Einleitung

Auf dem Höhepunkt einer in Erfurt und Schlaflosigkeit hart gewordenen Leere und Planlosigkeit lernte ich im Sommer 2014 zum ersten Mal die positiven Effekte von Cannabis kennen und die Pflanze wurde schnell nicht nur als Bereicherung am Schreibtisch unersetzbar. Ich kenne seit meinem 18. Lebensjahr Kiffer, die sowohl positive als auch negative Erfahrung mit dem Kraut gemacht haben und keiner konnte mich überreden oder endgültig abschrecken, Gras zu rauchen. In meiner Studentenzeit und in den drei Jahren danach reichte mir Koffein als Stimulanz und Antidepressivum aus (http://asomnie.blogspot.de) und natürlich hatte ich auch Angst vor einer mir unbekannten, zudem illegalen Substanz, die in mein Gehirn, damit in mein Bewusstsein eingreift, also mich notwendigerweise verändert. Als mir eines Tages der trockene, grelle, ereignislose Sommer den Oberkörper besonders fest verschnürt hat und ich Zuflucht in der gemütlichen Mansarden-Wohnung von Miles fand, der sich gerade einen Joint anzündete und fragte, ob ich auch Lust hätte, vielleicht weil er spürte, dass mein Leben ein neues Gewürz bräuchte, und weil ich unbedingt auf Tabak verzichten wollte, er eine rote Glasbong aus dem Schrank holte, mir einen kleinen Krümel auf das Sieb machte und erklärte, wie man das Gerät benutzt, sprang ich über meinen aufdringlichen Schatten und landete im Sonnenaufgang einer ganz neuen, überwältigenden Erfahrung.

Der Rausch kam mir sehr vertraut vor, wie eine Schwindelattacke, ein sanfter Angstschub, eine Schärfung der Sinne wie in einem Notfall, alles eingebettet in ein sehr schönes Körper-, Raum- und Zeitgefühl, das an den hypnagogen Zustand zwischen Wachen und Schlafen erinnert; ich habe mich dummerweise geschämt, dass ich typische Formen des Bekifftseins gezeigt habe: ein erfrischend schlechtes Kurzzeitgedächtnis, Wortfindungsprobleme und eine gesteigerte Empfindlichkeit für Farben, Teppichmuster und Musik, die mich euphorisierte wie ein kleines Kind. Mir war bewusst, dass es ein simulierter Wahnsinn ist und hatte ein bisschen Angst, nicht mehr rauszukommen. Miles wusste wahrscheinlich nicht, wie er mit mir umgehen sollte und versuchte sich ganz auf die Musik zu konzentrieren. Ich hätte gern losgelassen und wäre in die unglaublich bunten, kraftvollen Klangbilder und die schimmernden, schwimmenden Muster im Teppich gestürzt, aber wer weiß, wie das ausgesehen hätte, also blieb ich so normal wie möglich sitzen. Als ich nach zehn Minuten oder einer Dreiviertelstunde gesehen hab, wie er müde auf die Uhr geschaut hat, bin ich gegangen, hoffentlich nicht zu spät, Miles? Auf dem Heimweg dachte ich mir, dass ich dieses Erlebnis für die Kurzgeschichte "Der Eindringling" (Link) benutzen könnte, an der ich gerade schrieb. Während des Abfassens der Episode klang der Rausch langsam ab und ich wusste, dass die Geschichte damit nachhaltig verändert wurde. Die Tage danach fühlte ich mich sehr frisch und erholt und bald saß ich wieder bei Miles und wir rauchten gemeinsam eine Bong mit Sonic Youth und Peter Brötzmann und wir hatten ein sehr langes, zerfahrenes, wild assoziatives Gespräch, mein Gehirn lief auf Hochtouren, es machte unheimlichen Spaß zu denken, zu phantasieren, mich mit Miles auszutauschen, mich in die Musiker hineinzuversetzen und die Stücke wirklich ernst zu nehmen: ich erkannte, dass die Abscheu, die ich der Stadt und den meisten ihrer Bewohnern gegenüber empfand, meine Empfindlichkeit für tröstende, inspirierende, vitalisierende Kunst herabsetzte, mir also letztlich schadete. "Wie dumm, sich sowas entgehen zu lassen!", seufzte ich immer wieder, "Wie dumm, wie dumm!". Das Gras erinnerte mich schlagartig daran, wie abgestumpft ich mit meinen 28 Jahren schon war, wie gefährlich es wäre, einfach so weiter zu machen wie bisher. Ich recherchierte sehr intensiv über gesundheitliche Risiken und fand heraus, das Gras pur geraucht die Lungenfunktion nicht beeinträchtigt, sogar verbessern kann und dass die Giftstoffe, die beim Verbrennen entstehen, von den antikanzerogenen Substanzen ausgeglichen werden.
Ein paar Tage später bin ich - nüchtern - komplett in Heulen ausgebrochen, als mir ein Lied, das mir früher sehr gefiel, das Gefühl gab, immer noch das kleine, überempfindliche, orientierungslose Kind zu sein, das ich mal gewesen bin und irgendwann ist das Leben einfach vorbei und kommt nie wieder. Intellektuell kann man das leicht und gelassen erfassen, aber wenn es auch das Herz versteht, will es den ganzen Körper niederdrücken. In den nächsten Wochen habe ich ab und an mit Miles gekifft, fand aber heraus, dass es mir alleine mehr Spaß macht, denn dann muss ich nicht aufpassen, dass ich keine Dinge sage oder tu, die mir später peinlich sein könnten. Außerdem ist der Rausch intensiver, nachhaltiger und konstruktiver, wenn ich dabei schreibe und schreiben kann ich nur, wenn niemand im Raum ist. Ich war anfangs sehr skeptisch, denn ich konnte schon nie das Klischee, dass Alkohol die Seele öffnet und die Kreativität anregt, bestätigen: noch nie habe ich betrunken etwas Interessantes von mir gegeben. Es zeigte sich jedoch, dass Cannabis die Art und Weise, wie ich über mich und meine Arbeit und die Welt nachdenke, langsam verändert: dieser Blog versammelt die mir wichtigsten Texte, die ich in den Jahren 2014 bis 2016 geschrieben habe: in dieser Zeit habe ich mich von einem schlaflosen Menschenhasser ohne Zukunft in einen experimentellen Liedermacher mit sozialistischen Hoffnungen verwandelt.

Ich verdanke der Pflanze eine Menge und ich hoffe, dass Anbau, Besitz und Verkauf bald wieder legal sind. Die folgenden Aufzeichnungen verstehen sich nicht zuletzt als Beitrag zur Legalisierungsdebatte, den ich in einem Satz zusammenfassen kann: ich wünsche mir eine selbstbewusste, vielfältige, genießerische und gemütliche Cannabiskultur - als Antwort auf die Verdrießlichung Europas, die selbst nur eine Antwort auf den Irrsinn der Weltgeschichte ist. Wo kommt denn Europa auf einmal her? Das hätte ich mich vor zwei Jahren, als ich anfing, unter Cannabis-Einfluss zu schreiben, auch gefragt. Here we go!

auf einer warmen Wiese im Frühling 2018,
Demien Bartók