Ganja belebt und Pfeffer beruhigt.

Hier bin ich und tu was ich tu, hoffend, damit ein Haus für uns gefunden zu haben, und ich sehe wie unsere Wege weit auseinandergehen müssen, wir opfern uns für keine Idee, nichtmal für uns selbst, these are the ways I feel my head. Was müssen wir wirklich tun in der Welt? Ist das hier eine Art Testament? Ich flattere hypersensibel am Mast meines Lebens, besessen von Zusammenhang und Sinn.
Ich starre in die Musik mit den Augen meiner Ohren und den Nasen meiner Ohren. Ich hänge jeden Satz wie einen Anzug in meinen Schrank, Ich vergleiche mich zu oft mit anderen Lebensentwürfen. Okay okay okay okay. Ich vergleiche meine Freunde mit den Freunden meines Vaters, bis ich merke, dass er heute keine Freunde mehr hat. Mein Vater ist ein Verlierer, der es nicht leiden kann, wenn man ihm widerspricht, ein ungebildeter, arroganter Säufer, der seine Kinder und seine Frau unterdrückt mit seiner schlechten Laune. Ich hasse ihn und wünsche ihm ein schmerzvolles, langweiliges Sterben. Versöhnlicherweise schreibe ich das zu einer Lieblingsplatte meines Vaters. Mir fällt ein Stein vom Herz, ich lächle ihm nach, ich kann mich an einen anderen Gedanken festhalten wie an den freundlichen Arsch einer Straßenbahn, der Tag ist jung, die Stadt ist hell und freundlich. Das ist auf jeden Fall eine Szene in meiner Autobiographie, in der ich in knalligen Farben zu "Louie Louie" von Iggy Pop meine Freunde mit einem riesigen, knalligen Brief einpeitsche, der dieses Buch ist. Ich fühle mich, als würde ich immer noch in der ersten Bruchbude wohnen, die ich in der Stadt gefunden habe, so als würde ich immer noch auf der Suche nach leuchtenden Leuten sein, aber ich hab sie längst gefunden, sie haben sich aber noch nicht gefunden. Legalize it now!

Was ist an einem verplemperten Leben schlimm? Was ist an einem vor sich hinstürzenden Wasserfall schlimm? Mein Vaporizer faucht unter mir und Animal Collective intensivieren das Licht der Biolicht-Birne in meinem Zimmer und ich häng meinen Oberkörper in das Rauschen wie in einen Traum. Ein angenehmes Taubheitsgefühl. Ein Lächeln küsst meine verflogene Kindheit. Die Zeit ist ein zähes, schweres Ding, das ich auf dem Rücken habe, Kunst erscheint mir grad nur noch zulässig, wenn sie im Vollrausch gemacht wurde. Alles was mir Sorgen macht, ist nur ein Kackefleck an meinem Schuh. Siehst du, wie deine Sorgen da drüben über den Zaun gucken? "Infant Dressing Table" von Animal Collective. Der Druck zwischen den Ohren ist erheblich, er hält das Gehirn fest, jetzt wird sich mein Leben verändern. Ich bin jetzt deutlich drüben, ich sollte etwas anders tun als schreiben oder?
Zerbrich den Stil, bevor er dich zerbricht. Zerschneide die Kontinuität, bevor sie dich einschnürt. Schade, dass man nicht schreibend einschlafen kann.

"Mein Blick kann doch nicht Missverständnisse auslösen!", rufe ich theatralisch und springe der helfenden Hand nach, die im Nichts verschwindet. Die Tastatur wartet fröhlich auf meine Entscheidungen.

Cannabis muss als Gast behandelt werden, der schöne Sachen aus fernen Ländern mitgebracht hat. Deine Neugier soll dir niemals peinlich sein. Es ist okay, Dinge zu probieren. Sei aber nicht so stolz drauf, wie damals als du das erste Mal Go Cart gefahren bist und du begeistert davon erzählt hast und die Oma dich ausgeschimpft hat, als niemand hingeschaut hat: "Nun ist aber mal gut, ja!!!?" Was für eine böse, kalte Frau. Wieviel ihrer Boshaftigkeit und Kälte steckt in mir? Kann ich mich von den Imperativen meines Erbguts befreien, die mich ganz und gar im Griff haben wollen? Ich möchte ein berühmter Künstler sein, um nicht ein bedeutungsloser Nichtsnutz zu sein. MUAHAHAHA! Ich mach mich über meinen Wunsch, berühmt zu werden, lustig wie über einen Behinderten im Rollstuhl. Darüber lacht man nicht!!!! MUAHAHAHA!!!!

Ich begutachte das, was mir das Gras geben könnte, wie ein Diktator, der einen Landwirtschaftsbetrieb inspiziert. Kim Jong Bartok lässt sich erzählen, was hier so produziert wird. Wenn ich daheim bin, lass ich die Fabrik bombardieren, denn ich bin eine dicke, selbstbewusste Voodoo-Prinzessin, die keinen Mann braucht. Wenn man Gedanken und Gefühle intensiver wahrnimmt, kann man dann ihre Ausstrahlungskraft und ihren möglichen Effekt auf die Zukunft besser einschätzen oder nicht? Es sind Gedanken, die in einer Reihe mit anderen Gedanken stehen. So wie das Alltags-Ich nur in einer Reihe mit vielen anderen Ich-Zuständen steht. Das Ich, was am häufigsten im Mittelpunkt des Geschehens ist, ist nicht der Anführer oder das Zentrum. Es ist einfach nur das, was am meisten Aufmerksamkeit bekommt. Es gibt noch viele andere Ich-Entwürfe. Das Gras weicht den alltäglichen Ich-Entwurf auf und gibt damit den Anderen auch eine Chance. Ich komme mir nach einem halben Jahr intensiver Beschäftigung mit Cannabis jedenfalls verändert vor, stabiler, breiter gefächert, ruhiger, aufmerksamer, selbstbewusster.

Am liebsten rede ich mit dem Mund voller Zweifel, allerdings nur, wenn auch jemand zuhört, denn allein fällt es so schwer, skeptisch zu sein.

Ich krame mir am Rand meiner Wohnung ein Nest zum Schlafen zurecht.

Meine Haltung zur Welt donnert im selben Rhythmus wie die Musik. Ich irre ein bisschen auf meinem Bett herum, eine komfortable Wüste, die bald von Beamten und Ärzten umzingelt ist. Ich fühle mich hier total wohl, an meinem Teich, ein kleiner, geduldiger Alligator, der weiß, dass hier bald die Bauwägen und Bagger und Kräne anrücken.

Die sozialen Netze ringsherum, die man bespringen kann, ganz heftig wenn man will, oder auch einfach nur als Hängematte benutzen kann, nur ein vages Gefühl davon, was man mal werden könnte. Die Menschen sollen sich einfach nur ein schönes Leben machen, sagt ein Teil von mir, der diplomatische, während ein anderer sagt: "Lasst mich bloß alle in Ruhe" und ein weiterer: "Ich wäre gern ein entspannter Caligula!" Ich trinke jedes schwarze Gebräu! Ohne ein Lachen, ohne ein Abspritzen, ohne nennenswerte Gefühle. Ich kam auf die Welt, irrte von einander widersprechenden Emotion aufgepeitscht in die Sackgasse meiner Überempfindlichkeit, blähte vor Ambivalenz über den Rand meiner Würde, trieb die Neutralität meiner Moral bis zur Totalität: was für ein Paradies! Der weiße Raum des Nichts! Das Bewusstsein und die Stühle werden hochgestellt, die Putzfrau kommt und der Kellner hat gar kein Interesse daran, dass du zahlst für dein kleines Wasser, er will einfach, dass du dich von hier verpisst. Ohne Selbstachtung, ohne den Fanatismus eines Menschen der an die Zukunft denkt, ohne all den bunten Plunder einer bunten Plunder-Gesellschaft lässt es sich gut leben, hier, auf einer kleinen, schäbigen Insel, an der alle paar Tage ein großes Boot vorbeidampft und Fischreste an den Ufern entsorgt. Zeit liegt wie zusammengelegte Hotelhandtücher herum und wartet auf Benutzung. Ich gehe ein paar Schritte zurück. "HELFEN!", ruft ein Behinderter und klettert zu dem auf der Schlachtbank gefesselten Lamm und gerät auf tödliche Weise mit dem herankommenden Metzger ineinander.

Das was dich vom Rausch trennt, ist nur die Erinnerung an deine Nüchternheit, die Musik ist verdammt laut und hell und wild, eine wütende Melancholie darin gestaut, der Rausch will mich so verändern wie die Alltagswirklichkeit mich verändert. Ich steh ganz alleine am Ende des Tages, ich setz mich an die Rutsche am Ende des Zimmers und rutsche aus der Wohnung in den glühenden, weißen Punkt, der alles ist, was ist. Das heißt: es gibt keinen Grund, an irgendetwas festzuhalten. Ich werde mich nicht für das rechtfertigen, was ich ausbrüte. Ich will mit meinen Freunden in einem Leuchtturm wohnen.

Die Matsche

1

Die Ruhe meint es ernst, ihre Leichtigkeit ist kühl,
und es gibt Grenzen und Grenzen sind - zum übertreten da.
ich will mich nicht identifizieren mit dir

der Komposthaufen ist nährstoffreich,
tropisch-üppige Früchte blühen,
der warme Dampf des Frühlings lockt
Insekten, Ratten und Raben an
wir geben dem Jazz den Siff und Sex und Punk zurück




Daniel klingelt und fragt, ob wir ein bisschen herumziehen wollen.
"Ein zwei Bier können nicht schaden!", irre ich mich.
Daniel sieht so gut in den weißen Hosen und dem schwarzen Hemd aus.

Bald werden wir hier rausgeschmissen.

Der Gedanke, die Firma in die Luft zu sprengen,
die mit dem Haus und dem Boden Profit machen will,
verstärkt wie das Gras die Wirkung der Musik


Vermatscht und verdreckt steh ich auf
und schleiche zum Supermarkt ohne Namen.
Schmalzige Weihnachtsklassiker im Radio,
die aggressive Freundlichkeit
der Supermarkt-Reklame-Stimme,
ich genieße mein Abgespaltensein
vom Hauptstrom der Stadt,

Kleine, haarige Mittdreißiger tanzen verkrampft locker
mit winzigen, überschminkten Mittzwanzigern zu den Liedern ihrer Jugend,
so dermaßen ironisch, dass ich ihnen allen den Arsch versohlen würde.

Ich ewarte dass jemand sagt, ich seh komisch aus
Ich erwarte eine Ohrfeige von meinem Stiefvater
ich schleudere einen Hammer in dein Gesicht

Aufgeweicht von Schläfrigkeit und einem zarten, matt strahlenden Kater
durch die dunklen Straßen laufend, fühl ich mich überlegen





Ich lese im Abschiedsbrief des Amokläufers von Emsdetten. Ich verstehe seinen Frust, kann mich aber nicht mit ihm identifizieren. Er wusste absolut nichts mit sich anzufangen, er hätte Punk oder Junkie oder Künstler werden können! Es ist völlig unbedeutend, was ihn dazu gebracht hat, Amok zu laufen. Jetzt ist er nur ein weiterer Verlierer, für den dieses System keinen Platz gehabt hat. Er hätte sich stärker mit sich befassen sollen, er hätte sich lieben und bilden sollen. Er gab immer nur den Anderen die Schuld, ohne sich selbst in Frage zu stellen: die typische Arroganz von Pubertierenden, die mit Anarchismus und Waffengewalt kokettieren. Er hatte weder Stil noch Geschmack, er war ein gewöhnlicher frustrierter Loser, bloß ein bisschen mutiger als wir alle, die ebenfalls unter dem Schul- und Wirtschaftssystem leiden. Ich begrüße immer solche Ausbrüche, ich kann nicht glauben, dass sie sich so selten ereignen. Ich finde immer schade, dass man die Amokläufer als Psychopathen abstempelt und immer nur ein Herz für die Opfer hat; so wird man dieser Tat nicht gerecht, so degradiert man sie zu einer banalen, durch nichts zu entschuldigenden Kriminalität. Solang man den Amoklauf nicht als vitalen, kühnen, übermütigen Anschlag auf das gesamtgesellschaftliche System sieht, als Kunstwerk, solang also die spießbürgerliche, konservative Mehrheit nur das an einem Amoklauf sehen will, was sie versteht, solang zumindest werden Schüler Tag für Tag in Angst leben müssen, dass sich unterdrücktes, angestautes, pervertiertes Leben entlädt.
Ich vermute, dass Marihuana einigen Amokläufern geholfen hätte, einen neue Perspektive auf das Leben zu finden, so wie auch bestimmte Musik, bestimmte Bücher und Filme und selbst nur Interviews mit bestimmten Menschen dazu beigetragen hätten. Was für ein Unglück, dass das Internet damals noch nicht so reichhaltig war - ja, das ist die wahre Tragödie! Niemand hat ihn mit den vielen, bunten, heilsamen Früchten vertraut gemacht, die im Wald wachsen. Man gab ihm immer nur das zu fressen, was alle anderen Kinder auch bekommen haben.

Es gibt heute keine direkte Zensur, alles, was ich toll und wichtig und lebenswert finde, ist frei zugänglich - vom Gras einmal abgesehen. Es gibt aber eine indirekte Zensur: die Ignoranz der Medien. Es ist nicht verboten, im Radio Free Jazz zu spielen, aber die allermeisten Menschen sind es nicht gewohnt, weil man sie an andere Musik gewöhnt hat, also läuft im Radio nur das, was jeder kennt, was keinen stört, weil es jeder versteht und das reibungslose Abspulen des Alltags nicht stört. So ist es mit Büchern, Filmen und so weiter. Der eintönige Mainstream sorgt dafür, dass die Menschen eintönig bleiben, vielleicht sind ihre Träume, ihre Gewaltphantasien, ihre Drogenvisionen noch interessant, aber meist ist auch da nicht mehr viel zu holen. Die Menschen liegen abgestumpft im Sessel, lassen sich von raffgierigen Krüppeln Ideale ins Gehirn peitschen und arbeiten hart und stolz daran, ihnen so weit wie möglich zu entsprechen.

Bestimmte Drogen können helfen, Normen, die das System vorgibt, zu überschreiten. Bestimmte Drogen können helfen, zu einem neuen Selbstverständnis zu kommen, eines, das ganz anders aufgebaut ist, eine ganz andere Sprache spricht, eine ganz andere Bestimmung hat als all die menschlichen Konstrukte, die ich heute im Edeka großräumig umschifft habe - auch wenn ich viele sogar fast angerempelt hätte, blieb ich ihnen doch fern, ich wäre ihnen selbst wenn ich sie verprügelt oder gefickt hätte, nicht näher gekommen. Cannabis weicht etablierte, festgebackene Konstrukte (Worte, Ideale, Gewohnheiten, Institutionen), mit denen wir auf Kurs gehalten werden, auf. Das ist eine Chance für das Individuum und eine Gefahr für das Kollektiv.







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Seit einer Woche kein Marihuana geraucht. Ich fühle mich sehr ausgeglichen, ruhig und ernst. Ich gehe mit ein paar Leuten, die ich aus meiner Studentenzeit kenne, auf zwei, drei Bier in eine süßlich sterile Jazz-Kneipe in die Innenstadt. Die Langeweile, die ich empfinde, macht es mir unmöglich, normal an den Gesprächen teilzunehmen, ständig muss ich dazwischensticheln. Trotzdem verabschieden wir uns mit einer weichen Umarmung. Es sind gute Leute, die von der Stadt noch nicht so angeödet sind wie ich. Daheim höre ich Ornette Colemans "Chappaqua Suite", zu der man keinen Sekt verkaufen und nicht über das Studium reden kann. Ich mach mir noch einen Grünen Tee und leg mich auf den Boden und fühle mich blendend.

Robert, der Mathematiker kommt mit ein bisschen Gras vorbei (selbstangebautes aus Erfurt). Er ist einer der Wenigen, der eine Gras-Connection hat. Alle Menschen sind meine Freunde, die mir gern gutes Gras verkaufen. Robert kifft nur gelegentlich, als Belohnung für geleistete Arbeit. Ich kiffe gern regelmäßig, um ein paar Schritte von dieser tristen Stadt zurückzutreten.

Gras hebt wie Alkohol und Koffein eine Grenze auf, an die mich die Schule, die Eltern, selbst Freunde und die Musik gewöhnt haben. Es ist die Grenze zwischen "Damit kann ich mich identifizieren" und "Damit kann ich mich nicht identifizieren".

Robert möchte mir ein paar Lieder auf Youtube zeigen. Ich bin so entsetzt, dass ich ihn rausschmeißen muss. Ich kann nicht verstehen, wie man Gangsta Hip Hop oder Speed Metal oder Plastic Trash hören kann, wenn man bekifft ist. Ich würde gern den typischen Wochenend-Kiffer zwingen, sich reichhaltigen, nährstoffreichen, tropisch-üppigen Jazz anzuhören. Vielleicht muss jemand dem Jazz mal etwas Siff und Punk und Sperma und Rotze geben, um ihn aus der Hipster-Intellektuellen-Ecke herauszubekommen. Ich versteige mich gleich in der These, dass man den Zustand eines Landes daran ablesen kann, wie es in ihm um den Jazz bestellt ist. Daniel klingelt und fragt, ob wir ein bisschen herumziehen wollen. Ich hätte nein sagen sollen und in meiner Wohnung herumhängen sollen. Ich fühle mich wohl hier. Eine unsanierte Altbauwohnung, zwei Zimmer für 170 Euro. Bald werden wir hier rausgeschmissen. - Der Gedanke, die Firma in die Luft zu sprengen, die mit dem Gebäude und dem Boden Profit machen will, verstärkt wie das Gras die Wirkung der Musik. "Ein zwei Bier können nicht schaden!", irre ich mich. Daniel sieht so gut in den weißen Hosen und dem schwarzen Hemd aus.

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Am nächsten Nachmittag stehe ich vermatscht und verdreckt auf und schleiche zum Supermarkt ohne Namen. Schmalzige Weihnachtsklassiker im Radio, die aggressive Freundlichkeit der Supermarkt-Werbesprecherin demütigt mich. Ein tolles Gefühl, so abgespalten zu sein vom Hauptstrom der Stadt, leicht verkatert vom Bier und dem ekelhaften Kickerkeller, in den es uns auf der Suche nach einem Schlaftrunk verschlagen hatte. Kleine, haarige Mittdreißiger, die mit noch kleineren, überschminkten Mittzwanzigern verkrampft locker zu den Liedern ihrer Jugend tanzen, dermaßen ironisch, dass ich ihnen allen den Arsch versohlen würde. Geplättet von Überdruss verging mir die Lust auf Alkohol, die kurze Zeit in dem Club hat mich total verstrahlt. Vielleicht fühlt es sich deshalb so an, als würde ich mit jeder Bewegung einen Bogen um die Realität der Supermarktkunden machen: mein Atem, mein Herzschlag, mein unförmiges Innenleben scheint mich fest in einer zweifelhaften Individualität zu verschnüren. Die Kassiererin, die sonst immer genervt wirkt, ist heute sehr freundlich zu mir. Es gibt wirklich keinen Anflug von Paranoia in der Luft. Einen solchen Satz kann nur jemand sagen, der auf sie wartet, so wie ein freches Kind auf die Ohrfeige des Vaters. - Ich genieße es, aufgeweicht von Schläfrigkeit und einem zarten, süßen, trägen, matt strahlenden Kater durch die dunklen Straßen zu laufen. Ich fühle mich überlegen - und traurig, dass ich den Zustand nicht mit Anderen teilen kann und wir daraus etwas machen können.

Rausch kann ein Leben nur kaputt machen, wenn man ihn ungenutzt lässt. - Zuhause angekommen, fühle ich mich total fremd in meiner Haut und Wohnung. Nach einem zwölfstündigen Schlaf wache ich butterweich und verklebt in meiner kalten, dunklen Wohnung auf und alles ist wieder gut.

Ich lese im Abschiedsbrief des Amokläufers von Emsdetten. Ich verstehe seinen Frust, kann mich aber nicht mit ihm identifizieren. Er wusste absolut nichts mit sich anzufangen, er hätte Punk oder Junkie oder Künstler werden können! Es ist völlig unbedeutend, was ihn dazu gebracht hat, Amok zu laufen. Jetzt ist er nur ein weiterer Verlierer, für den dieses System keinen Platz gehabt hat. Er hätte sich stärker mit sich befassen sollen, er hätte sich lieben und bilden sollen. Er gab immer nur den Anderen die Schuld, ohne sich selbst in Frage zu stellen: die typische Arroganz von Pubertierenden, die mit Anarchismus und Waffengewalt kokettieren. Er hatte weder Stil noch Geschmack, er war ein gewöhnlicher frustrierter Loser, bloß ein bisschen mutiger als wir alle, die ebenfalls unter dem Schul- und Wirtschaftssystem leiden. Ich begrüße immer solche Ausbrüche, ich kann nicht glauben, dass sie sich so selten ereignen. Ich finde immer schade, dass man die Amokläufer als Psychopathen abstempelt und immer nur ein Herz für die Opfer hat; so wird man dieser Tat nicht gerecht, so degradiert man sie zu einer banalen, durch nichts zu entschuldigenden Kriminalität. Solang man den Amoklauf nicht als vitalen, kühnen, übermütigen Anschlag auf das gesamtgesellschaftliche System sieht, als Kunstwerk, solang also die spießbürgerliche, konservative Mehrheit nur das an einem Amoklauf sehen will, was sie versteht, solang zumindest werden Schüler Tag für Tag in Angst leben müssen, dass sich unterdrücktes, angestautes, pervertiertes Leben entlädt.

Ich vermute, dass Marihuana einigen Amokläufern geholfen hätte, einen neue Perspektive auf das Leben zu finden, so wie auch bestimmte Musik, bestimmte Bücher und Filme und selbst nur Interviews mit bestimmten Menschen dazu beigetragen hätten. Was für ein Unglück, dass das Internet damals noch nicht so reichhaltig war - ja, das ist die wahre Tragödie! Niemand hat ihn mit den vielen, bunten, heilsamen Früchten vertraut gemacht, die im Wald wachsen. Man gab ihm immer nur das zu fressen, was alle anderen Kinder auch bekommen haben.

Es gibt heute keine direkte Zensur, alles, was ich toll und wichtig und lebenswert finde, ist frei zugänglich - vom Gras einmal abgesehen. Es gibt aber eine indirekte Zensur: die Ignoranz der Medien. Es ist nicht verboten, im Radio Free Jazz zu spielen, aber die allermeisten Menschen sind es nicht gewohnt, weil man sie an andere Musik gewöhnt hat, also läuft im Radio nur das, was jeder kennt, was keinen stört, weil es jeder versteht und das reibungslose Abspulen des Alltags nicht stört. So ist es mit Büchern, Filmen und so weiter. Der eintönige Mainstream sorgt dafür, dass die Menschen eintönig bleiben, vielleicht sind ihre Träume, ihre Gewaltphantasien, ihre Drogenvisionen noch interessant, aber meist ist auch da nicht mehr viel zu holen. Die Menschen liegen abgestumpft im Sessel, lassen sich von raffgierigen Krüppeln Ideale ins Gehirn peitschen und arbeiten hart und stolz daran, ihnen so weit wie möglich zu entsprechen.

Bestimmte Drogen können helfen, Normen, die das System vorgibt, zu überschreiten. Bestimmte Drogen können helfen, zu einem neuen Selbstverständnis zu kommen, eines, das ganz anders aufgebaut ist, eine ganz andere Sprache spricht, eine ganz andere Bestimmung hat als all die menschlichen Konstrukte, die ich heute im Edeka großräumig umschifft habe - auch wenn ich viele sogar fast angerempelt hätte, blieb ich ihnen doch fern, ich wäre ihnen selbst wenn ich sie verprügelt oder gefickt hätte, nicht näher gekommen. Cannabis weicht etablierte, festgebackene Konstrukte (Worte, Ideale, Gewohnheiten, Institutionen), mit denen wir auf Kurs gehalten werden, auf. Das ist eine Chance für das Individuum und eine Gefahr für das Kollektiv.


Dichtsein will schöngeredet werden

(1)

Ich dachte an all die heruntergewirtschafteten Gesichter in der Stadt, spürte das ganze furchtbare, sinnlose Existieren, das ich mit allem, was sonst noch existiert, teilte, begriff, dass ich Teil der riesigen, kalten, dunklen Halle des Lebens bin, die man mit unterschiedlichen Kunstgriffen so erträglich wie möglich macht, aber irgendwann doch wieder für immer verlassen muss und ich wusste um die dumme Arroganz meiner Hormone und Affekte, habe es aber trotzdem nicht geschafft, im Bett liegen zu bleiben.

So wie ich nicht über die Stadt hinaus denken kann, kann ich nicht über mein Leben hinaus denken. Die Musik schnürt die Dunkelheit um mein Haus fest, damit sie nicht davonflattert. Der neue Taschen-Vaporizer ist prima, er dampft die Essenz aus dem freundlichen Grünzeug. Dampf ist das neue arte. Viel davon am morgen schon nehmen - eine auffordernde Geste in die Dunkelheit. Darf ich bitten? Die nüchternen Lebensabschnitte klammern nur die berauschten Lebensabschnitte in Reihe zu einer Biografie. Wie Gäste einer gemütlichen Kellerparty stehen die Banalitäten meines Lebens in meiner Wohnung herum und quasseln und quasseln. Sie reichen bunte Getränke herum. Ich stehe mit einer Erektion in der Menge und denke an eine staubige Wüstenstraße, an der ich stehe und auf jemanden warte, der mich mitnimmt, mein Klappmesser in der Hose gibt mir ein Gefühl von Unnahbarkeit. Die Sonne ist grell, die Geier kreisen wie sie schon seit dreitausend Jahren kreisen, eine Sandwolke zieht sich am Horizont zusammen, ein winziger Schulbus kommt herausgefahren und wird immer größer und kommt immer näher und braust schließlich an mir vorbei, oder sitze ich drin? Ich schau ins Gesicht der Lehrerin (meine Augen glühen rot wie Heuschreckenköpfe in einer Feuerzeugflamme), ich weiß, dass es möglich ist, sie zu töten, ich stell mir vor ihr Gesicht zu vermöbeln wie mein Kopfkissen am morgen, ich schüttel es auf und ab, ich rammel es durch, ich reiß es in Stücke und blutige Daunenfedern schweben herab und die Polizei sieht den Schulbus, der im Graben liegt, vom Mörder der Lehrerin keine Spur.

Je lauter die Musik, desto mehr komm ich mir vor als würde ich im Rampenlicht stehen um Kindern eine gute Nacht zu wünschen, die sich nicht zwischen dem, was Mama und dem was Papa sagt, entscheiden können, die zu empfindlich sind, zu bösartig und instabil, die Vorbeischleicher, die Drückeberger, die Tunichtgute und Dreikäsehochs. Wütend kram ich Ohrenschmalz aus meinem Ohr, ungewiss ob die Wut überhaupt angebracht ist. Ich werde mir jetzt Nudeln machen!

Die Tatsache, dass ich lebe, macht mir immer noch etwas Angst. Ich befinde mich in einem Raum und es gibt Menschen, die etwas von mir erwarten. Was setze ich dem entgegen?

Meine Finger feiern die Tatsache, dass ich schreibe, sie sind flink und froh, während das Leben an meinem Kopf dreht, das Leben fasst mir kalt an die Innenseite meiner Oberschenkel, das Leben pustet saubere Luft durch meine Ohren, das Leben surrt wie ein transparentes Insekt im Raum, jemand wedelt mit einem rauchenden Teppich aus dem Fenster, die Szene wiederholt sich, die Szenen spielen sich auf jeder der schwankenden Tasten meiner Tastatur wieder. Ambiente Music ist die silber-glänzende Krone des Abends. Identifiziere dich mit ihr! Ein warmer Körper saugt an meinem kalten, sprudelnden Bewusstsein, saugt mich hinab, während ich schreibe.

In einer Viertelstunde muss ich los, die böse Gaya wartet am Domplatz. Ich glaub, ich weigere mich nur zu glauben, einen Fress-Flash zu haben, diesen Satz zu schreiben war ein langes Torkeln über Wendeltreppen. Die Stadt leuchtet in einem fröhlichen metallblauem Grau. Ich bin ein überempfindliches Balg. Alles was ich weiß und nicht weiß, schwenkt als schöne große Kugel an mir vorbei.

Beeindrucktsein macht müde, eine vitale, luzide Müdigkeit, ein Schleier, ein verqualmter Logenplatz. Stürmisches Herbstwetter, aber unter der Kapuze ist es gemütlich, eine Glocke die mich schützt. Es kommt mir vor, als schreie ich die ganze Gegend zusammen. Ich will mir an der Sparkasse im Rathaus etwas Geld holen und stelle fest, dass ich meine EC-Karte verloren habe. Mittagsschlaf scheint eine geeignete Strafe dafür zu sein.

Ich werde stinkig, weil das Koffein nicht wirkt. Nachschub gefällig? Der Grüne Tee schlägt mir heut irgendwie auf den Magen. Er ist sehr bitter. Ich schau mir eine Rede von Roger Willemsen an und lege mich dann auf die Hängematte, die längs hinter meinem Gesicht aufgespannt ist und genieße den Tag, baumelnd in einem Zimmer, in dem ich Musik höre und rauche. Wenn jemand fragt, warum ich schreibe: "Das ist nunmal das, was ich tue."

Das Leben ist bloß eine Tasse, die man verschüttet - und ich schäme mich nicht davor, die größte Tasse sein zu wollen. - Früher hatte ich oft Angst, beobachtet zu werden, also dass irgendjemand alles, was ich tu, bewertet und wartet, bis es einen Grund gibt, einzuschreiten. Später wünschte ich mir manchmal vor lauter Einsamkeit beobachtet zu werden. Heute bin ich soweit, dass ich glaube, mein Leben macht keinen Sinn, wenn es nicht beobachtet wird. Deshalb will ich berühmt werden: um von so viel wie möglich Augen so lang wie möglich beobachtet zu werden.

Meine Trägheit verbeult den Tisch, ein goldenes Bett, absolute Wahrnehmung des Gegenwärtigsein, kein Abgleich mit der Vergangenheit, keine Ahnung von Zukunft, fest im Moment isoliert; keine Tentakeln anderer Zeitformen glitschen in diesen runden, brodelnden Moment. - Das Zwischenreich: nicht schlafen, nicht wach sein. Ich streife im nonkausalen, überwirklichen Dschungel herum auf der Suche nach Früchten, die mir den Alltag versüßen.

Warum diese Droge nehmen? Dichtsein will schöngeredet werden, wenn es noch nicht dicht genug ist. Warum träumen? Manche Zustände sind Stoßstangen für den Kreisverkehr, Schwimmwesten im Shitstorm, Ausflüchte für Geringverdiener, Urlaubsmaßnahmen gegen die mechanische Abfolge grauer Tage, Wochen, Monate, Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte.

Rausch verändert nachhaltig, langfristig.

Das Gras will befreien von einem festen Stil. Die Worte stehen da wie kleine, fette, schwarze Häuser. Ich kann sie nüchtern umlaufen, sie stehen da und tun ihren Dienst. Ich klopfe sie ab. Eins nach dem anderen. Da steht ihr nun, wie Schmierereien an der Friedhofsmauer. Jemand klopft an die Tür, ich mach auf und Johannes steht in Unterhöschen vor mir, er sieht gut aus, aber ich weiß, dass ich ihn mir nur einbilde und er zuckt zusammen weil er denkt, ich gebe ihm eine Ohrfeige deswegen.

"Die Musik auf die ich Lust habe, gibt es vielleicht noch gar nicht: für mich die einzig mögliche Motivation, Musik zu machen", strahlt das Pathos, das ich wie eine Fahne herumschwenke, wie eine Zahnlücke, wie meine erste Haschisch-Pfeife, die ich aus Alufolie gebaut habe. Eine Behauptung wie ein Stück Schokolade.
Irgendwann in den frühen 90ern hat man Tom Waits Speed gegeben und er hat es gut vertragen. Dieser Halunke! Er hat so eine bodenständige Art, Drama zu machen. Er ist ein echter Philanthrop. Ich glaube ihm, wenn er sagt: "Ich habe nie wirklich Spaß" und jetzt die Blasmusikkapelle in einer alten Garage am Rand eines Industriegebiets. Wie kann man jemanden verehren, der sich missverstanden fühlt?

Der Künstler bastelt Blumen, pflücken muss sie jemand anders. Ja, auch Disteln an einem warmen Sumpf in der Abendsonne, auf Mutters Schoß liegen, in die Sonne schauen, an die Schule morgen denken. In meinem Nacken sitzt ein Hauptbahnhof von Zahnrädern. Die Kinovorführung kann beginnen. Wir zappen live rein: ich sitz an einem Tresen in einer Notaufnahme, der Trubel und ich haben Frieden geschlossen, wie zwei Cowboys an einer staubigen Straße: High Noon und ich erhebe mein Glas und beruhige mich: "Alles was du nicht weißt, lässt den Planeten kreisen." Ich wiederhole den Satz solang, bis ich eingeschlafen bin.

Bei luziden Träumen schnappt das Alltagsbewusstsein ins Traumbewusstsein. Auf Gras schwappt das Traumbewusstsein über die Linse des Alltagsbewusstseins. Beide Welten sind fest im Gehirn miteinander verbunden. Kurz hatte ich das Ende des Textes aus den Augen verloren, aber hier ist es wieder.

(2)

Alles was ich zu sagen habe, steht in einer düsteren Ecke und verschränkt bockig die Arme, sendet kalte Blicke mir zu, darf ich um euch herumtanzen? Die Worte, die man mir wie lasch aufgeblasene Wasserspielbälle zuwirft, lasse ich nach oben fluppen. Die Musik klettert auf Bäume im roten Sonnenuntergang, die ganze Stadt lässt sich in den Sessel fallen, alle atmen durch und die Sterne funkeln wie der Kuss einer Mutter auf die Stirn der Stadt.

Der Rausch knetet mein Gehirn durch, als wöllte er meine Haare lila färben. Ich muss dafür bestraft werden, dass ich mich bisher nie mit Psychic TV beschäftigt habe.

Meine Unsicherheit in grammatikalischen Dingen ist ein dünnes, rissiges Fensterglas, das mich von der Außenwelt trennt.

Bekifft sein heißt, heimkommen in den gemütlichen Schoß der Hypersensibilität. THC simuliert ein kindliches Lebensgefühl. Wenn man sich mit seinen automatischen Körperfunktionen identifiziert, ist man authentisch im Sinne der Anklage. Der Körper lenkt sich selbst, ohne Zutun von Gedanken. Ein Automatismus, den kein Ideal verbiegt. Ein angenehmer Druck hinter dem Gesicht, der immer das Peak des Rausches markiert. Ein kräftiges, liebevolles Durchspülen mit Musik.

Der bekiffte Zustand ist eine Einladung, eine Frage, eine Aufforderung. Was stellst du heute mit den geweiteten Toren an? Du lüftest die Festung durch, aber wirst du auch aufräumen oder willst du nur, dass alles ein bisschen durcheinander kommt? Alles ist möglich, du brachst dich vor keinem deiner Bedürfnisse zu schämen, soweit sollte schonmal deine Selbstliebe gehen. Nimm dir, was du willst, und werde damit glücklich.

Ich möchte irgendwas in die Musik pflanzen, damit etwas Schönes draus wachsen kann. Ein rationales, zielgerichtetes, gläubiges, ängstliches Leben ist mit einer ungeheuren Anspannung verbunden, für die unser Körper nicht ausgelegt ist. Endlich mal zuschnappen, kleine Schildkröte!
"Jedem das Seine." Das sollte über der Eingangspforte jeder Droge hängen.

Es muss möglich sein, Menschen unter Gras zu einer Gemeinschaft zu binden. Träumende, die ihr Träumen organisieren. Eine gepolsterte Welt. Die Ekstase einer zusammengestauten Wachheit.
Der eindeutigen Assoziationen überdrüssig, ein alberner Karneval der Aufmüpfigkeit. Am Rand meiner Existenz, so dicht dran, dass sich mein Körper zusammenzieht, bleibt mir nichts mehr übrig als die Dosis zu erhöhen. Vielleicht bin ich ein Hausmeister, der gleich in die Steckdose pinkelt?

Wie Fahnen hänge ich meine Worte in den klaren Himmel des Unausdrückbaren. Ich bekenne mich zu dem, was ich kann und dem was ich nicht kann, ich habe so Angst nicht die Liebe und die Berühmtheit zu bekommen, die ich verdient habe. "Du spielst hier keine Rolle, deine Sehnsucht kannst du in deinen Schulranzen zurückstecken, hier in der Fabrik werden ganz andere Maschinen als du hergestellt."

An den Enden der Welt leben einsame, warme Menschen und warten auf das Zerbrechen der alten Strukturen. Man kann die Welt viel einfacher, schöner, nachhaltiger, gesünder gestalten: das Unbehagen an allem Stagnieren artikulierend, halten die Künstler das Rad des Werdens in Betrieb, das ewig andauern will ... so wie das Sein ewig unter dem eigenen Druck ein Loch in die Existenz strahlen will.

Ich führe nichts weiter im Schilde als ab und an wie ein dunkler Traum über den Tag zu stürzen. Mit meinen apokalyptischen Entspannungsübungen ziehe ich von Dorf zu Dorf. Jedes Wort zwackt nur kurz an den unheimlich elastischen Gummi des Unsagbaren. Alle Ideen verfärben den Himmel und lassen den Blick verschwimmen. Moral wächst dort, wo es keine Liebe gibt. „Allgemeingültige Werte“ wollen Menschen zusammenbringen, die nicht zusammengehören. - Ich verteile meine Ansichten wie Blumensträuße.

Die Musik (Pere Ubu) ist viel zu gut, als würde sie eine Genehmigung für mich unterschreiben, ohne zu prüfen, wer ich bin. Sie hat einen Kaffee in der Hand und hakt mich freundlich lächelnd ab.  Ich tu so, als würde ich pathetisch sein und salutiere. Die Unsicherheit an der Tastatur belustigt mich. Ich habe kein Gefühl dafür, wo im Leben ich stehe, ich weiß nur, dass alles gut gegangen ist bisher. Die Lautstärke des Müslis knuspert zu süß in meinem Mund, ich putze mir die Zähne und weiß: die Blutgefäße sind stabiler als man denkt und die Tastatur hämmert in mein Gehirn von hinten rum, ich spüre wie Hypersensibilität durch meine Gehirnadern rauscht wie runde Kinder die Rutsche im Freibad.

Die Leute wollen Arbeit, weil sie sonst nicht nachweisen können, dass sie ein Recht zu Leben haben. Es kostet Kraft, sich dieser Selbsterniedrigung entgegenzustemmen. Die Kraft wird von den Künsten ebenso genährt wie von bestimmten Drogen oder der Verehrung, die man für bestimmte Menschen empfindet. Ich möchte nicht, dass ihr mit dem Finger auf mich zeigt. Ich möchte nicht, dass ihr an euren Bärten zupft und etwas Gehaltvolles über Kunst loszuwerden versucht.

Ein neuer Schub klemmt sich meine Schläfen. Die Musik lässt den Druck vibrieren. Meine Antennen bohren sich in die Zukunft. Die ganze Welt existiert nur in einem großen Beutel, den ich immer mit mir herumschleppe, um mich jederzeit darin herumzutollen wie in einem Bällebad. Der Schub ist toll. Schwindelgefühl. Wie ein Luftballon hängt mein Selbst am Körper, den irgendwas im Boden festgemacht hat. Eingesperrt in einer engen Box, fliege ich über die weiten Felder meiner Imagination. Meine Finger tasten in die Grelle der funkelnden feuchten Tastatur. Ist das Euphorie?

Wie heißt das Kapitel, das ich mit dem heutigen Tag aufgeschlagen habe? Liege ich? Nein, ich sitze, aber ich kann mir vorstellen, dass ich liege, also sitze ich nur zur Hälfte. Ich hänge mit kindlichem Ehrgeiz jedes Wort an die Leine und Großvater steht daneben und lächelt anerkennend, allerdings so übertrieben, dass ich glaube, er macht sich lustig über mich, als würde er wissen, dass ich gleich auf die Schnauze falle. Geblendet von der Mittagssonne versuche ich guter Dinge das Fahrrad den Berg runterzulenken. Ich fliege über das Dorf, meine Augen werden größer bei der Frage was passiert wäre, hätte ich noch mehr geraucht. Eine direkte Frage in ein konkretes Gesicht gesprochen erzwingt etwas. Eine direkte Frage nur an eine Wand geschrieben lässt so viel offen.

Live-Schaltung

04.09.2014

Zum ersten Mal will ich live dabei sein, wenn es passiert.

Ein paar kalte, nervige Fragen kuscheln sich in einen bunten Mantel Hoffnung. Jetzt kann ich das Streichholz entzünden. Ich fühle mich noch immer wie eine Jungfrau. Was für ein Glück, dass ich mich nicht beobachtet fühle von meinem Therapeuten.

Ich habe alles Recht, dich zu konsumieren, denn ich gehöre nicht zu den sterilen, gedemütigten Leuten, die mir im Supermarkt im Weg stehen und ein Recht haben, Hackfleisch und Weißbrot für ihre Familie zu kaufen. Ich bin schnippisch wie ein nacktes, schönes Kind und rede mir etwas schönes ein: "Schäme dich nicht, wenn du Klischees eines Berauschten zeigst. Es ist nicht schlimm, so zu reagieren wie ganz schlecht gespielte Drogen-Konsumenten im Film. Wichtig ist, was hinter den Klichses ist. Du betrittst durch die Klischees eine neue Welt."

Warum sollte man nicht mit Gegenständen experimentieren, die die Natur in den Garten gehängt hat? Mein grauer Atem steuert die grazil geschwungenen Bewegungen der Hüpfburg, die ich bin, die ich sein soll. Irgendjemand hat mich hier festgeschraubt und um meine Schlaumeier-Hoffnung anzuzapfen. Ich hoffe nämlich, dass es etwas hinter dem Alltagsbewusstsein gibt, etwas das vielleicht zurecht versteckt wurde? Oder zu unrecht? Zu welchem Recht denn jetzt also? Wer hat das Recht beschlossen? Fakt ist: ein systemkonformes Leben ist mit dieser Droge nicht möglich. Mehr bedeutet ihr Verbot nicht.

Unter dem Gras liegt das Körpergefühl eines Träumenden. Wecken wir es sachte, winkt es uns mit einem kräftigen, freundlichen Lächeln herein und bietet uns an, auf der gemütlichen Couch Platz zu nehmen. Wir schauen uns um, es ist alles verschwommen und der Raum taumelt, es ist aber - anders als im Alkohol-Rausch - kein brutales, schweres, unkoordiniertes Taumeln, sondern ein sehr feines, langsames, hypnotisches, als hätte man die Hüpfburg in einen Windkanal gestellt und den Kindern erlaubt, auf ihr herumzutrampeln und herumzutaumeln. Meine Blicke stechen wie lange Speere in die See, ich stelle mich ans Podium und behaupte, dass das Gefühl, "eins mit der Welt zu sein" entsteht, wenn man - mit Hilfe von Meditation, Drogenkonsum oder einer Psychose - kein Ich, kein Subjekt mehr spürt, wenn kein Unterschied mehr zwischen Welt und Körper und Bewusstsein gemacht wird, wenn das Ich selbst zur Außenwelt zu gehören scheint, weil es überhaupt kein Innen, keine Zentralperspektive gibt.

Als junger Schnüffler in den Gegenden, in denen sich mein Körper nachts ohne mich herumtreibt, ziehe ich mir die schlabbrigen Jogging-Hosen hoch und kette mich an das, was ich in Worte fassen kann, indem ich alles verwerfe, was ich nicht formulieren kann. Mein Schreiben ist nur ein Einwand, um mit meinem Leben weiter zu machen. Ein Beruf, der wie ein Freund ist, der einen durch den dunklen Wald begleitet. Ich möchte der Sprache keinen Schaden zufügen, ich bin auf sie angewiesen. Dass ich mit ihren Grenzen spielen kann, gehört zu ihren großen Privilegien. Wenn die Sprache den Menschen ein Freund sein will, muss sie auch über ihre Unzulänglichkeiten Bescheid geben. Will die Sprache sich um ihrer Selbst willen?

Ich will ein neues Seil in einen neuen Moment springen lassen. Alles in meiner Wohnung hat einen direkten Bezug zu mir, unsere gemeinsame Geschichte. Der dreckige, chaotische Zustand spiegelt das wieder, was ich bin (was ich bin ist der Rohstoff, auf dem das arbeitet, was ich sein will): ein glücklich verlorener Mensch. Ich benutze den Zustand meiner Wohnung, um mich an das zu halten, was ich sein soll: noch glücklicher und verlorener.

Die Wohnung ist kalt, meine linke Hand ist kälter als meine rechte, irgendwas hab ich falsch gemacht. Ein Kind muss lernen, zu unterscheiden für welche Körperfunktionen es die Verantwortung übernehmen muss und für welche nicht. So wird ein Ich gebacken. Indem ich mich vor jeder Verantwortung drücke, schicke ich mein Ich auf die Hängematte und nehme die Welt ohne Filter wahr. Niemand sollte für etwas, das er sich selbst antut, bestraft werden. Es kommt mir grad sogar absurd vor, erst im Nachhinein einer Handlung zu strafen.

Der nächste Schub rückt mir etwas zu dicht auf die Pelle, ich glaube, er will mich in die Ecke drängen und mir meine Brotbüchse und mein Taschengeld klauen, bis ich merke, es ist ein Tanz, ein Tanz den man hart tanzt. Ich nehme mit Kusshand an und ernte Applaus vom imaginären Publikum. Erkenntnis ist ein Stachelschwein.

Jeder Rausch ist anders, wie auch jedes Lied bei jedem Hören anders wirkt, wie auch jeder Mensch in jedem Moment ein anderer ist. Ich mag es am liebsten, allein in meinem Hexenhäuschen zu sein, wenn ich Gras rauche, sonst würde ich mich gezwungen fühlen, bestimmte Symptome des Rausches zu zeigen oder mich für bestimmte Symptome zu rechtfertigen, die ich zeige. Vielleicht trennt mich das Schreiben von einer intensiveren Rauscherfahrung.

Könnte ich so tun, als wäre ich nüchtern? Das Monster meiner Wahrnehmung wird in eine Plastikbox gesperrt, ein paar mal kräftig durchgeschüttelt und dann wieder freigelassen. Man kann seinem Wesen nämlich nur näherkommen, indem man die Spuren in der Box untersucht. Die Box ist diese Textdatei, die Kratzer sind die Texte. Anhand der Kratzer kannst du dir vorstellen, wie der Rausch sein muss. Ich tanz eine Runde und bringe den Kreislauf in Schwung.

Ich denke sehr schnell und sehr viel, während mein Körper träge hinterherschnappt. Vielleicht wäre es interessanter, wenn ich jetzt unter Menschen wäre, wenn ich eine Aufgabe zu erfüllen hätte. Vielleicht ist ein Rausch gar nicht dafür gedacht, allein erlebt zu werden, vielleicht gehört zu jedem Rausch eine Gemeinschaft, ein Rahmen.

Was den Grasrausch vom Alkoholrausch unterscheidet: ich habe rege, klare Gedanken, ich kann meine Hände und Finger ohne Einschränkung bedienen, der Rausch erzeugt keinerlei körperliche Beschwerden wie Übelkeit oder Kopfschmerzen, er liegt wie Kaninchenfell im Mund. Alkohol stumpf akut ab, scheucht den Körper wie der Wärter den Kleinkriminellen im Kreis über den Hof, um ihm den gesetzlich garantierten, täglichen Freilauf zu gewähren. Ein stumpfes Abschütteln von Gedanken und Moral. Der Rausch, den wir hier auf dem Tisch haben, in der Hand halten, ist ein viel freundlicherer Rausch, auf einer Ebene mit dem Berauschten.

Berauschtsein und Nichtberauschtsein sind nur Werkzeuge. Ein richtig stabiles Haus im Dasein kann man nur bauen, wenn man alle nützlichen Werkzeuge kennt und benutzen kann. Sowohl der Berauschte als auch der Nüchterne leben nur in einer Hälfte des Hauses. Der frische, verzehrfertige Gemüsejazz ist ein herzlicher Freundeskreis, die Kompositionen kommen mir länger und geräumiger vor. Ich halte mich an dem kalten Kribbeln zwischen meinen Beinen wie an einem Seil fest, während ich im Wind herumflattere. Meine Gleichgültigkeit gegen Tippfehler wäscht all die Bosheit aus meinem Gesicht, die Ostdeutschland darin abgeladen hat - weil ich aber die Ostdeutschen nicht vergraulen will, werde ich sie die nächsten Tage ausbessern. Ich habe keine Probleme, Sätze zu formulieren, wenn ich auch etwas mehr Mühe hab, mich auf das, was ich sagen will, zu konzentrieren und nicht auf das, was ich noch nicht sagen kann. "Man sagt ja immer nur das, was gerade am leichtesten von der Lippe geht.", ergänzt mein lieber Großvater, der viel zu früh an Leberkrebs gestorben ist.

Weil alle Gedanken nun gleichwertig sind, beschäftige ich mich liebend gern mit den Gedanken, die ich sonst nicht so ernst nehmen kann. Der akute Glanz der Gedanken ist ihre liebliche Rache für meine bisherige Ignoranz. Ein zutiefst kindliches Bewusstsein, es findet noch keine moralische Filterung der Wahrnehmung statt. Man kann in solchen Zuständen leicht mit Gewohnheiten und Dogmen brechen, weil Anderes interessanter, wichtiger, wertvoller ist, beispielsweise die Tatsache, dass man überhaupt existiert, oder die Lust sich auf eine bestimmte Art zu bewegen, die Lust Dinge zu entdecken, die Lust mit Dingen zu spielen. Deshalb ist diese Droge verboten: sie hilft, loszulassen.

Was passiert, wenn ich ein drittes Köpfchen rauche? Ich fühle mich wie eine Frau, die das Kopfkissen aus dem Fenster heraushält und abklopft und hofft, das es gleich platzt und tausende Federn zur Erde niedergleiten. Sie macht die Fenster wieder zu, von außen, um den Leser zu verwirren. Ich entferne den Smiley, den ich eben nach "verwirren" gesetzt habe und ersetze ihn mit diesem Satz, der meinem Gesichtsausdruck viel näher kommt.

Der Rausch nimmt eine neue Intensität an. Ich distanziere mich von mir selbst, die Sonne scheint mir ins Gesicht, ich bohre mich tiefer in den Rausch, ein Gefühl der Betäubung steht der Idee, wie ich kritisch meine Situation vom Türrahmen aus betrachte, gegenüber. Jedes Wort ist eine Sensation, jedes kleine Wort eine kleine, jedes große Wort eine große. Die Kanäle sind alle weiter geöffnet, meine Aufmerksamkeit ist wie ein Regenschirm, der Müdigkeitshormone abperlen lässt. Auf der anderen Seite meiner Redseligkeit steht die Frage, was ich außer Schreiben noch machen könnte, und jemand reicht den Umschlag mit der richtigen Antwort zu mir auf das Karussell, in dem ich mit dem Mikrophon sitze und dieses Selbstbekenntnis abgebe. Ich fühle mich von meiner zukünftigen Selbstbetrachtung an die Hand genommen. Noch nie habe ich einen Gras-Rausch so bewusst erlebt.

Das Schwanken ist noch intensiver geworden, die Musik hinterlässt ihre Schwingungen in der Haut meines Gesichts, speziell des Kinn ist besonders durchblutet, von ihm gehen meine Kopfbewegungen aus, mein Kinn steuert meinen Kopf. Ich glaube das Schreiben intensiviert den Rausch, bzw. macht ihn interessanter. Das Formulieren ist mein Beruf, nicht das Berauschtsein.

Ich wollte gerade aus irgendeinem Grund aufstehen. Hab ich Hunger? Ich vergesse manchmal, dass ich berauscht bin, dann fühlt es sich an, als würde ich träumen, ohne mir gerade bewusst zu sein, dass ich träume. Leider kann ich so viel nicht ausdrücken, und so kann mich nur das an dem Rausch stolz machen, was ich ausdrücken kann. Ich kann nur so tief gelangen, wie ich noch schreiben kann. Schon wieder wollte ich aufstehen und schon wieder vergessen, warum. Ich wünschte, ich würde wissen, warum die bunten Flimmern bei geschlossenen Augen so symmetrisch sind und ich wünschte, bequemer zu sitzen.

Lauert Gefahr an den Rändern der Scholle, auf der das Zimmer hin und her schwankt? Meine Augen sind ganz trocken, mein Mund auch, ich fühle mich wie in einer Wüste, eine bequeme Wüste, weil ich jederzeit etwas trinken kann. Ich habe Lust, auf den Sattel des Gedankens, nichts mehr zu sagen zu haben, zu steigen und durch die Wildnis meines Körpers zu reiten. Gefühle benutzen Gedanken, um ans Fleisch und an die Sehnen zu kommen.

Ich stelle mir eine bunte Party in einem weißen Schloss vor, auf der in Dauerschleife "Time to say goodbye" gespielt wird. Würden die Gäste gegen das Lied ankommen? Das Experiment kann man auch mit viel besserer, interessanterer Musik wiederholen. Aber gerade, wie Schmalz und Trash auf Dauer wirkt, kann auch Aufschlüsse darüber geben, wie Menschen auf Nationalismus, Fernsehmüll und Sonderangebote reagieren.
Ich sollte mich nicht darüber beklagen, nur Worte benutzen zu können, die meine Eltern benutzen, ich benutze ja auch die ganzen Dinge, die ich vererbt bekommen habe... Ich nutze generell den Körper, den sie zusammengefickt haben.

Ich werde niemals in einer anderen Haut stecken. Ich werde niemals eine andere Vergangenheit haben. Ich bin das Zentrum der Welt, das Zentrum des Rausches und der Musik, das Zentrum meiner Muskelschmerzen, das Zentrum meiner Wohnung, das Zentrum meiner Sprache.
Ein seltsames Flattern in meinem rechten Ohr, eine Art Entladung von Spannungen, als würde das Ohr nur gähnen, das Flattern erweitert den Gehörgang, ich wünschte ich könnte jemanden beißen oder mich würde zumindest jemand küssen. Ich will auf einem grünen Hügel stehen und saubere Luft atmen.

Ich sitze vor einer weißen Wand und schreibe zweimal "weiße Wand" mit dem Finger drauf. Ich sitze mitten in meinem Leben, auf einer vielbefahrenen Kreuzung meines Bewusstseins, ich steige aus der Handlung meines Lebens aus und bilde mit der Musik und meinem Schreiben eine Kapsel, aus der heraus ich alles betrachten kann. "Es ist schon ein bisschen wie ein Film, das kann man schon sagen", sagt der nervige Klassensprecher und reicht den Joint weiter. Meine Kopfbewegungen werden immer schwerfälliger und ich werde schläfrig. Lohnt es mit dieser grazilen Müdigkeit zu tanzen? Ist der Tanz ein Widerstehen oder ein Müderwerden? Ist das der Abspann des Tages?

Langsam wird es kälter und eine freundliche, coole Interessenlosigkeit macht sich in mir breit, eine brüderliche Ungeduld, der Wunsch, mich ins Bett zu kuscheln, die Zuversicht, dass meine depressiven Freunde gut durch den Winter kommen, weil sie wissen, dass es mich gibt. - Gute Nacht, Erfurt!

Zur Frage, ob kiffen abstumpft

Ein Hirn, das auf Dauer mit Cannabis gespült wird, infantilisiert - und das wünscht sich auch jeder bessere Kiffer. Die Kanäle werden geöffnet, der Körper kommt wieder zu seinem Recht, die Gedanken brausen frei. So kann ich gern in Kauf nehmen, irgendwann ein paar IQ-Punkte zu verlieren. IQ misst ja nur, wie schnell man Muster erkennen kann. Kiffen entschleunigt, entspannt und macht verspielter. Bekifft durch die Stadt trödelnd, schäme ich mich, bisher alles mit scharfem, kaltem, rastlosem, unbarmherzigem Blick zerpflügt zu haben.. Ein IQ ist eine Erfindung des Staates, um uns nach Kategorien des Marktes zu markieren und auszunutzen. Als Kind hat man anfangs damit zu kämpfen, Realität und Einbildung zu unterscheiden. Kiffen sensibilisiert auf Dauer das Gehirn derart, dass die Grenze zwischen Phantasie und Realität durchlässig wird. Das ist der Preis, die Chance die in einer so hohen Schärfung der Kanäle liegt. Kiffend schottet man sich in einer synthetischen Kindheit ab, die immer realer werden kann, wenn es die Umstände erlauben. Einem so schön subjektiven, immer sterblichen Gehirn wie dem meinigen ist es total egal, ob Lust aus dem realen und irrealen Raum bezogen wird. Beide Räume prägen nur eine Seite der Medaillie der Existenz: beide Räume sind Wartezimmer einer unbekannten, unendlichen Praxis.

Wenn ein Dauerkiffer sich von seinem sozialen Umfeld zurück zieht, dann ist das kein Ausdruck einer drogeninduzierten Demenz, Psychose oder Soziopathie. Das Gras hat ihm geholfen, Dinge klarer zu sehen und er hat erkannt, dass er bestimmte Leute einfach nicht mag oder nötig hat. Marihuana versöhnt den Menschen mit seiner Einsamkeit. Von außen, aus Sicht besorgter Eltern und Freunde sieht es aus, als würde er abstumpfen, als würde ihm alles egal werden, als wäre er besessen von der Droge. Dabei erlebt er nur eine wichtige Krise, er häutet sich, er zieht um. In einem sozialen Umfeld, in dem ein Kiffer glücklich ist, weil er eine für ihn und Andere sinnvolle Funktion hat, mit der er sich identifizieren kann, in einem Umfeld das von echter Freundschaft, Liebe, Herzlichkeit, Abenteuer bestimmt ist, wird er sich - glaub ich, hoff ich - niemals distanzieren.

THC ist, im Gegensatz zum Alkohol und Tabak, kein Nervengift. Es muss eine Ganja-Lobby, eine Cannabis-Connection geben, die die Pflanze davor bewahrt, vereinnahmt zu werden von Ärzten, die Gesundheit definieren als die Fähigkeit, in unserem Gesellschaftssystem zu funktionieren. Ich ahne eine dunkle Zukunft, in der Marihuana genau so angepasst, umgewertet, ausgeschlachtet wird wie der Surrealismus. Vielleicht wird die Regierung erst das Hanf legalisieren, wenn es Pläne gibt, wie man Konsumenten gut in die Verhältnisse einpassen kann. Das wäre das Ende einer anständigen Kiffer-Kultur.

Erste Tänze

September 2014.

Ein kalter Nachmittag, ich stehe auf meinem Balkon, rauche eine Purpfeife und freue mich über das Gewitter, das sich über der Stadt zusammenzieht. Im Küchenradio läuft Nancy Sinatra im Kreis und ich spüre wie mein Körper ganz sachte, aber bestimmt an die Innenseite meiner Haut schwappt. Ich habe mich lang nicht mehr so unbeobachtet gefühlt. Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich richtig aufatmen.

Der Raum schwankt sacht, meine Beine kontrollieren das Schwanken, die Musik ist ungewöhnlich aufregend und ich schleppe meine Matratze aus meinem Schlafzimmer in die Küche, lege mich vor die Boxen und höre stundenlang Musik, es fühlt sich alles wie ein Traum an, ein bisschen blöd komm ich mir vor, dass ich nichts mitzuteilen habe. Ich gehe an den Rechner und schreib auf Facebook einen Beitrag, den ich am nächsten Tag wieder lösche:

"was hab ich zu senden? ein kratzen am rücken? das gefühl zu liegen und zu träumen, dass man steht auf einem schwankenden schiff. man kann das schwanken kontrollieren mit den füßen oder den augen. man hält sich mit den augen wie an einem seil an einem fixpunkt fest und schon schaukelt es. ich hacke die tastatur wie fleisch. mit oder ohne knochen, hier in meinem schneckenhaus. meine vorstellung bald eingeschlafen zu sein reichert das universum mit einem taumel an, dem sich nur meine worte gewachsen fühlen - zu unrecht, während ich auf diesem harten stuhl oder weichen sessel sitze und warte bis die tür aufgeht und ein freund mich mitnimmt."

Marihuana lässt, so schreibe ich mir hinter die Ohren, das Chaos der Gedanken und Gefühle bewusster, genauer erleben. Man beschäftigt sich mit Gedanken, die sonst nur halbtransparent vorbeiflattern und die gewöhnlichen Gedanken sind faszinierender als üblich, es ist als würde man sie zum ersten Mal decken. Vielleicht ist es nur die Unfähigkeit, Wichtiges von Unrichtigem zu unterscheiden, was mich staunen lässt. Vielleicht hab ich mir die Illusion weggemacht, dass es Unwichtiges gibt.

Das gleiche Körpergefühl wie im Traum, die gleiche Wildheit der Gedanken. Nicht ich suche mir die Gedanken und Worte aus, nein, sie alle fliegen mir zu. Auf all der Schönheit des freien Denkens liegt der Schatten eines Ichs. Wo ist das unbestreitbare Zentrum in mir? Ich nehme noch einen Zug. - Es fühlt sich an, als würde ich liegen und mir nur vorstellen, auf die Tatstatur zu tippen. Mit leichten Kopfzuckungen kann ich die unsichtbaren Wellen, die die Musik um mich schlägt, kontrollieren, ich benutze sie wie Peitschen und biete Leuten, die nicht anwesend sind, eine Sensationsschau.

Ich spüre, wie mein Ein- und Ausatmen meinen ganzen Oberkörper in Bewegung hält. Atmend schüttel ich meinen Körper in Zeitlupe durch. Es ist ein Tanz mit mir selbst, genau so wie man für sich selbst träumt. Ich glaube, ich bin jetzt nicht in der Lage, mich über irgendetwas zu ärgern, ich bin sehr angeregt und entspannt zugleich, es fällt mir leicht, Dinge zu durchdenken und immer weiter zu denken. Vielleicht werde ich mir morgen vorkommen, als hätte ich einen berauschenden Hollywood-Blockbuster im Kino sehen, vielleicht werde ich glauben, dass der Rausch nichts mit mir zu tun hatte. Angewidert wie eine Frau nach einer schlechten Anmache ekel ich mich vor meinem Selbstbewusstsein, mit dem ich die Leitern meiner Worte erklimme, weil ich als Kind nie ein Baumhaus hatte. - Plötzlich vermisse ich meine Abscheu vor der Welt, meine Kälte im Blick und in der Geste, das sterile Verstreichen der Zeit.

Genau so, wie ich nicht mit einem Gefühl von Stolz aus dem neuen Helge-Schneider-Film gegangen bin, so wenig bin ich jetzt stolz auf meine Rauscherlebnisse. Irgendetwas in mir gibt mir das Gefühl, ich hätte kein Recht, berauscht zu sein - bevor ich nicht genau weiß, was es ist und ob ich drauf hören soll, halte ich es auf Abstand.

Ich mag die bunten, luziden Träume, die ich habe, wenn ich ein paar Stunden vor dem Einschlafen etwas geraucht habe. Ich schlafe länger und manchmal fällt es mir schwer zu unterscheiden, was ich geträumt habe und was ich außerhalb des Traumes erlebt habe. Ich habe kein Interesse, eine klare Grenze zu ziehen. Ich würde gern früher oder später beide Realitäten zusammenbringen wie Knoblauchsoße und Kartoffelpuffer.

Einleitung

Auf dem Höhepunkt einer in Erfurt und Schlaflosigkeit hart gewordenen Leere und Planlosigkeit lernte ich im Sommer 2014 zum ersten Mal die positiven Effekte von Cannabis kennen und die Pflanze wurde schnell nicht nur als Bereicherung am Schreibtisch unersetzbar. Ich kenne seit meinem 18. Lebensjahr Kiffer, die sowohl positive als auch negative Erfahrung mit dem Kraut gemacht haben und keiner konnte mich überreden oder endgültig abschrecken, Gras zu rauchen. In meiner Studentenzeit und in den drei Jahren danach reichte mir Koffein als Stimulanz und Antidepressivum aus (http://asomnie.blogspot.de) und natürlich hatte ich auch Angst vor einer mir unbekannten, zudem illegalen Substanz, die in mein Gehirn, damit in mein Bewusstsein eingreift, also mich notwendigerweise verändert. Als mir eines Tages der trockene, grelle, ereignislose Sommer den Oberkörper besonders fest verschnürt hat und ich Zuflucht in der gemütlichen Mansarden-Wohnung von Miles fand, der sich gerade einen Joint anzündete und fragte, ob ich auch Lust hätte, vielleicht weil er spürte, dass mein Leben ein neues Gewürz bräuchte, und weil ich unbedingt auf Tabak verzichten wollte, er eine rote Glasbong aus dem Schrank holte, mir einen kleinen Krümel auf das Sieb machte und erklärte, wie man das Gerät benutzt, sprang ich über meinen aufdringlichen Schatten und landete im Sonnenaufgang einer ganz neuen, überwältigenden Erfahrung.

Der Rausch kam mir sehr vertraut vor, wie eine Schwindelattacke, ein sanfter Angstschub, eine Schärfung der Sinne wie in einem Notfall, alles eingebettet in ein sehr schönes Körper-, Raum- und Zeitgefühl, das an den hypnagogen Zustand zwischen Wachen und Schlafen erinnert; ich habe mich dummerweise geschämt, dass ich typische Formen des Bekifftseins gezeigt habe: ein erfrischend schlechtes Kurzzeitgedächtnis, Wortfindungsprobleme und eine gesteigerte Empfindlichkeit für Farben, Teppichmuster und Musik, die mich euphorisierte wie ein kleines Kind. Mir war bewusst, dass es ein simulierter Wahnsinn ist und hatte ein bisschen Angst, nicht mehr rauszukommen. Miles wusste wahrscheinlich nicht, wie er mit mir umgehen sollte und versuchte sich ganz auf die Musik zu konzentrieren. Ich hätte gern losgelassen und wäre in die unglaublich bunten, kraftvollen Klangbilder und die schimmernden, schwimmenden Muster im Teppich gestürzt, aber wer weiß, wie das ausgesehen hätte, also blieb ich so normal wie möglich sitzen. Als ich nach zehn Minuten oder einer Dreiviertelstunde gesehen hab, wie er müde auf die Uhr geschaut hat, bin ich gegangen, hoffentlich nicht zu spät, Miles? Auf dem Heimweg dachte ich mir, dass ich dieses Erlebnis für die Kurzgeschichte "Der Eindringling" (Link) benutzen könnte, an der ich gerade schrieb. Während des Abfassens der Episode klang der Rausch langsam ab und ich wusste, dass die Geschichte damit nachhaltig verändert wurde. Die Tage danach fühlte ich mich sehr frisch und erholt und bald saß ich wieder bei Miles und wir rauchten gemeinsam eine Bong mit Sonic Youth und Peter Brötzmann und wir hatten ein sehr langes, zerfahrenes, wild assoziatives Gespräch, mein Gehirn lief auf Hochtouren, es machte unheimlichen Spaß zu denken, zu phantasieren, mich mit Miles auszutauschen, mich in die Musiker hineinzuversetzen und die Stücke wirklich ernst zu nehmen: ich erkannte, dass die Abscheu, die ich der Stadt und den meisten ihrer Bewohnern gegenüber empfand, meine Empfindlichkeit für tröstende, inspirierende, vitalisierende Kunst herabsetzte, mir also letztlich schadete. "Wie dumm, sich sowas entgehen zu lassen!", seufzte ich immer wieder, "Wie dumm, wie dumm!". Das Gras erinnerte mich schlagartig daran, wie abgestumpft ich mit meinen 28 Jahren schon war, wie gefährlich es wäre, einfach so weiter zu machen wie bisher. Ich recherchierte sehr intensiv über gesundheitliche Risiken und fand heraus, das Gras pur geraucht die Lungenfunktion nicht beeinträchtigt, sogar verbessern kann und dass die Giftstoffe, die beim Verbrennen entstehen, von den antikanzerogenen Substanzen ausgeglichen werden.
Ein paar Tage später bin ich - nüchtern - komplett in Heulen ausgebrochen, als mir ein Lied, das mir früher sehr gefiel, das Gefühl gab, immer noch das kleine, überempfindliche, orientierungslose Kind zu sein, das ich mal gewesen bin und irgendwann ist das Leben einfach vorbei und kommt nie wieder. Intellektuell kann man das leicht und gelassen erfassen, aber wenn es auch das Herz versteht, will es den ganzen Körper niederdrücken. In den nächsten Wochen habe ich ab und an mit Miles gekifft, fand aber heraus, dass es mir alleine mehr Spaß macht, denn dann muss ich nicht aufpassen, dass ich keine Dinge sage oder tu, die mir später peinlich sein könnten. Außerdem ist der Rausch intensiver, nachhaltiger und konstruktiver, wenn ich dabei schreibe und schreiben kann ich nur, wenn niemand im Raum ist. Ich war anfangs sehr skeptisch, denn ich konnte schon nie das Klischee, dass Alkohol die Seele öffnet und die Kreativität anregt, bestätigen: noch nie habe ich betrunken etwas Interessantes von mir gegeben. Es zeigte sich jedoch, dass Cannabis die Art und Weise, wie ich über mich und meine Arbeit und die Welt nachdenke, langsam verändert: dieser Blog versammelt die mir wichtigsten Texte, die ich in den Jahren 2014 bis 2016 geschrieben habe: in dieser Zeit habe ich mich von einem schlaflosen Menschenhasser ohne Zukunft in einen experimentellen Liedermacher mit sozialistischen Hoffnungen verwandelt.

Ich verdanke der Pflanze eine Menge und ich hoffe, dass Anbau, Besitz und Verkauf bald wieder legal sind. Die folgenden Aufzeichnungen verstehen sich nicht zuletzt als Beitrag zur Legalisierungsdebatte, den ich in einem Satz zusammenfassen kann: ich wünsche mir eine selbstbewusste, vielfältige, genießerische und gemütliche Cannabiskultur - als Antwort auf die Verdrießlichung Europas, die selbst nur eine Antwort auf den Irrsinn der Weltgeschichte ist. Wo kommt denn Europa auf einmal her? Das hätte ich mich vor zwei Jahren, als ich anfing, unter Cannabis-Einfluss zu schreiben, auch gefragt. Here we go!

auf einer warmen Wiese im Frühling 2018,
Demien Bartók