Der Körper massiert das Ich.

Ach, ich sitze grad bei Christian und er schaut mich mit seinen feuchten, strahlenden, euphorischen Augen an. Ich frage: "Was war? Ich hab nur deine Hälfte von diesem Gespräch gehört, aber jetzt kann ich mich auch nicht mehr an das erinnern, was ich mitgeschnitten hab." Und etwas später: "Oh Christian, du bist noch keiner Frau so nah gekommen wie dir selbst, in einer Frau steckst du maximal zu 0,5 Prozent, oder in deinem Fall von mir aus 5%. Aber du steckst zu 100% in dir." Das viele Vergessen aktiviert die Gegenwart übermäßig.

Es gibt nichts besseres, als Gras zu rauchen und sich Hoffnung zu machen.

Eine Leistungsgesellschaft, die verbietet, die Leistungen berauscht zu erbringen, will nicht in Frage gestellt werden. "Ich brauche regelmäßig einen anderen Bezug zum Wirklichen", sagt sich jeder, der Drogen nimmt.

"Talentierte Künstler" können mit den Werkzeugen umgehen, die wir ihnen gegeben haben. Ich hasse die Menschheit am meisten dafür, dass mein Glück von ihr abhängig ist. Es war schonmal gemütlicher auf diesem Stuhl. Jeder ist von anderen Leuten abhängig, sogar von Leuten die er nicht leiden kann. Menschen, die ich nicht leiden kann, sind mir immer noch gut genug, um auf ihrem Rücken oder in ihrem Blut berühmt und geliebt zu werden. Ich spüre, dass jemand den Text liest.

Es ist so hell hier, ich weiß nicht mehr, was ich gestern geschrieben habe. Ich berühre alles, was ich sehe mit neugierigen Blicken, wie ein heuchelnder Politiker dem Volk die Hand schüttelt. "Guten Tag, hallo, schönes Kind, wählen Sie mich, wir Politiker sind auch nur Menschen." Der Stuhl wird immer unangenehmer. Soll ich was dagegen unternehmen? Ich stell mir vor, wie mir ein SPD-Gesicht über mein Klassenclown-Gesicht wächst: "Stühle, wie ich gehört habe, schaden dem Menschen, aber sie sind ja effizient. Der Mensch als das stärkste Tier hat es nur bei Überbevölkerung nötig, effizient zu sein. Stühle sind ein Anschlag der Massengesellschaft auf den Körper des Menschen."

Das, was du aus deinen Gedanken machst, ich wichtiger als die Gedanken selbst. Als würden dir Gedanke abnehmen, zu denken! Du musst schon selbst denken, das heißt: du musst dich von allen Gedanken distanzieren und damit auch von dem, was die Gedanken verursacht. Erst wenn du außerhalb von allem stehst und du unter den rauschenden Bäumen des herbstlicher werdenden Parks im Schneidersitz den Menschen suchst, der in dir deine Gedanken denken will, gelangst du zwischen die Zahnräder der Großen Maschine, die dich besser kennen will als du dich kennen kannst, die genau weiß, was man von dir erwarten kann. Sobald du dissoziierst, gelangst du auf eine neue Bahn, du wirst unberechenbar und eine Million neue Möglichkeiten ergeben sich aus dir. Dissoziation mischt die Karten neu, Dissoziation ist eine Notrufsäule.

Das tolle ist, dass man zu Recht von Vollrausch reden kann, aber trotzdem noch schreiben kann. Der wissenschaftliche Aspekt ist genau so einseitig wie der künstlerische, und warum sollte es nicht mehr als zwei Seiten geben?

Das wahre Leben beginnt dort, wo ein Sinn nicht mehr nötig ist. Man schraubt Hoffnungen und Ängste und Erwartungen ins Leben wie man versucht den Ozean mit Schrauben unter Kontrolle zu bringen. Der wahre Ozean beginnt dort, wo sich keine Schraube halten kann. - "Manchmal dürfen Sachen oder Menschen keinen Sinn ergeben", hoffe ich richtig zu liegen, die rechte Unterlippe zwischen die Zähne geklemmt wie ein Bowling-Spieler, der nicht weiß, ob die Kugel gleich in der Seitenbahn landet; wie ein Äffchen, das im Wald immer an einer bestimmten Stelle Löcher gräbt, es könnte gerade dort einen herannahenden Feind als erstes erspähen oder eine leckere Frucht oder eine schöne Blume oder ein interessantes, neues Werkzeug finden. "Ja, es ist möglich", nicke ich wie ein Therapeut ab, der die Sitzung erschöpft beenden will. In einer unsinnigen Welt findet man mehr Dinge, aus denen man später Sinn machen kann, in einer sinnvollen Welt gibt es mehr Dinge, aus denen man später Unsinn machen kann. Sinn und Unsinn wecken - richtig angewandt -  Lust und Lebensfreude und vielleicht verlängern sie sogar das Leben.

Alles woran wir uns erinnern, lacht uns höhnisch aus wie ein Autofahrer, der uns eine Weile mitgenommen hat und uns dann mitten in der Pampa rausgesetzt hat und weitergedüst ist. Wie kann man nur derart gehässig sein? Das ist so ein seltsames Gefühl, man glaubt, dass man immer noch der selbe wie früher ist, aber man weiß, dass das nicht stimmen kann. Bei genauerem Nachdenken findet man nichts, was noch identisch ist.

So wie man einem Künstler nicht unterstellen kann, dass das, was er sagt, ernst gemeint ist bzw. dass es seine eigene Meinung ist, dürfen wir das anderen Leute auch nicht unterstellen! So wie der Künstler mit Gedanken, mit Inszenierungen, Stilen und Haltungen experimentiert, soll das auch jeder andere Mensch machen dürfen! So wie ein Musiker sich an verschiedenen Genre ausprobiert um herauszufinden, was ihm liegt, womit er am meisten Erfolg hat, und noch als professioneller, etablierter Musiker sich immer an neuen Dingen ausprobieren darf, sollten wir so frei und mutig sein, uns immer neu zu erfinden und uns vielleicht ganz rigoros wehren, uns zu definieren und zu kommentieren. Alles was man tut und von sich und der Welt hält, ist erstmal nicht mehr als ein Versuch, eine Rolle die man probiert, eine Perspektive die man testet - und vielleicht nie mehr als das. Tun wir also nicht so, als säßen wir sicher in unserem Sattel und wüssten, wohin es geht. Je unsicherer wir sind, desto frischer und befreiender erscheint uns der Sommerregen, desto lauter und dreckiger erscheinen uns die Autos, desto böser und unsicherer erscheinen uns andere Menschen, desto erniedrigender erscheinen uns Büro- und Werkstatt-Arbeiten, desto ehrlicher und heiterer erscheint uns John Coltrane und desto erhabener und schützenswerter erscheinen uns die wilden, dreckigen Kinder im Hinterhof unserer Phantasie.

Der starke Mate-Tee lässt eine warme Energie stabil und angenehm durch meinen verbogenen, verspannten Körper sickern. Ich fühle mich wie eine Berühmtheit, die im grellen Scheinwerferlicht einer verwirrten Öffentlichkeit einen Bericht abgibt. Dreimal geprüft und den Satz dick und fett als richtig abgehakt. Wenig gegessen haben und mit Koffein lange wach bleiben hat eine Wirkung, die an Cannabis erinnert. Es ist ganz klar und deutlich ein anderer Bewusstseinszustand. Hinter meinen Zeilen fühle ich mich sicherer als davor. Oh, wie gern würde ich jetzt jemandem ein Interview geben oder eine lebenswichtige Entscheidung treffen, aber mir fällt keine ein.