Bericht von Florian Silberfisch über den Grund für seine Schlaflosigkeit

I
Wenn Sie wissen wollen, warum ich nicht schlafen kann, muss ich mich in das immergleiche, verrotzte, unsympathische Husten meines Mitbewohners reinsteigern, diese faustgrobe Unverschämtheit, diese immergleiche, kurze Husten-Melodie. Ich stelle mir genau das dümmliche, beleidigte, jämmerlich hilflose Gesicht vor, das sie hervorbringt. Dass er sich nicht langweilt! Dass er sich nicht vorstellen kann, Andere damit aggressiv zu machen. Ich finde es so ekelhaft, darüber zu schreiben. wein erster Impuls, wenn ich ihn husten höre: "Töte ihn." Ich bin so gereizt, ich kann nicht richtig schreiben, alles kommt mir gewollt und unrein vor, dieses Husten greift mich an einer sehr empfindlichen Stelle an, ich fange an, mich maßlos über Tippfehler aufzuregen, ich finde es grässlich, dass ich so wirke, als wollte ich mich als jemand darstellen, der ein potentieller Mörder ist, sich aber im Griff hat, weil er solche halbfertigen, groben, nach Aufmerksamkeit gierenden Sätze in aufdringlichen Farben in sein Tagebuch schreibt. Ich ärgere mich, dass ich so verärgert über dieses Husten meines Mitbewohners bin, stelle mir vor, dass er selbst genervt von dieser Erkältung ist, aber er tut eben nichts dagegen. So wie ich nichts gegen meine Gereiztheit tue. Ich bin genau so ein nervtötender Idiot wie mein Mitbewohner. Ich dulde mein lebloses, uninspiriertes, kahles, mittelmäßig unordentliches Zimmer, ich dulde meine deprimierende Misanthropie, ich dulde mein planloses, arrogantes Getue auf Arbeit, meine von Worten und Neurotransmittern in die Irre gepeitschte Schwammigkeit, meine unbequeme Liegeposition: schräg vor dem Laptop liegend, wie ein körperlich Behinderter, der alle paar Stunden von Pflegepersonal gewendet werden müsste, um nicht wund zu liegen. Wenn man mit Leuten, mit denen man nichts tu tun hat, herumhängt und nichts zu tun hat, entsteht der Wunsch, sich von den Anderen zu isolieren. Beim Schreiben darf ich nicht vergessen, niemals an die Wand zu kloppen, wenn dieses fette, schwitzende, haarende Tier die Ambientmusik auf Soma.fm mit seinem schleimigen Hustenböllern perforiert. Ich habe es lang genug ausgehalten, glücklicherweise kann ich immer spazieren gehen. Größtes Glück, wenn man niemals Situationen ausgeliefert ist. Ich spüre, wie meine Mutter mir Recht gibt und ich fange an, mich wieder zu hassen, dafür, dass ich immer noch eine Verbindung zu meinen Eltern habe. Sie gehören nicht mehr dazu, aber sind immer noch so präsent. Ich jage blind im Kreis nach dreieckigen Fischen - so geht es nicht weiter! Ich zünde mir eine Pfeife an und geh endlich raus. Ich darf mich keinesfalls bestraft fühlen, sonst werde ich noch richtig bockig. Ich reagiere immer noch auf vieles so, als würden meine bescheuerten Eltern mir damit etwas sagen. Scheinbar gefalle ich mir in der Opferrolle. "Die Anderen sind zu stark", so belügt und erniedrigt mich die Erinnerung an das Gesicht und die Stimme und die zwiebelnde Ohrfeige meiner Mutter. Weil ich nichts konkretes zu tun habe, muss mein Gehirn Kleinigkeiten aufplustern, um überhaupt noch etwas Leben zu spüren. Vielleicht habe ich bald den selben Körpergeruch wie meine Mitbewohner, vielleicht überkommt mich bald die jämmerliche Dümmlichkeit eines Ronny, der stolpert und alles vollkotzt und sich einfach nicht zu helfen weiß: er lässt seinen Termin beim Jobcenter bewusst verstreichen und beschwert sich dann, dass sie ihm die Mittel streichen - oder der uncool über Kabel stolpert oder sich mit seinem übergroßen, löchrigen Pullover immer und immer wieder in Türklingen oder Besteckschubladen-Griffe verfängt oder der sich einfach nicht aus einer unbequemen Haltung herausbewegt und immer genervter wird - und dümmer - und langweiliger. Igitt! Zum Glück hab ich ihn vor meinem inneren Auge, ich kenne seine Erbärmlichkeit, er hat für niemanden einen Nutzen, er ist ein ekelhafter Verlierer, der versucht cool zu wirken, um nicht zu zeigen, wie hilflos er sich selbst im Weg steht. Er führt seine Depression, seine Unkultiviertheit konsequent zu Ende. Genau wie meine Mitbewohner. Spätestens, wenn ich glaube, genau so zu riechen wie sie, gehen bei mir alle Alarmglocken an. Ich freu mich ab morgen für ein paar Tage auf dem Bauwagenplatz von Samira zu sein. Eine Woche keine Menschen, kein Internet, keine graue, langweilige Großstadt. Ich werde nur lesen, meditieren, Obst und Körner speisen und herumlaufen. Ich frage mich, wovon meine Eltern jeden Sommer Urlaub machen müssen. Ich möchte nicht so gereizt auf den Husten meines Mitbewohners reagieren. Wenn man sich vorstellt, dass ich mal ein berühmter Schriftsteller werde, liest man diesen Text anders als wenn man glaubt, dass ich es niemals zu etwas bringen werde. Ich möchte berühmt werden, damit man mich anders liest und ich mich anders denke.

II
Auf dem Rücken meiner letzten Cannabis-Krümel bin ich also nach Leipzig geflogen, um auf die Hühner und Katzen von Samira aufzupassen, die gerade in Düsseldorf eine einwöchige Konferenz für Umweltpsychologen leitet. Es ist genau Vollmond, ein kalter 20. April. Hitlers Geburtstag und weltweiter Cannabis-Feiertag. Der schöne Mond und die schönen Katzen wollen, dass ich an meinen Texten arbeite, ich habe Koffein-Entzugserscheinungen und bin wieder einmal verwirrt von meinen Möglichkeiten. Ich könnte nur resignieren, wenn ich damit andere Leute zerstören würde, leider bin ich noch schwach und unbedeutend, also muss ich wohl in den sauren, schwarzen Apfel meines Berufs beißen. Der Widerwille, den ich gegenüber der Idee, fleißig meine Texte zu bearbeiten, empfinde, fühlt sich pervers und befreiend zugleich an. Vielleicht wird alles besser, wenn ich mir in die Hosen pisse und ein schönes Gesicht dabei mache. Ich geh eine Runde spazieren und überlege mir, wie ich meine Gereiztheit auf meine Arbeit lenken könnte.

III
Wollt ihr euch mit mir auseinandersetzen? Wirklich zuhören? Dann müsst ihr entspannt sein. Es geht wirklich nicht anders. Nichts nebenher tun oder denken, nicht aus dem Fenster gucken und die vorbeiziehende Landschaft einordnen. Es braucht einen heiteren Abstand, wie soll ich sagen? Eine warme Wiese. Warme Erde. Fröhliche Vögel und liebe Katzen. Eine Hängematte. Cannabis und Dextromethorphan. Medikamente. Alles ist entweder Medikament oder Gift, je nachdem wohin du willst. Ich finde es toll, dass ich mich früh von meinen Eltern losgesagt hab, sagt man halt so. Es ist gut, dass sie jetzt nicht da sind. Natürlich würde ich mich gigantisch freuen, wenn sie sich mit etwas beschäftigen würden, womit sie mir ein Vorbild sein können. Aber ich bin ganz bestimmt nicht verärgert, es ist nunmal so, ich habe sehr viel Liebe und Licht und lila Libellen in mir. Und ich mag es, wenn andere meine Texte gut finden. Ich würde gern, dass meine Eltern zuhören, wenn andere Leute meine Texte diskutieren. Solang meine Eltern in ihrer Geschwindigkeit und Gereiztheit festsitzen, kann ich ihre Herzen nicht anfassen.
Alles was ich schreibe ist an sich ein einziger Text. So wie mein Gesicht mein Gesicht bleibt, bleibt all mein Geschriebenes mein Text. Ich filtere heraus, was ich nicht sein will - um es einfach nicht zu sein. Ich kann sein wie ich will oder? Ich wünschte, ich hätte Worte für die Leichtigkeit, die Zärtlichkeit und Wärme, die mir hinter meiner Stirn dieses Leben webt.
Was soll zählen? Die Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft? Indem mir niemand eine klare Antwort geben kann, wächst meine Sehnsucht nach einem Fanatismus, der das Reich meiner Träume in das Reich der Realität strahlen lässt. Meine Leichtsinnigkeit ist eine Feder, mit ihr kitzel ich meiner Bestimmung ein Lächeln in die Brust. Ich würde es toll finden, wenn meine Eltern das, was ich schreibe, toll finden würden. Ich fühle mich bewertet von einem kalten, düsteren Markt. Ich habe ein hässliches, schwitzendes, nach Duschdas duftendes Gesicht im Kopf, das sagt: "Du musst professionell sein! Du musst schon was leisten, du musst uns was geben, das wir nehmen können. Du musst uns nützen. Du musst zeigen, dass du uns gern hast. Du musst dich verkaufen, du musst jemanden darstellen." Eigentlich möchte ich nur für meine Freunde da sein. Irgendjemand in mir bewertet mich. Ich stelle mir immer wieder jemanden vor, der mich abnickt oder tadelt. Dabei muss ich derjenige sein, der mich abnickt und tadelt. Es muss aus mir kommen. Keiner kann einordnen, was ich schreibe und mache, niemand weiß, wer ich bin. Wenn man die Konsequenzen aus allem zieht, was man weiß, läuft man auf einen dunklen Wald zu, in dem eine gemütliche Hexe Kräutertee kocht.

Absolut jeder Moment ist geeignet, einen Schlussstrich zu ziehen. Meine Worte sind Hoffnungen. Ich möchte niemandem etwas vormachen. Das ist der Kern meines Selbst. Leider habe ich keinen sonnigen Onkel, keine Tante die roten Tabak raucht und mit mir redet über all das, was ich zu geben habe. Die Horrorvorstellung: mit meinen Eltern irgendwo eingesperrt zu sein. Die Hoffnung: dass meine Denken und Schreiben wichtiger ist als mein Leben. Jeder weiß doch, dass ich ein seltsamer, toller Mensch bin, also möchte ich auch so behandelt werden. Ich schreibe nur, wenn ich schreiben muss.

Wer in mir sucht sich die richtigen Gedanken und Gefühle raus? Will ich Erwartungen erfüllen oder nicht erfüllen? Ein Kunstwerk ist nur der Samen, als Betrachter blüht er auf.
Die Frage, wer man selbst ist, muss als harte, blaue Droge erfahren werden, nicht als esotherischer Small Talk. Es ist ganz hervorragend wichtig, die Sprache zu lockern. Es muss eine Gemütlichkeit entstehen, in der keine Angst aufrecht stehen kann. Es ist sehr sehr wichtig, sich nur mit postitiven, heiteren, lieben, klugen, neugierigen, freien Menschen zu umgeben. Erst dann kann etwas entstehen. Der Rest ist Leiden. Eine wichtige, wackelnde Erkenntnis, das Haus wackelt, auf der Straße ist bunter, fröhlicher, weicher Krach, die Welt lacht, sie ist schüchtern, sie spielt eine Rolle, die Welt ist weiblich und hat einen Oberlippenbart, die Welt hat kein Publikum, die Welt muss morgen wieder was leisten, die Welt steht unter Strom, sie will Spaß und Zuckerwatte-Träume, die Welt ist ein Kino in das nur Murmeln kommen. Indem ich dieses Bild ausreize, erfahre ich mein Gehirn. Ich werde mich wieder isolieren, ich werde immer die selben Fehler machen, ich werde nichts mit meiner Erkenntnis anfangen, ich werde in einem kratzenden Pullover auf dem Blumenbalkon sitzen und an einen weißen Wal denken, der in einem Aquarium eingesperrt ist, ein warmes Lied von den Smiths wird den Tag umrunden. Und alles nur auf diesem Papier. Welches Gesicht soll ich denn machen? Mit dieser Frage kann man jede Diskussion auf den Boden der Tatsachen holen und jedes Buch beenden.