Die Schreibmaschine

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Ich bin also Schriftsteller, ich muss also liefern. Aber was? Und wem? Vermutlich soll ich Werte verteidigen, Stimmungen inspirieren oder reicht es, viele Bücher zu verkaufen? Je mehr Bücher ein Schriftsteller verkauft, desto näher ist er der Wirklichkeit, desto relevanter, desto wahrer ist das, was er schreibt. Je unbekannter ein Künstler ist, desto weniger real ist er.

Jedes Hirngespinst will wahr sein. - Mein imaginärer Verlag verlangt von mir, Farbe zu bekennen und Farbe zu predigen. Soll ich dich, geheimnisvoller Leser, also ermutigen, dem Sozialismus noch eine Chance zu geben? Oder solltest du lieber lernen, dich damit abzufinden, wie alles läuft? Welche Utopie möchtest du serviert haben? Mit welcher Dystopie möchtest du abgeschreckt sein? Ich bin Schriftsteller und muss liefern. Ich soll dir das Leben schöner machen, verlangt mein imaginärer Lektor. Soll ich dich auf Dinge aufmerksam machen, die du noch nicht wahrgenommen hast oder soll ich dir helfen, bestimmte Dinge zu verdrängen? Soll ich dich klüger und empfindlicher machen? Soll ich deine Vorurteile bestätigen oder widerlegen? Willst du dich verändern? Hast du genug, du selbst zu sein? Willst du dich unterhalten lassen? Willst du ein besserer Mensch sein? Dann bin ich das nackte Huhn ohne Kopf, das wild tanzend die Bühne vollblutet, der ganze Raum schaukelt sachte hin und her, wilde, endlose John-Coltrane-Tollwut dröhnt aus den Boxen, von urchristlicher Reinheit erleuchtet und von Voodoo-Geistern in die Irre geritten, die Euphorie, die in der Luft liegt, lässt die Schwänze der Jungs und die Nippel der Girls im Publikum stehen.

Vielleicht muss ich kurz ernst werden. Hört, Kinder der Erde! Ich will Euch etwas von der Großen Maschine erzählen, in der ich stecke wie ihr und alle anderen auch. Die Große Maschine wird instand gehalten von fleißigen, demütigen Arbeitern. Schaut wie sie sich krumm und krank schuften für die Große Maschine. Sie macht die Starken dumm, die macht die Schwachen feige und die Schönen krank und die Kunst leblos und die Beziehungen lieblos und die Natur kaputt. Deshalb lohnt es sich für mich nicht, mich in der deutschen Literaturszene zu etablieren, auch wenn es wohl unvermeidbar ist bei meinen Schulden und Tagträumen.
Die Behauptung leuchtet und friert: ein gutes Leben im Staat ist nur noch als Parasit möglich. Es ist bereits ein Zeichen von Entartung, von Krankheit, von Perversion, wenn man in diesem Staat eine nützliche Funktion hat. Deshalb sind die Jahre meiner Anonymität und Erfolglosigkeit die Jahre meiner geistigen und körperlichen Gesundheit und moralischen Integrität und meiner höchsten Freiheit.

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Ich habe die Pflicht, mich ernst zu nehmen, aber welches Schriftsteller-Ethos setze ich mir als Goldene Dornenkrone auf? An die Welt gekettet, mit Bewusstsein bestraft, zu Liebe und Schmerz befähigt, bleibt jedem Menschen nur, die Welt hinzunehmen oder sie zu terrorisieren.

Ich weiß, ich nehme meine Angelegenheiten viel zu ernst, um sie mit einer falschen Bescheidenheit, einer aufgesetzten Nettigkeit verwaschen zu können. Wie sonst hätte ich verhindern können, in dieser Stadt depressiv zu werden? Hier rühmt man sich nur noch für Dinge, die man unterlassen hat. Ich möchte mich jeden Abend neu bewundern: "Was ich mir heute wieder alles herausgenommen habe!" wiegt genau so schwer und lacht wie "Was ich mir heute wieder alles erspart habe!" Jedes Mittel ist Recht, den für die Adoleszenz typischen, für ein zivilisiertes Miteinander als notwendig angesehenen Abstumpfungserscheinungen entgegenzuwirken.

Ich kennen keinen glücklichen Menschen, der nicht gern zeigen will, dass er glücklich ist, ich kenne niemanden, der sich nicht für das Zentrum seines Lebens hält, auch wenn es nicht immer danach aussieht. Wie kann ich Menschen ernst nehmen, die bescheiden und mäßig sind, die selbstlos handeln, die ganz zärtlich und schüchtern und selbstironisch von sich reden, sich aber trotzdem noch ernst nehmen und sich auf ihrem Geschmack, ihren Träumen und ihrem Selbstgefühl ausruhen?

Ich stürze mich in der Undarstellbarkeit meines Ichs transparent.

Meine Maskierung soll Euch nicht einschüchtern, sondern von mir ablenken. - Ich will nicht, dass man mein konkretes Gesicht und meine konkrete Stimme mit diesem konkreten Blog in Verbindung bringt; was ich bin, will ich nicht kontrollieren lassen von meinem Gesicht, meiner Stimme und dem Rest meiner körperlichen Erscheinung, ich möchte nicht in die Falle gehen wie so Viele vor mir und mich an meinen Körper anpassen und jedes Wort, jede Handlung, ja jedes Gefühl unterlassen, das dem Anschein nach nicht zu mir passt. Frei von jedem Idealismus, unerreichbar für irgendein Auge und Ohr will ich zu mir kommen und dieses Buch ist Werkzeug und Abbild dieses Wollens, denn ich will nicht sein, was ich denke, ich will nicht sein, was ich scheine, ich will nicht sein was ich fühle und ich will auch nicht sein, was ich sein will.

Wenn ich an meinen Ruhm denke, würge ich meine Gegenwart ab. Bestimmte Gedanken lohnen nicht, ausgesprochen zu werden, wenn man nicht berühmt ist. Ich würde ganz anders schreiben, wenn ich berühmt wäre, also wenn ich die Gewissheit hätte, dass viele Menschen mich lesen. Würde ich wissen, dass mich niemand lesen wird, würde ich kein Wort schreiben. Wie würde ich leben, wenn ich wüsste, dass ich der letzte Mensch auf der Erde bin?

Menschen die sich undurchsichtigen Kräften ausgeliefert fühlen, müssen ihr Unbehagen voll und ganz annehmen. Sie dürfen sich nicht ablenken oder betäuben lassen. Kunst kann ihnen dabei helfen, sich selbst als Paranoiden ernst zu nehmen und den Mut zu entwickeln, die Konsequenzen daraus zu ziehen.


Meine körperliche und mentale Gesundheit hängt an der Unfähigkeit, glücklich und erfolgreich zu sein.

Was die Literatur meiner Generation "weiß": Liebe ist schön, Glück ist der Sinn des Lebens, Arbeit ist wichtig, das Gute ist richtig, das Böse ist interessant, hör auf dein Herz, halte durch, es wäre toll wenn sich alle Menschen vertragen könnten, die da oben machen doch sowieso alle was sie wollen, man muss den Tod akzeptieren, ein bisschen Spaß muss sein. Es gibt Schriftsteller, die sich damit zufrieden geben, andere geben sich nicht damit zufrieden. Ich bin verrückt, ich bin sensibel, ich bin cool, ich bin anders, ich wäre gern jemand anders, Menschen sind seltsam, Verlierer können sympathisch sein, das Leben lohnt sich, Hitler war ein Idiot, Mandela ist ein Vorbild für uns alle, jeder soll in seiner Fasson glücklich werden. - Oh Scheiße, ich hoffe, das ist nicht der Konsens, auf dem wir einen auf gute Nachbarschaft machen!

Ein Schriftsteller, der nicht übertreibt, ist bloß ein schlechter Journalist.