Ein Strauß roter, violetter, blauer Ichideen

Ich wünsche jedem einen sicheren Unterschlupf
jedem einen Raum in dem er Krach machen kann
für niemandem wahrnehmbar, außer Reichweite.

Ich stehe mit einem roten Regenschirm auf der Bühne und werde ausgepfiffen. Es ist unmöglich, die persönliche Reife eines Menschen zu definieren, das wisst ihr. Und ich weiß, dass ihr den Grad der Reife, die ich ausstrahle, an die Messlatte Eures Ideals von einem reifen Menschen haltet. Mein Stiefvater hat mich oft angebrüllt und geschlagen, wenn ich die Musik zu laut aufgedreht habe oder ihm widersprochen habe oder mich unmännlich angestellt habe. Niemand ist mit seinen Mitmenschen wirklich zufrieden. Niemand will irgendwen so lassen wie er ist. Der Mensch ist ein permanenter Weltveränderer. In jungen Jahren ist er von seiner Neugier und seinem Optimismus angetrieben, in älteren Jahren von seiner Müdigkeit und seinem Überdruss. Niemals wird der Mensch zur Ruhe kommen. Nichts deutet darauf hin, dass der Sozialismus wiederaufersteht und bereit ist, sich zum ersten Mal richtig radikal ernst zu nehmen.  In dieser apokalyptischen Warengesellschaft spielt Reife und persönliche Integrität keine Rolle, denn es reicht, wenn man eine Funktion übernehmen kann. Ich sage: wir Übrigen müssen unsere Nichtigkeit so viel herzlicher, lieblicher, verzettelter, strauchelnder organisieren! Wir müssen alles dafür tun, dass sie uns nicht fertig machen. Wie ernst kann man einen Künstler nehmen?

Der Nachmittag beginnt mit der immergleichen Forderung: nimm eine Überdosis Cannabis und Coffein, stell dich ins Stadtzentrum und schau zu, wie viel du ertragen kannst. Das ist die Hauptaufgabe, wenn man eine Droge entdeckt hat: die Intensität steigern und an den Überforderungen und Angstschüben und all den schrecklichen Dingen, die man sieht, wachsen. Je mehr man ertragen kann, desto lebendiger die Seele. Sich ganz weit rauslehnen ist eine ernste Angelegenheit, die sich ein freundliches, abenteuerliches Lächeln aufs Gesicht gelegt hat, wie eine Blume auf die Stirn eines schlafenden Kindes. Wir müssen uns immer mehr zumuten, wir müssen einfach alles ertragen. Man kann das Leben nicht verlängern, aber seltsamer machen.

Wir brauchen Andere nur, um jemanden zu haben, dem wir weismachen können, dass wir in bestimmten Dingen keine Kompromisse machen können. Wir benutzen unsere Mitmenschen als Stimulanz für eine Ichidee-Erfindung und Ichidee-Umsetzung. Ich und meine verdammten Freunde treten dafür ein, statt "Ich" immer "Ichidee" zu sagen, wobei Ichidee wie eine Blume ausgesprochen werden muss: "Einen Strauß Ichideen bitte!" ... "Ichidee ist blass und wird immer transparenter, während sich im Hintergrund der tiefe, schwere Körper wie ein sanfter, schlacksiger Riese erhebt und niesen muss." Ich sehe die warmen Ichideen hinter den Gesichtern meiner Freunde in roten, violetten, koffein-strahlenden Farben, eine heitere, manische Blumenwiese, die den Sonnenuntergang besingen als wäre das der Werbespot für psychoaktive G/u/t/e/n/M/o/r/g/e/n/m/i/l/c/h namens "Der schwarze Spion", mit Himbeergeschmack gefärbt und der Extraportion Dextromethorphan. Psychedelische Superhaushaltsmittel. Überschreiten Sie bitte mit Ihrem kompetenten Reisebegleiter Dr. Bösewicht die Grenzen des guten, deutschen Geschmacks, den Geschmack der Bibliotheken und Rummelplätze und Schnellimbisse, verwandeln Sie bitte das giftige, zersetzende Menschentreiben, das sich schwarz und laut gurgelnd durch den Geist der Stadt frisst frisst frisst. In einer so harten, dreckigen Stadt kann man nur auf harte, dreckige Gedanken kommen. Ich und meine gottverdammten Freunde treten dafür ein, als offizielles Wahrzeichen einer Stadt die Gesamtheit aller Gesichter der Montagmorgen in den Fußgängerzone zur Arbeit Hetzenden zu ernennen. Alles, was die Stadtkultur den Menschen gebracht hat, kann man an ihrem Montagmorgen-Gesicht ablesen.

Meine Freunde und ich befinden uns unter euch, aber erwischen werdet ihr uns nicht! Wir sind euch voraus, weil wir durcheinander sind. Wir beobachten euch Montagmorgen, wenn ihr euch schnell noch einen Kaffee holt und die Bahn verpasst und heimlich eine Zigarette im Nichtraucherbereich ausdrückt oder einem jungen Mann hinterherschaut oder eine Taube füttert oder versucht einen solchen Gesichtsausdruck zu machen, dass euch niemals jemand ansprechen würde. Wir beobachten euch, wenn ihr dem Penner einen Kaffee ausgebt, oder wenn ihr euch wünscht, ihr hättet das wirklich getan, statt bloß dran zu denken.

Ich berausche mich an Bewusstseinserweiterung, um mich für die große Politik gerüstet zu fühlen. Wie anders als körperlich zufrieden und geistig auf der Höhe sollte man große Politik betreiben? Ich habe ja nichts gegen Gewalt an sich, aber oft ist ein nettes Gespräch völlig ausreichend. Das große Welttheater ist nicht mehr als ein apokalyptischer Nachbarschaftsstreit. Wirbeln wir so viel bunte Blumen auf wie möglich. Die Leute, die nationalkonservativ wählen, setzen alle kulturellen Leistungen der letzten 200 Jahre aufs Spiel. Die Ideologien verhärten sich, bewaffnen sich, blasen zu einem Endkampf, den vielleicht selbst ein offenes, liberales, kritisches Internet nicht aufhalten wird.

Wir, allein Europa und Nordamerika hätten die Milliarden Euro, die wir für Kriege ausgeben oder die uns illegale Steuertricks kosten, verwenden können, um die Flüchtlinge aus der ganzen Welt human und freundlich aufzunehmen, hätten einfach miteinander leben und nicht gegeneinander leben können. Der Islam muss natürlich zu einem freien Europa dazugehören. Überhaupt: jeder Mensch hat das Recht, überall auf der Welt sein Glück zu versuchen. Das Gegenteil von einem multikulturellen Kontinent ohne Leitkultur ist die bockige, Kleinigkeiten zu Katastrophen hochschraubende Vereinzelung und Radikalisierung. Es darf sich niemand durchsetzen, wir müssen nebeneinander, statt im Wettbewerb miteinander leben. Ich und meine vom Teufel besessenen Freunde werden aggressiv, wenn sich jemand dazu aufspielt, seinen Wahn, seine Ichidee über Menschen zu stülpen, die, geschmückt von anderen Ichideen einem ganz anderen Wahn folgen. Eine multikulturelle Politik ist angewandte Psychedelik. Wir liefern mehr als nur Metaphern.

Es macht Spaß so schlüpfrig zu sein, es gibt keinen Grund mich festzulegen, es funktioniert auch alles ohne feste Meinung, liebe Sachbearbeiterin! Aber lohnt es sich, heute noch so derart fröhlich zu sein wie ich es bin?

Wir müssen unsere psychedelischen Massenvernichtungswaffen schmieden, scharf machen und in Stellung bringen. Bald kann die freie Welt jede Waffe gebrauchen, die verfügbar und noch nicht so komplett gescheitert ist wie all die Waffen vorher. 
Angesichts der Weltlage erscheint uns Stil und Nüchternheit nicht mehr als seriös. Ein charismatischer Fernseh-Kabarettist brüllt mit lachenden Augen die Quote nach unten: "Diese Nüchternheit hat uns ja gerade in die Kacke geritten." Alle lachen und leuchten gelangweilt. Er wollte doch nur helfen, die Nerven zu bewahren im Alltag mit Dogmatikern, Faschisten, besoffenen, gewaltbereiten Familienvätern, die über gewaltbereite Ausländer geifern. Zeige mir einer einen besoffenen, gewaltbereiten Familienvater, der nichts gegen Ausländer hat und dir auch noch erklären kann warum. Unvorstellbar. 

Ich und meine verkommenen Freunde leben zwischen den Ordnungen, über den Städten, weit unter Europa. Unser Musikgeschmack schmeckt nach Religion, unser bunter Kaffee fordert uns zu unsichtbaren Abenteuern heraus. Wäre es nicht toll, wenn die Menschen einer Stadt sich nach ihrem Musikgeschmack organisieren würden? In jedem Viertel herrscht ein anderer Geist und jeder Bewohner kann immer überall hinziehen. Bewegungsfreiheit ist die Grundlage für sozialen Frieden. Musikgeschmack sagt mehr über eine Person aus als ihr Beruf.

Die Menschen müssen zusammenleben können, also brauchen sie unbedingt ihre Privatsphäre, viel Raum für eigene, stadtteilspezifische Regeln. Eine "objektive Regierung" könnte lediglich dafür Sorge tragen, dass das Gleichgewicht der Vielheiten erhalten bleibt. In dieser Utopie besteht Realpolitik nicht darin, eine Leitkultur umzusetzen, sondern zu verhindern, dass sich eine Leitkultur bildet. Ein unabhängiger, freundlicher, transparenter, dezentraler Apparat, der dafür sorgt, dass die Ideologien und Religionen in ihrem Stadtteil bleiben. Es muss ständig zum Austausch kommen, damit sich nichts verhärtet. Es zählt dann nicht, was die Mehrheit will, sondern dass jeder etwas anderes wollen kann, dass sich niemand für irgendwas entscheiden muss, dass jeder Seinesgleichen findet und bei Bedarf wieder verlieren kann, um sich weiterzuentwickeln in eine namenlose Richtung. Das ist die Utopie: Leute, die sich wirklich leiden können, weil sie ähnliche Werte haben, die aus einem ähnlichen Geschmack, aus ähnlichen Lüsten und Träumen kommen, organisieren ihr Zusammenleben und interagieren freundlich mit dem Rest der Welt. Ich stelle mir die Welt als Sammlung von Millionen von Wohngemeinschaften vor. Jede soll ihre Eigenartigkeit verteidigen. Eine App könnte dafür sorgen, dass jeder seine geeignete WG findet, eine Suchmaschine, die weltweit Wohnprojekten findet, die einem bestimmten Lebensstil folgt. Und jeder muss überall hinkommen können, Mobilität muss zu einem Grundrecht werden, es muss verfassungsrechtlich verboten werden, an bestimmten Grundbedürfnissen zu verdienen: Essen und Trinken und Bildung und Wohnung und medizinische Versorgung müssen für jeden gesichert sein; diese Grundentspannung müssen wir uns leisten, sonst fliegt uns alles bald um die Ohren. Die Sozialisten haben Recht: wenn man nicht radikal Krieg und Ausbeutung aus der Welt tilgt, radikalisieren sich die Religionen, verstärken sich faschistische, anti-aufklärerische Tendenzen. Oft könnte man denken, dass die meisten Menschen abgestumpft und herzlos sind und lieber in einen Krieg ziehen würden, als in einem komplexen, interkulturellen Lebensraum vor lauter Überforderung zwischen Paranoia und Langeweile zu pendeln.

Viele Leute wollen abstumpfen, um sich von ihrem Selbsthass abzulenken, den sie angesichts ihres Lebensstils empfinden. Die Leuten schreien nach Beschäftigung, wenn sie sich nicht allein vorgaukeln können, dass sie wichtig oder nützlich oder wenigstens angenehm sind. Ich und meine abgeschossenen Freunde wissen uns sehr gut ohne Jobs und Vorgesetzte zu beschäftigen: wir brauchen niemanden, der uns herumschubst, wir sind nicht psychisch abhängig von primitiver, monotoner Arbeit, die jeder Computer, jeder Roboter effizienter verrichten kann.

Wir Deutschen empören uns gerade, weil in einem neuen Auto-Werbespot Kindern gesagt wird, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Bin ich ein Spielverderber und Kinderquäler, wenn ich behaupte, dass die, die sich empören, dumme Menschen und obendrein schlechte Eltern sind? Wie kann man es für pädagogisch richtig halten, Kindern etwas vom Weihnachtsmann vorzulügen? Soweit ist es gekommen: man nimmt Anstoß daran, dass eine Werbung den Weihnachtsmann als irreal darstellt. Und in den Kommentaren darunter beruhigt sich das hässliche Volk: "Ach, der Weihnachtsmann ist kapitalistischer Amidreck, bei uns kommt das Christkind." Wie ekelhaft das alles ist, und vorallem: was der Ekel an Individualität und Kreativität freisetzt... nötig macht... Angeekelt und abgestoßen und ausgestoßen und in der Ecke verkrümelt muss ich alles versuchen, um meine Fröhlichkeit zu erhalten. Ich muss fröhlich sein, um produktiv zu sein, ich muss produktiv sein, um nicht depressiv zu werden. Flauschgift ist nicht das Zentrum, es stabilisiert das Zentrum bloß.

Ich und meine zurückgebliebenen Freunde halten Psychedelika für geeignet, eine liebevolle Parallelwelt zu inspirieren, wo der Verkehr mit Menschen entspannter und zugleich tiefgründiger gestaltet werden kann. Es führt kein Weg an einer fröhlichen Politik vorbei. Wir könnten die Welt so gestalten, dass jeder seine Ruhe haben und sich gleichzeitig einbringen kann in den Gesamtprozess. Wenn es Leute gibt, die einfach nicht mitmachen wollen, dann wird unser Reichtum sie einfach mit durchbringen. Wir lassen niemanden auf der Strecke, bloß weil er stinkt und dumm ist und ohne Charme und Reiz und völlig frei von irgendwelchem Talent keine einzige Regung von Herzlichkeit und Begeisterung vollbringen kann. Er kann gegen unsere Liebe sein, trotzdem schleppen wir ihn mit, er ist eine grimmige Ratte, die einfach mit bei uns ist, die wirklich nicht stört, weil ihre Bedürfnisse so überschaubar sind und wir so viel zu geben haben. "Geben wir den Nutzlosen einen sicheren Wohnraum und unterstützen ihre Süchte, dann können sie sich wenigstens ein schönes Leben auf ihrem Niveau machen und nerven uns nicht weiter.", so spricht unser herzlicher Humanismus. Wir werden dafür sorgen, dass sich jeder jeden Tag die volle Teilhabe an der ganzen Kultur leisten kann. Wenn wir ihn nicht genügend inspirieren können, mitzumachen, dann ist das doch nicht sein Problem, sondern unseres! Unsere Solidarität mit den Nichtsnutzen und verkommenen Subjekten folgt einem Widerwillen gegen ein perfektes System, in dem jeder seinen Beitrag leisten muss. Meine erleuchteten Freunde und ich sind noch keinen Meter weitergekommen, weil uns noch keiner sieht und hört. Aber wir sind schon da, wir kennen unser Potential, wir haben keine Scheu, unseren größten und drängendsten Phantasien zu folgen.

Ein Horror-Rausch deutet lediglich auf eine unfreundliche Umgebung hin und ist nicht mehr als eine dramatische Aufforderung, die Umgebung umfassend zu verändern. Wenn Menschen mit Drogenpsychosen behandelt werden, darf man nicht so tun, als wäre die Wirkung von Drogen, ich meine besonders bestimmte bewusstseinserweiternde Drogen wie Cannabis, LSD (und seine natürlichen Verwandten), Koffein oder Dextrometorphan, unabhängig von Set und Setting. Ich kann keinen Mediziner ernst nehmen, der ein bisschen Gras in einer entspannten Umgebung mit Freunden als kontraproduktiv für die Behandlung von Angst und Nihilismus bezeichnet. Ich sage bewusst Nihilismus und nicht Depression. Die Depression ist nur eine mögliche Folge eines Nihilismus, der unterstützt von unterschiedlichen Enttäuschungen und Krisen seinen Weg in die Herzen der Bevölkerung gefunden hat. Besonders die armen, ausgegrenzten, kulturfernen, arbeits- und konsumsüchtigen Geister haben kein höheres, ihren Alltag übersteigendes Ziel vor Augen, zeigen jeder zarten Hoffnung die kalte Schulter und können keine intensiven, mehrdeutigen Freundschaften aushalten; manchmal erregen noch radikale Großmäuler ihre Gemüter und vielleicht greifen sie bald zu den Waffen! Ein bisschen Sensation und Action, ein bisschen das Gefühl von Leben und Liebe und Freiheit haben, ein bisschen so tun, als könnte man an etwas glauben, als wäre man zu etwas Wichtigem im Stande. Arme Ficker! Sie verplemperten ihr Leben am Fließband oder auf dem Laufband, all ihre Träume sind Massenware, ihre Feste sind langweilige Zudröhn-Spektakel, alle drehen sich ziellos im Kreisverkehr ihrer Mittelmäßigkeit und werden immer müder und hoffnungsloser. Die Mittelmäßigkeit ist die Folge einer ausgeschöpften Individualität im Rahmen dessen, was erlaubt und gewöhnlich ist.

Wer Stabilität und Berechenbarkeit und Arbeit nötig hat, um über die Runden zu kommen, ist angekommen und braucht sich von niemandem mehr etwas sagen lassen, weder von Priestern noch von Polizisten noch von Junkies noch von Freunden noch von Schriftstellern noch von Kritikern oder Soziologen. Ich und meine erhabenen Freunde wenden sich wirklich nicht an die, für die alles schon entschieden ist. Wir wenden uns an die, für die noch nichts entschieden ist oder die nicht wollen, dass etwas für sie entschieden ist. Wir wollen denen, die sich nicht verstricken wollen, die Goldene Schere sein, wir wollen die, für die es noch nicht zu spät ist, aus Sackgassen befreien, aus denen sie nur noch auf irrationale Art und Weise befreit werden können. Wir sind ein Anker, ein Vorschlaghammer, eine fröhliche Behörde, in der sich Menschen in Rauschzuständen, von Regen durchnässte Liebende, die sich berühren wollen, aber nicht überwinden können, asomnische Raben, paranoide Nichtstuer, hypnagoge Agenten, Mischwesen, Halbierte, Vampire und Zirkusfreaks und Literaturprofessoren und alle Leute ohne Pläne und Ichideen organisieren und für ihre Interessen kämpfen.