Die Kekse.

17:50. Das erste Mal Graskekse essen. Davor schon ein bisschen vaporisiert. Süße Experimentierfreude, leicht und bekömmlich mit David Byrne auf dem harten, glänzenden Holzstuhl unter der Biolichtbirne in meinem blauen, kargen Zimmer. Die Musik kitzelt im Ohr. Eine entspannte Aufregung. Schöner, stolzer Herzschlag. Ich möchte jemanden mit Sauerkirschen füttern. Mit meinen Freunden bin ich heute nicht so gut verknotet, sie haben so ordentliche Haare heute. Sie sind Polizeimeister-Puppen und die Distanz zwischen uns ist das Krokodil, mit dem ich im Hinterhof kurz vor Feierabend ein Graskeks verspeise.

17:55. Ich rechne in der nächsten Dreiviertelstunde mit dem Wirkungseintritt. Habe heute nur Kirschen und Schokolade gegessen. Heute bin ich besonders gemütlichich im Toaster meiner Poesie gepolstert, keine Angst, der Stecker ist draußen! Ich habe das Bedürfnis in Orange zu schreiben. Ich fahre irgendeinen Berg herunter. "Oh my god! What have I done?" ergänzt David Byrne. Wenn man Groß/kleinschreibung einhält, siezt man den Leser, wenn man nur klein schreibt, duzt man ihn, wenn man alles groß schreibt, schreit man ihn an, wenn man nicht mehr schreibt, wird man unsichtbar. "House Of Motion" kommt mir sehr wie ein verstaubtes Plastikmöbel aus einem verwaschenen 80er-Jahre-Werbeblock vor. Könnte auch in der Serie "Die Dinos" als düsterer, fließender Spielplatz im Hintzergrund schwankend die Zähne zeigen...

18:02 und ich glaube die Kekse erheben. Meine Augen fassen eine glatte, weiche, friedliche Welt. Eine Euhporie wie im ersten Traum des Lebens, den in welchen du immer wieder zurückkehrst, versteckt in einem verschlossenen Raum und ein ernstes Gesicht an einem mächtigen Wallstreet-Stier in Business-Anzug und Zigarettenqualm sagt: "Die Beine da sind aber schön durchgeknibbelt." und ich grinse ihn an und sage dramatisch: "Danke!" Mein Herz ist ein munteres Kind, das im Garten mit großen, bunten Tüchern spielt und niemand will glauben, dass diese Tücher eine perfekte Alternative zu Freunden sind.

18:07 pulsiert das Gehirn fröhlich mit der Musik und knibbelt ein paar Verspannungen aus dem Frontallappen. Ich strecke meinen langen Giraffenhals in den Konferenzraum, in dem der Stier die stonigen Beine lobte und sage lang- und weichgezogen: "Das Kribbeln ist Kälte." und lasse lausbubig die rote, dreieckige Zunge herausschlabbern, während ich darauf warte, bis man mir sagt, ob ich noch etwas tun kann. Man sagt mir: "Hast du nicht langsam genug?" Ich grinse nur, weil ich nicht weiß, was ich davon halten soll. Ich bin klug und setze mich an eine Bushaltestelle und schreibe etwas. Ich ziehe mich immer mehr aus dem Moment zurück. So als würde ich den Körper so stehen lassen wie ein Bauarbeiter einen Bagger zum Feierabend stehen lässt. Solang mich niemand bedient, bin ich aus. Ich bin gleich dieser Bagger, einfach stehengelassen in der untergehenden Sonne. Das ist die Natur dieser Droge. Distanz zum Körper. Ich beobachte, wie das Ich verschwindet: das heißt: ich sehe, dass es nie eins gab. Ich bin jetzt nur noch der Körper, ohne Ichgefühl. Ja, das Ich war nur ein Gefühl, ein Wahn, ein Irrtum. Der Körper ist auf das Ichgefühl nicht angewiesen. Alles was ich denke und bin, ist das Werk des Körpers. Ein Ich hat keinen Geschmack, kennt keinen Schmerz, keine Lust - ein Ich benutzt all dies nur. Die Musik wird manchmal dumpfer. Ein tiefes, tiefes Kissen und tropischen Durst. Hier funktioniert ja noch alles, all die tausend Lichter, diese ganzen Knöpfe und Regler hab ich vorher noch gar nicht gesehen.

Ich bin hellwach, hochkonzentriert und jetzt kommt die Wirkung des Kekses langsam heran, etwa eine halbe Stunde nach dem Essen, schmeißt sich in den Drehsessel, der mein Kopf ist und zündet sich erstmal eine Zigarette an, ich öffne das Fenster und die graue, kalte Großstadt kommt hereingeweht und alles ist wieder so groß wie in der Kindheit, alles ist so kalt und verlassen und veränderbar wie es immer war. Dies ist der Zustand, bevor ich echte Freunde finde. Manchmal berühren sich fast meine Finger beim Schreiben. Sie gehen sich artig aus dem Weg wie Menschen auf der Straße oder im Supermarkt, die sich zwischen den Regalen nicht berühren wollen, eine Hand will die andere überholen, aber ich weiß nicht welche. Ein warmer, pelziger Druck im Gehirn, als würde man es in eine kratzige Hundedecke einpacken. Schaue zufällig auf mein Handy. Genau vor ein paar Sekunden hat mir Sören eine SMS geschrieben ob ich da bin. Komischer Zufall. Vielleicht hab ich vergessen, dass ich es gehört habe? Ich kann meine im Weltall festgebundenen Augen bewegen, indem ich den Körper, den man ringsherum angebracht hat, einfach zur Musik schaukeln lasse. Manchmal wölbt sich das Blickfeld an der Seite ein. Die Schönheit des Lebens hält uns bei Laune und seine Hässlichkeit auf dem Laufenden. Die Kekse wirken wesentlich körperlicher als andere Konsumformen, das High ist sehr stark und klar.  "Ich weiß nicht mehr was ich gesagt hab. Ich weiß nur, was ich nicht sagen wollte... aber eh ich da durch bin" - Die Tage kaufen wir uns ein paar Hustenbonbons und laufen rum, denn es ist wichtig, dass man weiß, was man später einmal machen will. Heute war ich eindeutig distanziert, war total überrascht, dass ich Besuch bekam. Hätte vielleicht auf morgen verschieben sollen, dann hätte ich mich nicht so nervig benommen. Wenn man bekifft ist, fragt man sich viel mehr, ob der Gegenüber genervt ist. Überempfindlichkeit am Haken. Der Tag kommt mir total lang und aufregend vor. Wenn sich das, was ich heute geschrieben habe, nicht zu lesen lohnt, hat sich mein Tag nicht gelohnt. Was soll aus diesem abgedichteten Zimmer nach außen gelangen? Meine Distanz zum Zimmer.... Jeder Gegenstand birgt zwei Unendlichkeiten in sich, weil man jeden Gegenstand zwischen zwei Spiegel stellen kann. Sein physisches Sein ist das absolute Nichts gegen die Unendlichkeit seiner Abbilder in den Spiegeln. - Wie Kinder, die nicht auf Schulbälle gehen und auch nicht gern Referate halten, so wie das Leben reicher wird, wenn man einen neuen Freund gefunden hat, so unnahbar, weil er bloß eine Phantasiefigur ist, als ob ich einen Fleck am Auto wegputze, denn mein Körper funktioniert bestens, er kommt mit allem auf seine Kosten, warum sich noch um etwas Anderes kümmern? Es ist doch alles da!! Das ist die ultimative, politische Botschaft. Eine grüne, optimistische Partei des Lebens. Es ist doch alles da!! Ich kann mir keine bessere Botschaft denken. Ich stecke im Spalt zwischen der Welt von der ich weg will und der Welt in die ich will. Daaaa lang! Seht wie das Kind bockt, es will da einfach nicht sitzen. Ist das nicht Erklärung genug? Ich verkaufe mein Schreiben, meine Tippbewegungen. Ich kann gar nicht mehr verkaufen, weil es nicht in meiner Macht liegt zu entscheiden, was andere Leute damit machen. Totale Gegenwart, keine Ideen, pures Tippen. Kann ein Dorf so jemanden wie mich gebrauchen? Das eigentliche Leben fängt erst an, wenn es keine existentiellen Probleme gibt. So ein Mensch wie ich, der nie Hunger leidet, nie friert, nicht krank oder depressiv ist, von keinem Job abhängig ist, der nicht von irgendwas süchtig ist. "Die Musik ist schön." und "Gras macht die Musik schöner.", sage ich bockig, weil ich mir vorstelle, dass mich jemand fragt, warum ich Gras genommen habe. Ich bin ein Zwischenmensch. Was würden wohl Zwischenmenschen machen, die nicht schreiben?